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Bezahlung mit einer Karte (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

„Billiger Populismus“

Bundesweite Bezahlkarte für Flüchtlinge kommt

Eine Bezahlkarte für Flüchtlinge soll von einer Flucht nach Deutschland abschrecken. Fast alle Länder einigen sich auf ein gemeinsames Vergabeverfahren - zwei gehen einen eigenen Weg. Scharfe Kritik kommt aus der Fachwelt, von Wohlfahrtsverbänden und der Linkspartei.

Donnerstag, 01.02.2024, 14:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 02.02.2024, 6:38 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Einführung der bundesweiten Bezahlkarte für Flüchtlinge rückt näher. Damit sollen Asylbewerber künftig einen Teil der staatlichen Leistungen als Guthaben erhalten und nicht mehr als Bargeld. 14 von 16 Bundesländern einigten sich nun auf ein gemeinsames Vergabeverfahren, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Wie der hessische Ministerpräsident und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Boris Rhein (CDU) am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, gehen Bayern und Mecklenburg-Vorpommern eigene Wege, wollen aber ebenfalls eine Bezahlkarte einführen.

Mit der Karte soll unter anderem verhindert werden, dass Flüchtlinge Geld an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen. „Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt, um Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, bekräftigte Rhein. Der Co-Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) erklärte: „Die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereitgestellten finanziellen Mittel sollen den Lebensunterhalt in Deutschland sichern, sie dienen – bei allem Verständnis – nicht der Finanzierung der Familien im Heimatland.“

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Migrationsexperte widerspricht

Nach Einschätzung des Migrationsforschers Herbert Brücker hingegen wird die Einführung der Bezahlkarte nicht dazu führen, dass Asylantragszahlen reduziert oder Rücküberweisungen in die Herkunftsländer verhindert werden. Das lasse sich empirisch nicht belegen. „Wir wissen aus Studien, dass nur zehn bis 20 Prozent der Asylbewerber überhaupt solche Rücküberweisungen tätigen“, erläuterte Brücker. Auch seien die überwiesenen Summen sehr gering. Wenn es doch zu Rücküberweisungen komme, sei deren Effekt „nicht per se negativ“. Denn mit dem Geld würden Familienangehörige unterstützt, die dadurch eher in ihren Ländern bleiben.

„Die Effekte, die man sich von einer Bezahlkarte für Asylbewerber erhofft, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten“, sagte der Migrationsexperte. Es gebe so gut wie keine belastbaren Erkenntnisse dazu, dass die Höhe der Leistungen für Asylbewerber die Zahl der Asylanträge beeinflusst.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist anderer Meinung. Er erklärte, die Anreize für „irreguläre“ Migration – gemeint sind Menschen, die mangels legaler Fluchtwege, Grenzen ohne gültige Dokumente einreisen – müssten deutlich gesenkt werden. Die Einführung der bundesweiten Bezahlkarte sei „ein Meilenstein.“

Nur noch 150 Euro bar

Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheide jedes Land selbst, erläuterte Rhein. Laut aktueller Rechtsprechung müsse jedem Leistungsbezieher ein Teil des Geldes bar ausgezahlt werden. Bei diesem Taschengeld „reden wir wahrscheinlich von einem Betrag um die 100 bis 150 Euro“, ergänzte der MPK-Vorsitzende. „An dem kommt man nicht vorbei, das muss bar verfügbar sein.“ Alles Weitere müsse in den Ländern festgelegt werden.

Die Bezahlkarte habe keine Kontobindung und könne grundsätzlich in allen Branchen eingesetzt werden, aber nicht im Ausland. „Die Nutzung kann aber von den einzelnen Ländern regional eingeschränkt, Branchen können ausgeschlossen werden“, erläuterte Rhein. Als Beispiel nannte er die Glücksspielbranche.

Wohlfahrtsverbände kontern

Da mit einer Bezahlkarte Bargeldauszahlungen an Asylbewerber weitgehend entbehrlich würden, sinke der Verwaltungsaufwand in den Kommunen, sagte Weil. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, forderte laut einem Bericht des „Handelsblatts“: „Die flächendeckende Einführung von Bezahlkarten für Asylbewerber ist richtig und muss so schnell wie möglich realisiert werden.“

Das sehen Wohlfahrtsverbände anders. Das Vorhaben stehe auf „äußerst dünnes Eis“, erklärte Diakonie-Vorständin in Berlin-Brandenburg Andrea U. Asch am Mittwoch für die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Es sei zu bezweifeln, dass die Geldkarte wie von der Politik angekündigt Verwaltungskosten einspart. Sie gehen davon aus, dass das neue System allein in Berlin jährlich zehn Millionen Euro kostet, die dann für Migrationsberatungen und für Integrationskurse fehlten. „Die Menschenwürde darf nicht wieder auf der Welle populistischer Ideen den Kürzeren ziehen“, erklärte Asch. „Erfahrungen mit Bezahlkarten zeigen: Eine eigenständige Lebensgestaltung für Asylbewerber wird dadurch erschwert.“ Sie erlebten auf diese Weise diskriminierende Einschränkungen.

Die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten sich im November 2023 darauf verständigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf einer Karte bekommen sollen. Bei der nun geplanten Ausschreibung geht es vor allem um einen gemeinsamen Dienstleister für die technische Infrastruktur.

Bund will Weg freimachen für Bezahlkarte

Asylbewerber erhalten bislang gesetzlich festgelegte Regelleistungen und darüber hinaus besondere Unterstützung, etwa im Fall von Krankheit oder Schwangerschaft. Ende 2022 hatten rund 482.300 Menschen nach Angaben des Statistischen Bundesamts Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen, Zahlen für 2023 liegen bisher nicht vor.

Der Bund habe sich im Zuge der Verhandlungen bereit erklärt, alle notwendigen bundesrechtlichen Änderungen schnellstmöglich auf den Weg zu bringen, teilte Rhein mit. Aus Sicht der Grünen im Bundestag ist keine Gesetzesänderung nötig. „Ländern und Kommunen steht es offen, eine Bezahlkarte für Geflüchtete einzuführen. Die rechtlichen Möglichkeiten existieren“, sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Bezahlkarte im Testlauf

Für mehrere Hunderte Flüchtlinge in Thüringen ist eine Bezahlkarte bereits Alltag. Dort haben die Landkreise Greiz und Eichsfeld schon im Dezember Modellversuche gestartet, weitere Kreise wollen in den kommenden Wochen nachziehen. Die erste Resonanz ist aus Sicht der Verantwortlichen positiv: Die Umstellung habe problemlos geklappt und werde weitgehend akzeptiert, hieß es. Beide Landkreise berichteten aber auch von Menschen, die nach Einführung der Karte ausgereist seien. „Die Bezahlkarte wird schon ein bisschen die Spreu vom Weizen trennen“, sagte etwa eine Flüchtlingsberaterin in Greiz.

Deutliche Kritik an den Regelungen übte der Flüchtlingsrat in Thüringen. So könne zwar in Supermärkten bezahlt werden, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme. Die Organisation Pro Asyl nannte die Bezahlkarte ein „Diskriminierungsinstrument“. Es werde vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken.

Linke: billiger Populismus

Die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler widersprach der Einschätzung, dass mit der Bezahlkarte die irreguläre Zuwanderung begrenzt werde. Untersuchungen zeigten, dass Sozialleistungen keine Pull-Effekte hätten. „Billiger Populismus und Scheinlösungen bringen uns in der Flüchtlingspolitik kein Stück weiter“, erklärte Wissler.

Bayern will sein Modell im März erstmals testen. „Während die gemeinsame Ausschreibung der anderen Bundesländer noch nicht einmal gestartet ist, sind wir bereits mitten im Vergabeverfahren“, sagte Sandro Kirchner (CSU), Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, in München. Zuvor hatte der Radiosender Antenne Bayern berichtet. Die Bezahlkarte soll im Freistaat bis Sommer schon flächendeckend eingeführt werden. Dabei sollen Bargeldabhebungen auf das rechtlich gebotene Minimum beschränkt werden. (dpa/epd/mig) Leitartikel Panorama

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