Interview mit Gabriele Gün Tank
„Es macht mir Freude, Bewegung zu sehen“
Die deutsche Gesellschaft ist vielfältig. Doch längst ist diese Gewissheit nicht überall angekommen. Mit 40 Veranstaltungen an 15 Orten will das der Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg ändern. Deshalb gibt es dort seit Samstag den Musik-, Literatur-, Film- und Diskussionsmarathon "CrossKultur". Das MiGAZIN sprach mit einer von zwei Initiatorinnen des Programms.
Von Hakan Demir Dienstag, 19.11.2013, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.11.2013, 17:33 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
MiGAZIN: Die Veranstaltungsreihe CrossKultur des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg findet nun zum fünften Mal in Folge statt: Warum ist dieses Format so erfolgreich, Frau Tank?
Gabriele Gün Tank: Einfach formuliert: Wir versuchen mit diesem Format diejenigen, die die vielfältige Realität in unseren Kiezen nicht akzeptieren wollen zu „integrieren“. Und soweit es uns möglich ist, die Teilhabe von Minorisierten zu stärken.
Das Format? Es ist eine kultur- und bildungspolitische Veranstaltungsreihe. CrossKultur habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Petra Zwaka (Leiterin des Fachbereichs Kunst, Kultur, Museen) initiiert. CrossKultur ist eine Veranstaltungsreihe, die zwischen dem Tag der Toleranz (16.11.) und dem Internationalen Tag der Migranten (18.12.) stattfindet. Es wird ein differenziertes Programm unter anderem mit Lesungen, Musik, Bühnenprogramm, Ausstellungen, Fachtagen, Diskussionen und Film angeboten.
Info: CrossKultur 2013 findet zwischen dem 16.11. und 18.12. im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg statt. Zum Download des Programms geht es hier.
Die Stärke von CrossKultur liegt in der Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen bezirklichen, berlin- und bundesweit agierenden Migrantenvereinen, Stiftungen, Gewerkschaften und Initiativen, sowie einzelner Fachbereiche der bezirklichen Verwaltung.
Unsere Vereine im Bezirk sind ziemlich gut vernetzt. Seit vielen Jahren schon gibt es die Tempelhof-Schöneberger Arbeitsgemeinschaft der Immigranten- und Flüchtlingsprojekte (T-SAGIF). Schon im ersten Jahr gab es viele unterschiedliche Impulse von Vereinen und Trägern. Mit den Jahren hat sich das immer mehr gesteigert. Etliche weitere Initiativen brachten ihren Wunsch zum Ausdruck, sich in den kommenden Jahren zu beteiligen. Gerade Migrant_innenorganisationen sind sehr aktiv dabei. Immer mehr setzen sich die Akteure zusammen und gestalten gemeinsam eine oder mehrere Veranstaltung. So diversifiziert wie die Veranstaltungsreihe selbst waren und sind auch die Akteure, ob das Integrationsbüro der Jüdischen Gemeinde, der Nachbarschaftstreffpunkt HUZUR, das Integrationszentrum Harmonie e.V., die Assyrische Union, GLADT e.V., Stadteilverein Schöneberg, Gangway e.V., die Mariendorfer Moschee und viele andere lokale Akteure. In diesem Jahr wird ein Seminar auch durch die US Botschaft unterstützt. Gemeinsam mit Daniel Gyamerah von Each One Teach One Deutschland bieten wir in diesem Jahr das Seminar „Netzwerk Inclusion Leaders“ an.
Im Grunde genommen versuchen wir mit CrossKultur Kulturschaffenden, Menschen aus der Wissenschaft und aus dem Bildungsbereich, die größtenteils selber von Diskriminierung oder Rassismus in ihren Bereichen betroffen sind, eine Plattform, einen öffentlichen Raum zu geben. Ein weiterer Baustein ist, mit den Interessenvertreterinnen und -vertretern, den Migrantenvereinen und -initiativen gemeinsam Veranstaltungen und Projekte zu konzipieren. Der dritte Baustein ist die Verwaltung, nämlich die interkulturelle Öffnung der kultur- und bildungspolitischen Einrichtungen.
MiGAZIN: Sie besitzen selbst kein Parteibuch: Ist es damit leichter, Vereine und Menschen zur Teilnahme zu bewegen?
Gabriele Gün Tank: Ich weiß nicht, woher Sie das so genau wissen (lacht). Ich arbeite für die Verwaltung, was im Grunde genommen keine Parteizugehörigkeit voraussetzt. Ich bin ein politischer Mensch und das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten, dazu braucht es kein Parteibuch. Ich glaube, wenn man in erster Linie den Menschen als Menschen sieht, spielt das „ob oder ob nicht Parteibuch“ keine große Rolle. Ich kann auch nicht sagen, es fällt mir leichter oder schwerer als anderen. Ich kann nur sagen: Es macht mir Freude, Bewegung zu sehen, Denkanstöße wahrzunehmen und auch Wärme zu spüren. Die Menschen sprudeln sehr oft nur so von Ideen und haben Geschichten zu erzählen, von denen ich in einigen Bildungseinrichtungen nie erfahren würde.
MiGAZIN: Weshalb gibt es scheinbar keine Nachahmer Ihrer Veranstaltungsreihe in Berlin oder in ganz Deutschland? Denn beispielsweise täte ein ähnliches Format auch sicherlich dem Berliner Bezirk Neukölln ganz gut.
Gabriele Gün Tank: Ich denke, es gibt in allen Kiezen unterschiedliche Konzepte und Formen von interkultureller Arbeit und damit verbundenen Veranstaltungen und Bildungsangeboten. Gerade in Neukölln gibt es sehr aktive Vereine und Initiativen, die mit verschiedensten Formaten eine hervorragende Arbeit leisten. Friedrichshain-Kreuzberg hat die Veranstaltungsreihe Kreuzhain entwickelt. Das sind andere Formate, aber sie greifen in den Kiezen. Bei uns ist es eben CrossKultur, denn CrossKultur is here – like it or not. Aber ich hatte auch schon einige Besuchergruppen aus Kommunen anderer Bundesländer, die ein ähnliches Konzept bei sich in der Kommune etablieren wollten.
MiGAZIN: Welche konkreten Herausforderungen im Hinblick auf Migration und Integration haben Sie als Integrationsbeauftragte im Bezirk Tempelhof-Schöneberg?
Gabriele Gün Tank: Als Integrationsbeauftragte übe ich eine Art Brückenfunktion aus, zwischen der bezirklichen Verwaltung und den bezirklichen Akteuren – Migrant_innenorganisationen und Vereinen bzw. Trägern, die mit Migrant_innen und deren Nachkommen arbeiten. Im Grunde genommen berate ich die bezirklichen Akteure, initiiere Strategien zur Interkulturellen Öffnung. Sensibilisierende, präventive und interventive Maßnahmen stehen im Vordergrund. Es geht um die Entwicklung von Maßnahmen zur Umsetzung von Teilhabe und Chancengleichheit genauso wie um die Beratung von Menschen, die Erfahrung mit Diskriminierung und Rassismus machen.
MiGAZIN: Auf dem Programm stehen dieses Jahr über 40 Veranstaltungen an 15 Orten – von Konzerten über Lesungen bis zu politischen Diskussionen gibt es sehr viel zu sehen. Was können Sie von CrossKultur lernen und in Ihre weitere politische Arbeit einbringen?
Nun, als Veranstalterin ist nicht immer der Raum da, alle Veranstaltungen in der gleichen Intensivität zu erleben. Und auch wenn es jetzt sehr klassisch klingt, aber auf jeder der Veranstaltungen lerne ich was. Ich komme mit verschiedenen Menschen zusammen, höre Lebensgeschichten und erfahre von Erwartungen und Hoffnungen. Lerne, von Kulturschaffenden und Bildungsakteuren verschiedenste Perspektiven wahrzunehmen. In den Schulen erzählen Jugendliche von Ihren Erfahrungen im Hinblick auf Diskriminierung und Rassismus. Und ich erlebe, wie politisch die jungen Menschen sind. Im Nachbarschaftstreffpunkt Huzur erfahre ich über die alltäglichen Probleme von Eingewanderten der ersten Generation.
Und immer wieder, wie notwendig es ist, sich von der Idee einer vermeintlich „homogenen Gesellschaft“ zu verabschieden.Die Frage, die im Raum steht, ist, wie es uns gelingen kann, dass sich unsere heterogene Gesellschaft in den Institutionen und in der Politik widerspiegelt. Dabei geht es um Anerkennung von Pluralität. Es geht darum, Raum für Diskussionen und Prozesse zu geben und zu sensibilisieren. Letztendlich geht es um die Stärkung unserer Demokratie und Menschenrechte. Aktuell Interview
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Symbol der Abschottung Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete sofort stoppen!
- Studie AfD ist Gefahr für jüdisches Leben
- Abschiebedebatte Ministerin rät Syrern von Heimreisen ab: können…
- Umbruch in Syrien Was bedeutet der Sturz Assads – auch für Geflüchtete…
- Debatte über Rückkehr Bamf verhängt Entscheidungsstopp für Asylverfahren…
- „Wir wissen nicht, wohin“ Familie verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Haus