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Bezahlung mit einer Karte (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Kritik hält an

Krach in der Koalition wegen Bezahlkarte für Asylbewerber

Die Länder arbeiten daran, eine Bezahlkarte für Asylbewerber einzuführen. In Berlin entzündet sich ein Streit in der Ampel-Koalition über die Frage, ob es eine bundesgesetzliche Regelung braucht. Sozialverbände kritisieren die Pläne, Migrationsforscher teilen die Bedenken.

Sonntag, 18.02.2024, 14:15 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.02.2024, 14:15 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die geplante Bezahlkarte für Asylbewerber sorgt für Krach in der Ampel-Koalition. Knackpunkt ist die Frage, ob für die Einführung der Karte eine bundesgesetzliche Regelung nötig oder zumindest sinnvoll ist. Vertreter der Fraktionen von FDP und SPD sowie der Chef der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), sprachen sich am Wochenende dafür aus. Hingegen halten die Grünen im Bundestag die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten für ausreichend. FDP-Fraktionsvize Wolfgang Kubicki drohte mit dem Bruch der Koalition. Er sagte dem Boulevardblatt „Bild“: „Sollten die Grünen diesen minimalinvasiven Eingriff in das Asylbewerberleistungsgesetz tatsächlich torpedieren, stellt das die Fortsetzung der Koalition infrage.“

14 von 16 Bundesländern hatten sich Ende Januar auf ein gemeinsames Vergabeverfahren zur Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber geeinigt, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Per Bezahlkarte sollen Asylbewerber künftig nur noch einen Teil ihrer Sozialleistungen in bar erhalten, der Rest wird auf die Karte geladen. Die Länder versprechen sich davon weniger Verwaltungsaufwand und sehen die restriktive Ausgestaltung als einen Weg, den Anreiz zum Zuzug von Geflüchteten zu senken. Die Debitkarte soll laut Beschluss von 14 Ländern ohne Kontobindung funktionieren. Elektronisch bezahlt werden kann nur, wenn ein Guthaben vorhanden ist. Ziel ist es auch, die Möglichkeit der Überweisung staatlicher Gelder in die Herkunftsländer der Geflüchteten zu erschweren. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen einen Sonderweg, um die Karte schneller einführen zu können.

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Der Vize-Fraktionschef der FDP, Konstantin Kuhle, sagte, der Bund solle die rechtliche Grundlage für den Einsatz von Bezahlkarten erweitern. „Dazu gehört etwa, dass der Vorrang von Geldleistungen bei der Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen gestrichen wird. Das macht Bezahlkarten in mehr Konstellationen nutzbar und erleichtert so die bundesweite Einführung“, sagte Kuhle der Deutschen Presse-Agentur und dem „Tagesspiegel“. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann sagte, das Bundesarbeitsministerium habe bereits eine beschlussreife Formulierung geliefert. „Es geht hier um einen bundeseinheitlichen Rahmen. Der Verwaltungsaufwand muss bei den Kommunen durch kostengünstige, einheitliche Modelle reduziert werden“, erklärte er.

Grüne: Kein Bedarf für Gesetz

Hingegen teilte der Vize-Fraktionschef der Grünen, Andreas Audretsch, mit: „Es war gemeinsame Haltung in der Koalition, dass die Länder die Bezahlkarte rechtssicher einführen können. Verschiedene Länder wie Hamburg oder Bayern tun dies auch bereits. Änderungen sind deshalb nicht nötig und nicht verabredet. Für Chaos, Ablenkungsdebatten und schlechtes Management aus dem Kanzleramt stehen wir nicht zur Verfügung.“

Tatsächlich hatte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) im Oktober einen Brief an Audretsch geschrieben, aus dem hervorgeht, dass „keine gesetzliche Änderung“ für die Einführung einer Bezahlkarte notwendig sei. Das Schreiben liegt der dpa vor.

Rhein fordert Machtwort von Scholz

Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums bestätigte hingegen auf Anfrage der dpa, dass im Auftrag einer Arbeitsgruppe der Länder eine Formulierungshilfe erarbeitet worden sei. Sie sehe vor, „dass die Leistungsform der Bezahlkarte ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen wird“. Dem sei ein Austausch zwischen Hessen als Vorsitzland der MPK, dem Co-Vorsitzland Niedersachsen und dem Bundesarbeitsministerium vorausgegangen. Dabei sei es um erforderliche Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz gegangen, um einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

MPK-Chef Rhein warf den Grünen nun eine „Blockade“ vor und forderte ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD). „Der Bundeskanzler muss jetzt ein Machtwort sprechen für einen realpolitischen Kurs der Ampel bei der Migration“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Bezahlkarte sei ein wichtiger Schritt, „um Anreize für irreguläre Migration zu senken, Missbrauch von Asylleistungen zu verhindern und Schleuser zu bekämpfen“.

Ungeklärt ist auch die Frage der Kosten. Nordrhein-Westfalen etwa will die Karte flächendeckend einführen, die Kosten aber den Kommunen aufbürden. Der Städte- und Gemeindebund übte daran Kritik. Es sei nicht klar, in welchen Kreisen die Karte überhaupt eingeführt werde, wenn die Kostenfrage nicht geklärt sei. Hauptgeschäftsführer Christof Sommer, beklagte, dass das Land „einseitig Fakten geschaffen“ habe, ohne mit den Kommunen die Rahmenbedingungen zu besprechen. Nur wenn die Karte flächendeckend eingeführt werde, könne sie auch einen Beitrag leisten, Migration zu steuern, erklärte er.

Kritik an Bezahlkarte: „Bürokratisch, kostspielig und ineffektiv“

Während die Politik streitet, gehen Sozialverbände auf Distanz zum Vorhaben. Die Caritas in Nordrhein-Westfalen nennt die geplanten Bezahlkarten für Asylbewerber „zwar populär, aber letztlich bürokratisch, kostspielig und ineffektiv“. Der Aufbau alternativer Bezahlsystemen sei wenig sinnvoll. „Eine konstruktive Asylpolitik investiert in die Integration von Geflüchteten und stärkt sie in ihren Teilhabemöglichkeiten“, betont der Kölner Frank Johannes Hensel, Sprecher der Caritasdirektoren in NRW.

Die Erwartungen der Bundesländer, dass sich mit der Bezahlkarte Verwaltungsverfahren vereinfachen, sei dann gerechtfertigt, „wenn man zuvor mit Sachleistungen gearbeitet hat, also mit der Ausgabe von Kleidungsstücken oder Lebensmitteln“, sagt Birgit Glorius, die dem Sachverständigenrat Migration (SVR) angehört, dem „Evangelischen Pressedienst“. „Die müssen eingekauft, gelagert und ausgeteilt und die Ausgabe dokumentiert werden.“ Die Bezahlkarte müsse nur einmal ausgehändigt werden, alles andere erfolge auf digitalem Wege. „Sicherlich benötigt die Auszahlung des Taschengeldes als Bargeldleistung weiter eine parallele Verwaltungsstruktur, aber die Kombination Bezahlkarte und Taschengeld ist in der Summe dennoch weniger aufwendig als die Kombination Sachleistungen und Taschengeld“, erläutert die Professorin an der TU Chemnitz. Zugleich stellt die Migrationsforscherin klar, dass die Sozialleistungen, gleich in welcher Zahlart, kein maßgeblicher Pull-Faktor seien. „Sozialleistungen sind kein entscheidender Faktor für die Zielland-Entscheidung. „Ich würde Politikerinnen und Politikern aus dem demokratischen Parteienspektrum raten, sich mit entsprechenden öffentlichen Äußerungen ein wenig zurückzuhalten.“

Hamburg gibt als erstes Bundesland Bezahlkarte für Asylsuchende aus

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) lehnt die Bezahlkarten für Asylbewerber an sich ab. „Es ist nicht erkennbar, welches reale Problem durch sie gelöst werden soll“, sagt Stefan Keßler, der stellvertretende Direktor, im Interview mit dem „Evangelischen Pressedienst“. Vor allem wegen des erwartbar hohen technischen Aufwandes erscheine die Einführung wenig sinnvoll, kritisiert der Referent für Politik und Recht, Sozial- und Verfahrensberatung. „Es wäre einfacher, den Menschen den Zugang zu regulären Bankkonten zu ermöglichen und die Hilfeleistungen darauf zu überweisen“, betont der Experte. Und: Es sei „schlicht und einfach schäbig, die Karte aus migrationspolitischen Erwägungen heraus besonders abschreckend zu gestalten“.

Ungeachtet der Kritik und Bedenken, hat Hamburg als erstes Bundesland damit begonnen, Bezahlkarten an Asylsuchende auszugeben. Seit Donnerstag erhielten neu ankommende Geflüchtete in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Prepaid-Karte, denen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen, sagte ein Sprecher der Sozialbehörde. Jeder Erwachsene erhalte auf die Karte eine monatliche Gutschrift von 185 Euro, mit der Dinge des täglichen Bedarfs eingekauft und bezahlt werden könnten. Leistungen für Kinder würden ebenfalls auf der Karte eines Elternteils gutgeschrieben. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik

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