Niedersachsen

Verfassungsschutz erfasst Moscheebesucher

In Niedersachsen wurden zu Unrecht Daten von knapp 100 Muslimen gespeichert. Begründung: Sie gehen regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee. Innenminister Pistorius verspricht Reform. Grüne machen unterdessen Ex-Innenminister Schünemann verantwortlich. CDU wehrt sich und warnt.

Donnerstag, 15.05.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.05.2014, 1:11 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat über viele Jahre zu Unrecht Daten von mehreren Hundert Personen gespeichert. Allein im Phänomenbereich Islamismus wurden knapp 100 Personen allein wegen regelmäßiger Besuche von Freitagsgebeten erfasst. Das geht aus einem Task-Force Bericht hervor, der am Mittwoch vom Innenminister Boris Pistorius (SPD) im Landtag vorgestellt wurde.

Im vergangenen Herbst war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz in der Amtszeit von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mehrere Journalisten, Rechtsanwälte und Politiker rechtswidrig überwacht hatte. Als Konsequenz daraus richtete der heutige Innenminister Pistorius eine „Task Force“ zur Überprüfung aller rechtswidrigen Speicherungen ein.

___STEADY_PAYWALL___

40 Prozent der Daten unrechtmäßig
Wie aus dem Bericht hervorgeht, soll der Verfassungsschutz in einem Fall sogar die Daten einer Frau gespeichert haben nur weil ihre Telefonnummer im Mobiltelefon eines Kalifatstaatsanhängers gespeichert war. „Erkenntnisse zu der Frau lagen dem Fachbereich aber nicht vor. Selbst Lichtbildvorlagen bei 3 Quellen verliefen negativ. Die Frau hätte also die Zahnärztin, Rechtsanwältin oder Krankengymnastin sein können, wurde aber dennoch gespeichert, nur weil sie in seinen Handykontakten war“, sagte Pistorius in seiner Landtagsrede.

Insgesamt überprüfte die Task-Force 9.004 Datensätze, gegliedert nach den Phänomenbereichen Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug, Islamismus und Rechtsextremismus. Dabei ist sie zu dem Ergebnis gekommen, dass davon 1.937 Datensätze nicht in der Datei hätten sein dürfen. Entweder weil sie nie hätten aufgenommen werden dürfen oder weil sie längst hätten gelöscht werden müssen. Das entspricht gut 20 Prozent aller überprüften Datensätze.

Limburg: Daten sind Ausdruck der Geisteshaltung
Die Task Force empfiehlt in ihrem Abschlussbericht damit die umgehende Löschung jeder fünften Datei in den Akten des Verfassungsschutzes. Hinzu kommen 1.564 Speicherungen, also noch mal knapp 20 Prozent die auf Empfehlung der Task Force zeitnah gelöscht werden müssen, da sie nicht länger für die Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Aus den vorgefundenen Datensätzen bleiben damit voraussichtlich zukünftig insgesamt lediglich gut 60 Prozent in der Amtsdatei. Die Prüfung konzentrierte sich dabei auf die folgenden zwei Fragen: Sind die Grundrechte hinreichend beachtet worden? Und: Waren die Speicherungen erforderlich und verhältnismäßig?

Für den rechtspolitischen Sprecher der Grünen, Helge Limburg, zeigen diese Zahlen, den „Ausdruck eines damals vorherrschendes Geistes beim Verfassungsschutz“. Das Ausmaß der rechtswidrigen Datenspeicherungen sei erschreckend, jeder einzelne von ihnen stelle einen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar. „Unter schwarz-gelber Regierungsverantwortung und unter CDU-Innenminister Uwe Schünemann wurden durch den Verfassungsschutz massenhaft Grundrechte verletzt. Bereits der bloße Besuch einer Moschee konnte als Grund für die Erfassung von Daten herhalten“, so Limburg weiter. SPD-Fraktionschefin Johanne Modder sieht die Schuld ebenfalls beim ehemaligen Innenminister Schünemannn. Unter seiner Verantwortung „haben sich in der Behörde Methoden ausgeprägt, die mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes offenbar nicht zu vereinbaren sind“.

CDU wehrt sich gegen Vorwürfe
Das sieht der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Jens Nacke, anders: Als haltlos habe sich die Behauptung von Rot-Grün erwiesen, Daten von Journalisten oder Rechtsanwälten seien vom Verfassungsschutz systematisch erfasst worden. Dieser Vorhalt sei vollständig widerlegt worden.

Laut Bericht wurden im vergangenen Jahr jedoch unzulässige Speicherungen unter anderem von publizistisch und journalistisch tätigen Personen entdeckt. Selbst Minderjährige, die keinen konkreten zurechenbaren Gewaltbezug aufwiesen, gerieten ins Visier des Verfassungsschutzes.

Im Bereich Linksextremismus beanstandet die Task Force, dass sogar bürgerliche Proteste als extremistisch eingestuft wurden. So wurde ein Landwirt, der ausschließlich im Rahmen von Blockadeaktionen, insbesondere mittels Traktoren, im Rahmen der Anti-Castor-Proteste auffällig geworden war, gespeichert. „Das mag zwar ein Fall für die Polizei sein. Linksextremistisch ist das aber noch lange nicht“, kommentierte Pistorius dieses Beispiel. Und in 2012 wurde eine Studentin als Verdachtsfall gespeichert, nur weil sie in einem von der Polizei bewerteten „Szeneobjekt“ wohnte.

Daten von Rechtsextremisten
Zum Phänomenbereich Rechtsextremismus bemängelt der Bericht, dass im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex verfügte Löschmoratorium zu unangemessenen Verlängerungen von Wiedervorlagefristen geführt habe. Auch in diesem Bereich sollten etwa 1.400 Daten gelöscht werden.

Dem steht CDU-Politiker Nacke kritisch gegenüber: „Eine erhebliche Anzahl von Personendaten mit Extremismusbezug zu löschen, birgt ein gewisses Risiko, das haben nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem NSU gezeigt: Wer einmal vom Radar verschwunden ist, taucht möglicherweise erst wieder auf, wenn es zu spät ist.“ Der Innenminister solle sich diese Fälle sehr genau anschauen.

Mitteilung an die Betroffenen
Das Gesetz verlangt, dass jeder Datensatz regelmäßig darauf hin überprüft wird, ob er zu löschen ist. In Ausnahmefällen kann diese Wiedervorlagefrist auf maximal 5 Jahre erhöht werden. In der Behörde wurde diese Ausnahme jedoch zur Regel: Sie wurde im Datensystem automatisch gesetzt. „Nur wenn der Bearbeiter dieses nicht ausdrücklich anders eingegeben hat, war diese Frist kürzer. Der gesetzliche Ausnahmefall wurde so systematisch zum Regelfall und der gesetzliche Schutz der Höchstfrist ad absurdum geführt“, so der Minister weiter.

Zwar habe sich die Task Force dafür entschieden, die Betroffenen nicht flächendeckend zu unterrichten, um die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes nicht aufzudecken. Das Innenministerium prüfe aber, ob es bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen eine Mitteilung im Einzelfall vornehmen wird.

Pistorius: einmalige Chance
Die Ergebnisse der Task Force bieten laut Pistorius die einmalige Chance, den Datenbestand wieder in einen rechtsstaatlich einwandfreien Zustand zu versetzen. Zusammen mit den im April vorgelegten Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes habe das Land nun die Chance auf einen echten Neustart. Allerdings wurden die Handlungsempfehlungen von Migrantenorganisationen stark kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung hatten sie sich darüber beschwert, dass der Bericht zu Vorurteilen und Rassismus innerhalb des Verfassungsschutzes schweige.

Ob diese tatsächlich gelingt, wird sich allerdings noch zeigen müssen. „Die Fehler bei einzelnen Mitarbeitern zu suchen führt zu keinem Ergebnis. Art und Umfang der Fehler lassen vielmehr auf ein Organisationsverschulden schließen“, erklärte Pistorius. Das Ministerium arbeite bereits an einem Personalentwicklungskonzept. Bei der Personalauswahl werde zukünftig ein stärkeres Augenmerk Qualifikation gelegt. Dazu gehörten mehr wissenschaftliche Kompetenz, ausgeprägtes Verständnis für gesellschaftspolitische Zusammenhänge, interkulturelle Kompetenz sowie fremdsprachliche Fähigkeiten. (es) Leitartikel Politik

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. mamamia sagt:

    …… umfassende Maßnahmen müssen halt auch umfassend vorbereitet werden. alles geheim

  2. muslim sagt:

    Das ist der Alltag für Muslime nicht nur in Deutschland. Unter systematischer Überwachung, Denunzierung und Misstrauen haben Muslime auch in den USA zu leiden, wo erst vor kurzem das New York Police Department (NYPD) nach über einem Jahrzehnt erfolgloser Spionage und heimlicher Überwachung der muslimischen Gemeinden erfolglos aufgeben musste. Wie pervers das ganze ist, macht folgendes Zitat deutlich: „Those documents, they showed where we live. That’s the cafe where I eat. That’s where I pray. That’s where I buy my groceries. They were able to see their entire lives on those maps. And it completely messed with the psyche of the community.”
    http://rt.com/usa/nypd-muslim-monitoring-unit-disbanded-744/
    http://rt.com/usa/158200-us-muslim-informants-nypd/

  3. Donkey Kong sagt:

    @muslim

    es muss aber auch dazugesagt werden, dass in Moscheen schon öfters verfassungsfeindliches vorgefallen ist. So wurden in Moscheen Waffen gefunden und die 9/11 Attentäter waren nachweislich Moscheegänger. Es muss endlich auch unter moderaten Muslimen eine Debatte beginnen, wie mit Extremisten und Fundamentalisten umgegangen werden muss.

  4. muslim sagt:

    @donkey
    „die 9/11 Attentäter waren nachweislich Moscheegänger“
    Wie bitte? Nachweislich? Plausible Beweise für die muslimische Identität der Attentäter hat bis heute KEINER geliefert. Und wenn Sie immer noch die Mär von den Flugzeugen glauben, …. Newton würde sich im Grabe umdrehen.

    Die systematische Überwachung von Moscheen ist auch nicht wegen irgendwelcher Extremisten oder Fundamentalisten gerechtfertigt.
    Ich wüsste nicht, dass heutzutage Synagogen-, Kirchen- oder buddhistische Tempelgänger derartiger Erfassung ausgesetzt wären.

  5. Gero sagt:

    Muslim: Und wenn Sie immer noch die Mär von den Flugzeugen glauben,
    ___________

    Keine Mär, sondern eine Realität ist der Glaube an Verschwörungen, dem ein großer Teil der Muslime anhängen, so wie Sie.

  6. Donkey Kong sagt:

    @muslim

    Bei allem Respekt: ich glaube die Mär. Al Qaida hat sich zu den Anschlägen bekannt. Punkt.

    Es gibt keine christilichen, jüdischen oder buddhistischen Terrorgruppen hier in Deutschland. Deshalb wird da auch nichts überwacht. Und glauben Sie mir: die paar extremistischen Splittergrüppchen, die es geben mag, die werden oberserviert. 1000%. Wissen Sie, lieber muslim, Tatsachen wegleugnen bringt auch nichts. Wenn Sie auf der Seite des Grundgesetzes , der Demokratie und der Menschenwürde stehen, wären Sie sogar froh, wenn die Extremisten überwacht werden. Ich bin es auf alle Fälle.

  7. Hoppla sagt:

    @Muslim

    Sie glauben, also an Verschwörungstheorien? Aus welchem Grund sollten die USA denn ausgerechnet Islamisten (keine Muslime) für das Attentat beschuldigen, wenn es keine waren? Und sich dann mit einem Krieg gegen diese auch noch selbst in den finanziellen Ruin treiben?

    Würden diese Islamisten sich nicht so gut unter den normalen Muslimen verstecken können, dann müsste man keine Moscheen beobachten. Und man kann ja nicht behaupten, dass nicht auch viele Nicht-Muslime beobachtet werden. Oder? Aber Sie müssen schon einsehen, dass es nicht viel Sinn macht Kirchen oder Synagogen zu beobachten. Der Staat kann und darf sich nicht naiv stellen, dann ist nämlich keinem geholfen. Die normalen Muslime profitieren am meisten von einer effizienten Aufklärung!

  8. muslim sagt:

    @Donkey
    Na, ich warte immer noch auf die Beweise! Gibt es aber offenbar keine! Seit taugt ein Bekennervideo als Beweis? Ist das alles, was Sie bieten können? Vor einer Staatsanwaltschaft im Rechtsstaat würde so etwas nicht ausreichen.

    „Wenn Sie auf der Seite des Grundgesetzes , der Demokratie und der Menschenwürde stehen, wären Sie sogar froh, wenn die Extremisten überwacht werden.“
    Mit welchem Recht machen Sie solche Unterstellungen? Wenn Sie das GG kennen würden, dann wüssten Sie, dass Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG die heimliche, diskriminierende und willkürliche Überwachung verbietet! Wer hier nicht auf der Seite des GG steht ist der Niedersächsische Verfassungsschutz, der „über viele Jahre zu Unrecht Daten von mehreren Hundert Personen gespeichert“ hat. Sie sollten die im GG verbrieften Werte verteidigen und nicht Ihre eigene freiheitlich demokratische Grundordnung mit Füßen treten, nur weil es Ihnen passend kommt.

    @Hoppla
    Seit wann ist gesunder Menschenverstand Verschwörungstheorie? Cui bono? Noch nie was vom Reichstagsbrand gehört?

    @Gero
    Haben Sie den Physik- und Chemieunterricht geschwänzt? Wenn nein, dann erklären Sie mir doch mal das mit dem freien Fall oder das mit dem Verhältnis zwischen Aluminium und Stahl. Oder hören Sie einfach dem Hausmeister der besagten Türme zu, bevor Sie von „Verschwörungen“ quatschen. Die Tatzeugen wissen es um einiges besser als Sie alle hier.
    Die Wahrheit wird immer siegen.

    “Keine Mär, sondern eine Realität ist der Glaube an Verschwörungen, dem ein großer Teil der Muslime anhängen, so wie Sie.”
    Nicht nur Muslime, sondern u.a. 2.189 amerikanische Ingenieure und Architekten (ae911truth.org) sowie unzählige andere Wissenschaftler (scientistsfor911truth.org) glauben der offizielen Verschwörungstheorie nicht.

  9. Donkey Kong sagt:

    @Muslim

    um 9/11 soll es hier nicht gehen. Selbst wenn es keine Islamisten waren…
    es gibt unbestritten islamistische Umtriebe, die sich in der Menge der friedlichen und moderaten Muslime verstecken. Daher halte ich eine Überwachung in obigen Rahmen aller Moscheegänger für gerechtfertigt. Oder leugnen Sie auch die Existenz islamistischen Terrors im Allgemeinen? Gibt auch Leute, die die Existenz und die Taten der NSU bestreiten. Sie ahnen hoffentlich, was ich von diesen Leuten halte? Wenn die moderaten und friedlichen Muslime konsequent extremistische Umtriebe melden und zur Anzeige bringen würden, wäre eine Überwachung nicht notwendig. Vielleicht sollte hier mehr getan werden.

  10. muslim sagt:

    @donkey kong
    „um 9/11 soll es hier nicht gehen. Selbst wenn es keine Islamisten waren…“
    Wieso jetzt plötzlich nicht mehr? Das ist doch der Ursprung der ganzen Überwachungs- und Verdächtigungshysterie gegenüber Muslimen. Das war doch der Auslöser, mit dem das verzerrte und falsche Bild von Muslimen inszeniert worden war. „Seit dem 11. September und der Abschaffung des Religionsprivilegs gab es bis zu 70 Razzien in Moscheen und über 1.400 Büro- und Hausdurchsuchungen“ (http://islam.de/1203_print.php – das war noch 2004, die Zahlen dürften nun doppelt so hoch sein)

    „es gibt unbestritten islamistische Umtriebe“
    Welche „unbestrittenen islamistischen Umtriebe“ meinen Sie denn?? Es gibt Kriminelle jeglicher Couleur, jeglicher Religionszugehörigkeit, jeglicher Nationalität. Es gibt leider überall Menschen, die verabscheuungswürdiges tun. Jeden Tag werden mindestens 5 fremdenfeindliche und über 30 rechtextremistische Straftaten begangen. Pro Tag! Islamfeindliche Straftaten werden erst gar nicht seperat erfasst.
    Wieso genügt das nicht, Verdeckte Ermittler in die Moscheen zu schleusen? Es geht ausschließlich um Einschüchterung, Abschreckung und darum, Muslime unter Generalverdacht zu stellen um ein Feindbild aufrecht zu halten. Der rechtsstaatliche Grundsatz „nulla poena sine culpa“ gilt auch für Muslime.

    „Daher halte ich eine Überwachung in obigen Rahmen aller Moscheegänger für gerechtfertigt.“
    Dann bewegen Sie sich leider außerhalb unseres Grundgesetz. Das sind nämlich verfassungswidrige Observationen. So viel halten Sie also von Ihrer eigenen Verfassung. Na dann…