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Szene aus dem Video "Das Experiment".

Das Experiment

Muslime und Juden im Glaskasten

Tiere werden in einen Glaskasten gesetzt. Sie gehören vermeintlich unterschiedlichen Spezies an. Ein Forscherteam hält das Zusammentreffen mit einer Kamera fest: Werden sich die beiden nun zerfleischen? Oder doch überglücklich in die Arme fallen? Wie geht das "Experiment" aus? Hannah Tzuberi über ein Video, das in sozialen Netzwerken bereits hunderttausendfach angesehen wurde.

Von Mittwoch, 03.02.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.02.2016, 16:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Spezieszugehörigkeit beider Tiere ist ganz leicht zu erkennen: Das eine Tier hat eine Kippa auf dem Kopf, es heißt „der Jude“. Das Forscherteam nimmt die Perspektive des Juden ein: Er ist das Individuum, das auf seinem Weg durch den Dschungel begleitet wird. Es ist eine Expedition des Menschen hin zu den Wilden, mitten rein in eine nicht näher differenzierte Masse von Barbaren: die Geflüchteten, die da hausen in der Mehrzweckhalle.

Mit erregter Spannung erwartet das Forscherteam den Ausgang des Experiments: Was wird passieren, wenn die Wilden das erste Mal in ihrem Leben einen Juden sehen? Ganz tief im Inneren weiß das Team natürlich: Nicht nur die Wilden, sondern auch die Forscher selber hatten in der Vergangenheit eher wenig mit Juden zu tun. Die unmittelbaren Vorfahren der Forscher nämlich löschten jüdisches Leben in ganz Europa aus. Als sie dann zum ersten Mal in ihrem Leben auf einen lebendigen Juden treffen, zittern daher vor allem sie selbst – nur gut, dass sie ihre Vergangenheit bewältigt haben, und „dem Juden“ so ganz ungezwungen gegenüber treten. So ungezwungen, dass sie ihn mitsamt seines Markenzeichens, der Kippa, in feindlicher Umgebung aussetzen, um dann mit Erregung festzustellen, dass der anti-Semitismus nun bei den Geflüchteten zu Hause ist. Welch Erleichterung!

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Die Geflüchteten selber drehen sich weg. Sie wollen am „Experiment“ nicht so richtig teilhaben, was schade ist, denn nur durch dieses Experiment können die Forscher erkennen, ob die Geflüchteten integriert werden können, in die zivilisierte Welt da draußen, jenseits der Mauern der Unterkunft: da, wo Antisemitismus allenthalben geächtet wird – wo es zwar auch kaum mehr Juden gibt, wo man ab und zu Mal die Beschneidung verbieten möchte, wo man die Sichtbarkeit nicht-protestantischer Religiosität mit dem Verweis auf die eigene Neutralität kriminalisiert. Wo man Juden vor allem dann wirklich sehr, sehr gerne hat, wenn sie sich zur Bestätigung des eigenen Selbstbildes benutzen lassen.

Yonatan Shay besucht das Flüchtlingscamp in Tempelhof

Geht ein Jude in eine Flüchtlingsunterkunft… Das Experiment.

Posted by DIE WELT Video on Sonntag, 24. Januar 2016

Nein, das ist keine Relativierung von Antisemitismus. Es ist auch nicht der Versuch, ein real existierendes Problem kleinzureden, unter den Tisch zu kehren, oder zu verharmlosen. Es ist ganz einfach ein Hinweis darauf, dass wirklich niemandem damit geholfen ist, wenn Juden und Muslime wie Versuchskaninchen in eine Glasbox gesetzt werden, um ihre Feindschaft und/oder Freundschaft vor deutschen Kameras zu demonstrieren.

Denn Antisemitismus ist kein mystisches Spaghettimonster, das sich wahlweise auf verschiedene Bevölkerungsgruppen setzt, dort sein Unheil anrichtet, und dann weiterfliegt, um sich ein neues Zuhause zu suchen. Antisemitismus ist, in diversen Ausformungen und Facetten, ein Bestandteil des christlichen Abendlandes, und wenn jetzt zur „Antisemitismus-Prävention“ Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen brennen, dann schützt der weiße Europäer nicht die hier lebenden Juden, sondern benutzt sie zur Legitimation seines eigenen Rassismus. Aktuell Meinung

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  1. Matthias sagt:

    Sie schreiben von Israel, ich von Christenverfolgung. Das sind unterschiedliche Dinge.

  2. Eysell sagt:

    @ Magistrat: Es ist schlichtweg eine Leugnung historischer Tatsachen, wenn sie behaupten es hätte niemals in der Geschichte Übergriffe auf Jüdinnen und Juden durch muslimische Gläubige gegeben. Das ist schlichtweg falsch.

    Richtig ist, dass es keine vergleichbare Verfolgung von Jüdinnen und Juden gab, wie sie etwa in christlichen Ländern aufgund des christlichen Antijudaismus und den späteren Antisemitismus gab. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Verfolgung von Juden in der Vergangenheit in der muslimischen Welt gab.

    Die gab es sehr wohl, etwa unter den muslimischen Almohaden in Nordafrika und Spanien im 12. Jahrhundert, wo es zu Massakern und Zwangskonvertierungen kam. In der Türkei kam es zu Pogromen gegenüber Synagogen in den 50iger Jahren. Obwohl die Zahl der Juden zur Zeit Mohammads in der arabischen Welt relativ imposant war, glaubt man historischen Quellen, ist die arabische Halbinsel heute quasi frei von jüdischen Leben und die Zahl sank in den meisten arabischen Ländern erheblich. Komischer Zufall und bitte kommen sie nicht mit der Standarderklärung, dass sie alle freiwillig den Islam angenommen haben, weil es ihnen so gut unter den Muslim ging. Das ist sehr sehr zweifelhaft.

  3. Magistrat sagt:

    @Eysell
    Was bitte hat die Emigration arabischer Juden im 20jh gen Israel mit Judenverfolgung zu tun? Man kann es wirklich noch geschmackloser übertreiben. Anders als bekennende Islamhasser, sehen das jüdische seriöse Historiker und ausgewanderten Juden wie der aus dem Irak stammende Israeli Shlomo Hillel (knesset Sprecher): „I do not regard the departure of Jews from Arab lands as that of refugees. They came here because they wanted to, as Zionists.“, es gäbe noch viele weitere wie Tom Segev, Avi Shlaim, Yehoshua Porath, die Ihrer Narrative vehement widersprechen würden. Das heißt nicht, dass jegliches Unrecht ausgeschlossen ist, nein es gab natürlich auch unfreiwillige Auswanderer und Flüchtlinge unter ihnen. Das macht aber noch lange keinen Progrom. Im übrigen seien Sie daran erinnert, dass der Magreb damals noch unter europäischer Kolonialherrschaft stand, womit begangene staatliche Verbrechen wieder einmal v.a auf ihr Konto gehen.