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Schülerinnen in der Schule (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

„Sprachscreening“

Bayern startet verpflichtende Deutsch-Tests bei Kita-Kindern

In Bayern soll ein neuer Sprachtest dafür sorgen, dass Erstklässler ausreichend gut Deutsch sprechen. Wer ihn nicht schafft, wird nicht eingeschult. Viele Eltern bekommen nun Post. Es gibt Bedenken.

Sonntag, 02.02.2025, 12:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.02.2025, 12:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Damit kein Kind mit zu schlechten Deutschkenntnissen eingeschult wird, werden heuer zum ersten Mal alle angehenden Vorschulkinder in Bayern auf ihre sprachlichen Fähigkeiten überprüft. Zum Test in den Grundschulen müssen aber nur die Kinder, bei denen die Kindertagesstätte Zweifel hat oder Defizite sieht – und diejenigen, die gar nicht in einer Kita sind. Für ihre Einschätzung hatten Erzieher in den Kitas bis Ende Januar Zeit, bis Ende Februar werden nun die Termine für den Test vergeben. Die wichtigsten Fragen:

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Warum wird das „Sprachscreening“ eingeführt?

Das „Gesetz zur Einführung und Durchsetzung verbindlicher Sprachstandserhebungen und Sprachfördermaßnahmen vor der Einschulung“ soll verhindern, dass Kinder mit zu geringen Deutschkenntnissen in die Schule kommen – und damit von Anfang an eine schwierigere Ausgangsbasis haben.

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Was ist anders als früher?

Schon bisher mussten alle staatlich geförderten Kindertagesstätten im vorletzten Kindergartenjahr den Sprachstand der Kleinen erheben – und bei Bedarf eine Fördermaßnahme wie den „Vorkurs Deutsch 240“ empfehlen. Neu ist jetzt, dass die Grundschulen eineinhalb Jahre vor der Einschulung zusätzlich eine eigene Sprachstandserhebung durchführen müssen. Die Teilnahme am „Sprachscreening“ ist verpflichtend, und zwar für alle Kinder – also auch jene, die nicht in einer Kita sind.

Müssen alle Kinder persönlich zum Test in die Grundschule kommen?

Nein. Kinder, die von ihrer Kita bescheinigt bekommen, dass sie keinen erhöhten Sprachförderbedarf haben, müssen nicht zum Screening in die Grundschule kommen. Entsprechende Bescheinigungen mussten die Kitas den Eltern bis Ende Januar aushändigen. Auch Kinder, die eine schulvorbereitende Einrichtung oder eine heilpädagogische Tagesstätte besuchen, sind mit entsprechender Bestätigung von dem Test ausgenommen. Alle anderen bekommen spätestens bis Ende Februar einen Termin für den Test im März oder April genannt.

Wie läuft der Test ab?

In der jeweiligen Sprengel-Grundschule, in der das Kind im Normalfall später auch eingeschult wird, führt eine qualifizierte Beratungslehrkraft oder ein Schulpsychologe in Anwesenheit der Eltern einen wissenschaftsbasierten, kind- und altersgerechten Test durch. Alles in allem dauert der Termin etwa eine halbe Stunde.

Was passiert, wenn einem Kind schlechte Deutschkenntnisse attestiert werden?

Die Eltern erhalten das Ergebnis des Tests innerhalb einer Woche. Hat das Kind einen Sprachförderbedarf, wird es zum Besuch einer Kita mit integriertem Vorkurs verpflichtet. Das heißt: Die Eltern müssen einen geeigneten Platz suchen und annehmen. Der „Vorkurs Deutsch 240“ wird von den Kitas in Zusammenarbeit mit den Grundschulen durchgeführt und beinhaltet in Summe 240 Stunden Deutschunterricht. Wenn ein Kind – etwa durch Zuzug aus dem Ausland – keinen Kurs gemacht hat und bei der Schulanmeldung zu große Lücken hat, wird es für den Kurs um ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt.

Von wie vielen Kindern ist eigentlich die Rede?

Laut Kultusministerium werden zum Schuljahr 2026/2027 voraussichtlich rund 128.000 Kinder schulpflichtig. Zum Test in den Grundschulen werden bayernweit etwa 40.000 Kinder erwartet. Dem Familienministerium zufolge verbringen schon jetzt 99 Prozent der Kinder eines Jahrgangs das letzte Jahr vor der Einschulung in einer Kita.

Was sagen die Kritiker?

Dass Sprache der Schlüssel für schulischen Erfolg ist, ist unumstritten. Das Gesetz wurde jedoch erst Mitte Dezember verabschiedet. Obschon die Vorbereitungen bereits im Vorfeld begannen, gab es viel Kritik, dass für Kitas wie Schulen nicht genug Zeit bleibe, um schon in diesem Jahr lückenlos den Sprachstand zu erheben. Und dass dadurch Zeit für die eigentliche Arbeit des Personals in Kitas und Schulen verloren gehe.

Ein weiterer Kritikpunkt: In den Schulen sollen die beteiligten Beratungslehrkräfte und je nach regionalem Bedarf auch Schulpsychologen für die Tests zwar Anrechnungsstunden erhalten. Im Idealfall wird deshalb weder Unterricht ausfallen noch Kapazitäten für Beratung oder gezielte Förderung verloren gehen. „Das wird aber in der Realität kaum funktionieren“, betont Florian Kohl von der Erziehungsgewerkschaft GEW. Schließlich müssten dafür im laufenden Schulbetrieb Stundenpläne geändert werden. Das Kultusministerium sieht sich dennoch im Zeitplan und versichert, die Sprachstandserhebungen könnten wie geplant umgesetzt werden.

Was sagen Experten?

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK), hatte zuletzt Empfehlungen vorgelegt: Zugewanderte Kinder und Jugendliche sollten verbindlich auf ihre Deutsch-Kenntnisse, Lese- und Schreibfähigkeiten und Kenntnisse in sogenannten Kernfächern getestet werden.

Die Wissenschaftler plädieren für Überprüfungen der genannten Grundkenntnisse in zentral dafür eingerichteten Stellen und für regelmäßige weitere Tests des Lernfortschritts zur Feststellung des persönlichen Förderbedarfs. Damit neu zugewanderte Schüler mit geringen Deutschkenntnissen im deutschen Bildungssystem erfolgreich sein könnten, müsse eine professionelle Sprachförderung gewährleistet werden, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Gibt es Förderbedarf?

Die Experten verweisen auf Bildungsstudien, die immer wieder schlechtere Leistungen bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund zeigen. Die Folge: Schüler aus zugewanderten Familien seien in der Gruppe der Jugendlichen, die die Schule ohne Schulabschluss oder mit dem ersten Schulabschluss verlassen, in erheblichem Maße überrepräsentiert.

Welche Hürden gibt es für Schüler mit Migrationshintergrund noch?

Vergleichsweise höhere Schulabbrüche sind bei Schülern mit Migrationsgeschichte auch auf andere Faktoren als mangelnde Sprachkenntnisse zurückzuführen. So weisen Studien auch nach, dass Schüler mit ausländischen Wurzeln auch bei gleichen Leistungen von Lehrern im Schnitt schlechter benotet werden. Das kann Experten zufolge zu Resignation führen und die Motivation deutlich senken.

Benachteiligungen erfahren nicht deutsch gelesene Kinder einer Studie zufolge nicht nur bei der Benotung, sondern auch bei der Schulform-Empfehlung von Seiten der Lehrer. Einer Studie zufolge werden beispielsweise Kinder mit Roma-Hintergrund trotz gleichen Leistungen eher auf eine Hauptschule geschickt, deutsche Kinder ohne Migrationshintergrund überwiegend auf ein Gymnasium. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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