Asylbewerber-Bezahlkarte
Bundesregelung kommt, Ausgestaltung unklar, Kritik konkret
Die Länder wollen eine bundeseinheitliche Regelung für die Bezahlkarte für Asylbewerber. Das Bundeskabinett gibt nach langem Hin und Her grünes Licht. Unklar bleibt vielerorts die konkrete Ausgestaltung der Karte. Menschenrechtler fordern Einhaltung von Datenschutz und Schutz vor Diskriminierung.
Von Stefan Heinemeyer, Marc Niedzolka und Bettina Grachtrup Sonntag, 03.03.2024, 13:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 03.03.2024, 13:23 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die geplante Bezahlkarte für Asylbewerber wird mit einem Bundesgesetz abgesichert. Das rot-grün-gelbe Kabinett stimmte am Freitag in Berlin zu, nachdem die Ampel-Regierung am Donnerstag ihren internen Streit über das Thema beigelegt hatte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte den Regierungsentschluss gegen Kritik. „Die Geflüchteten können mit der Karte genau so Lebensmittel und andere wichtige Dinge einkaufen wie mit Bargeld“, sagte Faeser der „Welt am Sonntag“ in Berlin. „Den Behörden spart die Karte Bürokratie. Und sie verhindert, dass Geld an Schleuser geht.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr plädierte in der „Rheinischen Post“ dafür, die neue Rechtslage schon in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags zu beschließen; diese beginnt am 11. März.
Es geht um eine bundesrechtliche Regelung für die Bezahlkarte, die die Länder für Asylbewerber einführen. Ein Teil der staatlichen Leistungen für Asylbewerber soll künftig als Guthaben auf dieser Bezahlkarte bereitgestellt werden. Die konkrete Ausgestaltung ist vielerorts noch unklar – das Ausschreibungsverfahren für die Karte läuft noch.
Bedenken vor allem bei den Grünen
Grünen-Politiker hatten bislang erklärt, es brauche keine Änderung auf Bundesebene, um die Karte einzuführen – zudem gab es Befürchtungen, mit solchen Karten könne die Integration behindert werden. Die Länder pochten auf eine bundesweite Regelung, um Rechtssicherheit bei Klagen zu schaffen. Aus dem von den Grünen geführten Bundeswirtschaftsministerium hieß es dann am Donnerstagabend, dass die Bezahlkarte sinnvoll sei. Der Formulierungshilfe für eine bundesweit einheitliche Gesetzesgrundlage werde zugestimmt.
14 von 16 Bundesländern hatten sich Ende Januar auf ein gemeinsames Vergabeverfahren zur Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber geeinigt, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege, wollen aber ebenfalls eine Bezahlkarte einführen. Mit der Karte soll etwa verhindert werden, dass Asylbewerber Geld an Schlepper oder an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen.
Konkrete Ausgestaltung der Karte vielerorts noch unklar
Bei dem Vergabeverfahren geht es etwa darum, welcher Dienstleister sich darauf bewirbt und wie die Karte technisch umgesetzt wird. Der Deutschlandchef des Finanzdienstleisters Mastercard, Peter Robejsek, hatte vor rund zwei Wochen der „Augsburger Allgemeinen“ gesagt: „Welche konkrete Ausgestaltung eine Karte bekommen soll, kann sich theoretisch von Bundesland zu Bundesland unterscheiden und auch von Landkreis zu Landkreis“. Der Deutsche Städtetag appelliert an die Bundesländer, gemeinsame Regelungen zu finden. Andernfalls drohe ein Flickenteppich, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Helmut Dedy, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
Die Bezahlkarte soll nun ausdrücklich als Option im Asylbewerberleistungsgesetz aufgenommen werden – ihre Einsatzmöglichkeit wird zudem erweitert. Damit sollen Länder und Kommunen mehr Möglichkeiten bei der Form der Leistungserbringung für Asylbewerber erhalten. Geplant ist, dass jedes volljährige leistungsberechtigte Mitglied eines Haushaltes eine eigene Bezahlkarte bekommen. Die konkrete Ausgestaltung der Karte soll den Ländern obliegen, die sich in einer Arbeitsgruppe auf Mindeststandards verständigt hatten.
Mancherorts kommt eine solche Karte schon zum Einsatz. In Thüringen starteten mehrere weitere Kreise am Freitag damit. Die Details sind in den Thüringer Kommunen aber unterschiedlich – etwa bei der Bargeldabhebung. In Bayern startet dem Landesinnenministerium zufolge im März ein Pilotversuch zunächst in den drei Landkreisen Fürstenfeldbruck, Günzburg und Traunstein sowie in der kreisfreien Stadt Straubing. Magdeburg will einen Testlauf mit 1.000 Bezahlkarten machen. Dabei wird die Bargeldfunktion der Karte auf 50 Euro begrenzt.
Karteneinsatz für einzelne Bereiche ausschließen?
Eine Frage bei der Einführung der Karte dürfte künftig neben der Bargeldhöhe auch die Frage sein, ob die Karte für einzelne Bereiche nicht genutzt werden kann – Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nannte Ende Januar etwa die Glücksspielbranche.
Im Stadtstaat Hamburg wird die Bezahlkarte an Asylsuchende seit rund zwei Wochen ausgegeben. Jeder Erwachsene erhält laut Sozialbehörde eine monatliche Gutschrift in Höhe von 185 Euro, mit der Dinge des täglichen Bedarfs eingekauft und bezahlt werden könnten. Leistungen für Kinder würden ebenfalls auf der Karte eines Elternteils gutgeschrieben.
Diakonie sieht Bezahlkarte kritisch
Die Diakonie Deutschland forderte, die Bezahlkarte so auszugestalten, dass sie sinnvoll und diskriminierungsfrei genutzt werden könne. Sozialvorständin Maria Loheide kritisierte, die derzeit geplante Karte schränke das Bargeld für Asylbewerber drastisch ein und schließe Kontofunktionen wie Überweisungen und Lastschriften aus. „Aus unserer Sicht sollte eine solche Karte – wenn überhaupt – nur in der Phase der Erstaufnahme von Geflüchteten eingesetzt werden, solange noch kein Konto eröffnet werden kann. Für uns ist ganz klar: Konto vor Bezahlkarte, spätestens, wenn die Menschen in den Kommunen ankommen.“
Flüchtlingsrat: Datenschutz einhalten
Bedenken äußerte auch der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern. Die Karte biete Geflüchteten zwar Erleichterungen, da diese nicht mehr jeden Monat zum Auszahlungstermin ins Amt oder in der Unterkunft anwesend sein müssten. Sie erhöhe zudem die Sicherheit, weil die Betroffenen „nicht mit Bargeld für einen ganzen Monat herumlaufen müssen“, hieß es in einer am Donnerstag in Schwerin verbreiteten Mitteilung des Vereins. Kritisch werde jedoch die Umsetzung des Datenschutzes gesehen, da Behörden jede einzelne Zahlung „kontrollieren“ könnten.
„Das muss ausgeschlossen werden“, forderte der Flüchtlingsrat. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Flüchtlinge mit der Karte Überweisungen vornehmen oder Bargeld abheben könnten. Sei dies nicht gewährleistet, könne das gegebenenfalls dazu führen, dass Geflüchtete ihre Rechtsanwälte nicht bezahlen könnten. „Der Flüchtlingsrat weist die in der Debatte betonte Unterstellung zurück, Geflüchtete würden Gelder in Größenordnung ins Ausland überweisen, um Schlepper zu bezahlen, oder die Betonung der Flüchtlingsabwehr, es gäbe einen Pull-Effekt durch Auszahlung von Bargeld“, hieß es in der Mitteilung weiter. Mit „Pull-Effekt“ ist ein Anreiz zur Zuwanderung gemeint.
Einigung kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz
Hessens Ministerpräsident Rhein (CDU) bewertet das Ende des Streits in der Ampel um die Bezahlkarte positiv. „Ich begrüße es, dass der Kanzler (Olaf Scholz/SPD) ein Machtwort gesprochen und die Blockadehaltung der Grünen bei der Bezahlkarte gebrochen hat“, teilte Rhein der Deutschen Presse-Agentur am Freitag mit. „Eine bundesweit einheitliche und rechtssichere Bezahlkarte ist ein wichtiges Instrument in der Migrationspolitik. Sie reduziert Anreize, verhindert Missbrauch und hilft dabei, Schleuser zu stoppen.“ Rhein ist Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, die am kommenden Mittwoch in Berlin erneut mit Bundeskanzler Scholz über die Asylpolitik verhandelt. (dpa/mig) Aktuell Politik
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