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Mann kehrt Laub (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

„Diskussion schadet und spaltet“

Debatte über Arbeitspflicht, Arbeitsverbot und Zwangsarbeit für Asylbewerber

Bei der Frage nach einer 80 Cent/Stunde-Arbeitspflicht für Asylbewerber zeigen sich die Kommunen zurückhaltend, manche Länder sind dafür. Pro Asyl äußert verfassungs- und arbeitsrechtliche Bedenken. Gewerkschaften warnen vor ausbeuterischen Geschäftsmodellen. Politiker warnen vor falschen Erzählungen über Geflüchtete.

Sonntag, 03.03.2024, 14:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 03.03.2024, 14:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Statt einer Arbeitspflicht für Asylbewerber regt der Städte- und Gemeindebund eine Anpassung der bereits geltenden Vorgaben an. „Um mehr Asylbewerber in Arbeit zu vermitteln, ist eine Arbeitspflicht weder nötig noch zielführend“, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Es bedarf nur einer Anpassung der aktuellen Regeln, über die wir zwingend diskutieren sollten.“ Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen plant als erster Landkreis in Deutschland die Durchsetzung einer Arbeitspflicht für Asylbewerber.

Aktuell dürften Geflüchtete nicht arbeiten, solange sie sich im Asylverfahren befänden, erklärte Berghegger. „Wenn angemahnt wird, dass zu wenig Geflüchtete arbeiten, muss der erste logische Schritt sein, die Asylverfahren beschleunigt zu einem Abschluss zu bringen“, sagte er. Auch könne es eine Chance sein, die Beschäftigungsmöglichkeiten schon im laufenden Asylverfahren zu eröffnen, wenn die vorläufige Prüfung ein Recht auf Asyl erwarten lasse. „Es muss unsere Motivation sein, die voraussichtlich Asylberechtigten so schnell wie möglich in Arbeit zu vermitteln, allein schon weil Arbeit ein wichtiger Schlüssel zur Integration ist“, betonte Berghegger.

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Pro Asyl: 80 Cent/Stunde erinnert an Zwangsarbeit

Auch der Sozialverband VdK wandte sich gegen eine Arbeitspflicht für Asylbewerber. „Wir lehnen den Vorschlag ab, Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der „Rheinischen Post“. „Die eigentliche Herausforderung ist, dass wir mehr Arbeitskräfte in sozialversicherungspflichtigen Jobs brauchen“, sagte die VdK-Chefin. Es sei wichtig, dass Berufs- und Ausbildungsabschlüsse schneller und einfacher anerkannt werden.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl äußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit: „Wir haben bei der Arbeitspflicht große verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Bedenken, weil dies an Zwangsarbeit erinnert und sie für 80 Cent pro Stunde arbeiten müssen“, sagte der flüchtlingspolitische Sprecher Tareq Alaows dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Die Debatte suggeriere, dass die Menschen arbeitsunwillig seien. „Dabei unterliegen sie oft gesetzlichen Arbeitsverboten und verlieren durch langwierige Verfahren für die Erlangung von Arbeitserlaubnissen Jobangebote wieder“, sagte er. Arbeitsverbote für Geflüchtete sollten aufgehoben werden.

DGB: Diskussion schadet und spaltet

Strikt gegen eine Arbeitspflicht wandten sich auch Gewerkschaften. „Arbeitspflicht für Geflüchtete ist ein weiterer substanzloser Höhepunkt der Debatten auf dem Rücken von geflüchteten Menschen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Sie könnten zwar mit gemeinnützigen Tätigkeiten gegen Aufwandsentschädigung betraut werden. „Ansonsten ist ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt aber weitgehend verwehrt.“

Piel sagte, werde in Arbeit vermittelt, müsse dies gute und sozialversicherte Beschäftigung sein. „Schutzsuchende Menschen in den Niedriglohnsektor zu zwingen und sie ausbeuterischen Verhältnissen preiszugeben, darf keinesfalls Geschäftsmodell werden.“ Problemfälle zum Beispiel bei Paketdiensten, in der Saisonarbeit, in Lkws und auf dem Bau seien hinlänglich bekannt. Diskussionen über Arbeitspflichten heizten die aufgeladene Stimmung im Land weiter an. „Das schadet und spaltet“, sagte Piel.

Heil: Flüchtlinge sollen in sozialversicherungspflichtige Arbeit

Die FDP hält es grundsätzlich für angemessen, mehr Asylbewerber zu einer gemeinnützigen Arbeit in Kommunen zu verpflichten. „Dass Asylbewerber in den ersten drei Monaten keine sozialversicherungspflichtigen Jobs ausüben dürfen, ist richtig – denn viele von diesen müssen unser Land ja nach Prüfung auch wieder verlassen, was schneller gehen muss“, sagte FDP-Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel der „Rheinischen Post“. „Dass Asylbewerber am Ort ihrer Unterkunft aber gemeinnützig tätig werden und so auch einen Beitrag für die Solidarität in der Gemeinde leisten, ist angemessen und richtig.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hält eine Arbeitspflicht für Asylbewerber „im Einzelfall“ für sinnvoll. Eine „nachhaltige Arbeitsmarktintegration“ werde so aber nicht gelingen, hatte er dem Boulevardblatt „Bild“ gesagt. Sein Ziel sei es deshalb, anerkannte Flüchtlinge dauerhaft in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen. Ähnlich sieht es die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. „Ich halte davon nichts“, sagte sie der „Thüringer Allgemeinen“. Ähnliche Maßnahmen seien in der Vergangenheit erfolglos bei Langzeitarbeitslosen versucht worden. „Angesichts des Fachkräftemangels ist es heute viel besser, die Geflüchteten schneller und unkomplizierter in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen.“

Länderumfrage: Bayern und Sachsen-Anhalt für Arbeitspflicht

In einer Länder-Umfrage des „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) haben sich mehrere Bundesländer dafür ausgesprochen, in ihren Kommunen eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge einzuführen. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums in Schleswig-Holstein sagte, dass die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Mitwirkungspflichten effektiver durchgesetzt werden müssten. Dabei sei eine flächendeckende Arbeitspflicht für Geflüchtete durchaus vorstellbar.

Auch das Innenministerium in Sachsen-Anhalt sieht die Regelung positiv. Arbeitsgelegenheiten seien ein Instrument, mit dem vor allem Menschen, die noch nicht arbeiten dürften, die Gelegenheit gegeben werde, nicht in Untätigkeit zu verfallen, erklärte eine Sprecherin. Saarlands Minister für Arbeit und Soziales, Magnus Jung, wünscht sich ebenfalls Beschäftigung für Geflüchtete, jedoch auf freiwilliger Basis. Unterstützung für die örtliche Umsetzung der Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz kam zuvor auch von Bayerns Innenminister.

Nonnenmacher beklagt „falsche Erzählung vom arbeitsscheuen Geflüchteten“

Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann sagte dem RND: „Arbeitsmarkt- und sozialpolitisch ist es zu begrüßen, wenn die Menschen, die in dieses Land kommen, so schnell wie möglich in geregelte Tagesabläufe kommen und eine sinnvolle Aufgabe haben.“ Dennoch sieht Laumann keinen Anlass für neue zusätzliche Gesetze oder Vorschriften. Dafür sei der Paragraf 5 im Asylbewerberleistungsgesetz geschaffen worden. „Ich sehe hier keinen darüber hinaus gehenden Regelungsbedarf.“

Ablehnend reagierten Berlin, Brandenburg und Hamburg. „Mit dieser Scheindebatte zur Arbeitspflicht wird nur wieder die falsche Erzählung vom arbeitsscheuen Geflüchteten bedient“, sagte Brandenburgs Integrationsministerin Ursula Nonnenmacher (Grüne) dem RND. (epd/mig) Leitartikel Politik

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