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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Nächstenliebe á la Union

Die Koalition diskutiert eine neue Strafnorm, die gruppenbezogene Beleidigungen erfassen soll - allerdings nur Gruppen, die während der NS-Zeit verfolgt wurden. Also Muslime nicht, Asiaten nicht, Frauen nicht...

Von Dienstag, 06.04.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.04.2021, 12:04 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es ist schon eine besondere Form von Rassismus, den die Union gerade zur Schau stellt – oder ist es doch religiöser Eifer? Die Koalition, die nun wirklich den Titel „groß“ nicht mehr verdient, diskutiert derzeit über eine neue Strafnorm der „verhetzenden Beleidigung“. Im Grunde geht es um die Bestrafung gruppenbezogener Beleidigungen in einer bisher bestehenden Lücke zwischen persönlicher Beleidigung und Volksverhetzung.

Und für die Union gilt es dabei offensichtlich zuallererst einmal zu klären, dass diese neue Strafnorm nur ja nicht so weit gefasst wird, dass sie alle Menschen abdeckt – Muslime will sie – wie die taz berichtet – ausdrücklich ausschließen. Dazu soll die Norm explizit auf Gruppen begrenzt werden, die während der NS-Zeit verfolgt wurden – als hätten die Nazis in Deutschland das alleinige Vorschlagsrecht für gruppenbezogene Diskriminierung und Nàsis (National-Asoziale) daran nichts mitzureden.

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„Fraglich ist, ob und wie schnell es die Ausmaße eines neuen NSU annehmen wird, der, nur zur Erinnerung, vornehmlich eben Muslime tötete und keine vom NS-Regime verfolgte Gruppe, obwohl er dessen Namen übernommen hatte.“

Dabei erleben wir gerade doch, ausgehend von den USA, wie eine neue Welle von rassistischer Gewalt um sich greift. Denn auch wenn es, gerade in den USA zu Kriegszeiten, immer mal wieder Konjunktur für antiasiatischen Rassismus gab, war diese Form von Diskriminierung und Gewalt, die Donald Trump mit seiner antichinesischen Corona-Rhetorik wieder salonfähig gemacht hat, zuletzt doch wieder weitgehend verschwunden. Körperliche Angriffe auf betagte Passanten sind dabei nur die sichtbarste Folge eines Jahres voller Anekdoten über die „Kung Flu„. Fraglich ist, ob und wie schnell es die Ausmaße eines neuen NSU annehmen wird, der, nur zur Erinnerung, vornehmlich eben Muslime tötete und keine vom NS-Regime verfolgte Gruppe, obwohl er dessen Namen übernommen hatte.

Und natürlich wurden auch Frauen im Dritten Reich nicht als Gruppe verfolgt und stecken somit in der Diskriminierungslücke, müssen sich daher also weiterhin im Spannungsfeld zwischen persönlicher Beleidigung und Volksverhetzung angreifen lassen, wenn die Union ihren Willen bekommt – und davon ist auszugehen, weil es an den Profi-Umfallern von der SPD liegt, ebendas zu verhindern. Aber da Frauen im Weltbild der Union generell nicht als Subjekte vorkommen, ist wohl davon auszugehen, dass diese sich wie so häufig zwar mitgemeint fühlen dürfen, aber eben nicht explizit genannt werden. Dabei gilt auch hier: Frauen schlägt gerade im Netz signifikant mehr Hass entgegen als Männern.

Doch die öffentlich geführte Diskussion findet aktuell eben noch am Beispiel der muslimischen Minderheit in diesem Lande statt, mit der SPD und dem Zentralrat der Juden beispielhaft auf der einen Seite und der christlichen Union auf der anderen – vermutlich im Wissen um die Unterstützung der AfD, NPD und all der anderen selbsternannten Pegidisten.

Wie bereits angedeutet, bieten sich für diese Position eigentlich nur zwei Deutungen an. Erstens: Die Union will ihr „christliches Profil“ schärfen. Auch wenn niemand weiß, was das eigentlich bedeutet, fundamentalistischer Kreuzrittereifer ist spätestens mit George Bush junior – der Stimmen hörte, die ihm befahlen im Namen Gottes den Irak zu überfallen – wieder in Mode gekommen. Die Missionare, die im Gefolge der Panzer in das zuvor säkular regierte Land einfielen, haben ja auch ganze Arbeit geleistet. Und die Diskriminierung Andersgläubiger hat im Christentum immerhin eine längere Tradition als irgendwo sonst.

„Union düngt ein allgemeineres, säkulareres Sentiment gegen ‚die Einwanderer‘ und ‚die Flüchtlinge‘, die eben nicht aus – um den bereits erwähnten Donald Trump frei zu zitieren – Norwegen, sondern aus den ’shithole-countries‘ kommen, die die Union als muslimisch geprägte Länder identifiziert hat.“

Zweitens: Die Union düngt ein allgemeineres, säkulareres Sentiment gegen „die Einwanderer“ und „die Flüchtlinge“, die eben nicht aus – um den bereits erwähnten Donald Trump frei zu zitieren – Norwegen, sondern aus den „shithole-countries“ kommen, die die Union als muslimisch geprägte Länder identifiziert hat. Dieses Sentiment zu bedienen, auf dass AfD und Pegida gern ein Monopol reklamieren, öffnete natürlich eine Brücke in eine Koalition mit ebenjener AfD, wie sie FDP-Mann Kemmerich schon letztes Jahr schmieden wollte – auch wenn dazu kaum jemand in der Union offen stehen wird. Vielmehr dürfte in Unions-Logik dieser Schritt dazu dienen, der AfD die fremdenfeindlichen Wähler abzujagen – auch wenn die These, der AfD könne man Wähler abspenstig machen, wenn man ihr nur nach dem Maul rede, längst widerlegt ist: Das Gegenteil ist der Fall.

So oder so ist es ein perfider Ausdruck von Rassismus, in einer Rechtsnorm zu gruppenbezogener Beleidigung – die eine Rechtslücke schließen soll, die bisher durch andere Strafnormen nicht abgedeckt ist – ausdrücklich einzelne Gruppen auszuschließen. Es ist die eine Sache, eine besondere Schutzbedürftigkeit der von den Nazis verfolgten Volksgruppen festzustellen – es ist aber eine völlig andere Sache, festzustellen, dass andere Gruppen keinen Schutz vor dieser Form der „verhetzenden Beleidigung“ verdienen. Und genau das tut die Union hier. Meinung

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  1. Levent Öztürk sagt:

    Es gibt nahezu täglich Anschläge auf Moscheen in Deutschland, die verheerenden rassistischen Anschläge mit von Nazis ermordeten türkischen Frauen und Kinder wie in Mölln und Solingen zerreißen jedem in Deutschland lebenden Türken heute noch das Herz. Dann die Ermordung von Türken durch NSU-Nazis und heute der NSU 2.0, wo man es nicht einmal nötig hat, strafrechtlich zu ermitteln bzw. der Sache auf den Grund zu gehen. Zwischendurch immer wieder rassistisch motivierte Anschläge mit vielen toten Muslimen wie in München, Hanau oder von Nazis verübte Terroranschläge wie in Köln Keupstr….um nur einmal eine kleine Auswahl hier anmerken zu dürfen. Es ist schon fast typisch und symptomatisch, dass die Bundesregierung bei der Diskussion um eine neue Strafnorm bei Beleidigungen gegen bestimmte Gruppierungen diese seit Jahren am meisten unter rassistischem Hass und Hetze sowie rassistischen Attacken leidende Gruppe der in Deutschland lebenden Türken und Muslime ausschließt. Und morgen kommen dann wieder seitens unserer deutschen Freunde, deutschen Medien und deutschen Politiker mit erhobenem Finger schlecht gespielte Empörungen, Schnappatmungen, Echauffierungen und Belehrungen über angebliche Menschenrechtsdefizite in der Türkei. Wen interessieren da schon die Opfer der rassistischen Gewaltattacken, vertuschten NSU-Morde und Anschläge, aus den Reihen der in Deutschland lebenden Muslime und Türken.