Europäische Union
Faire Lastenteilung bei Aufnahme von Flüchtlingen möglich?
Mit einem Mehrfaktorenmodell, das Wirtschaftskraft, Einwohnerzahl, Größe und Arbeitslosenquote der EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt, kann für jedes Land eine faire Aufnahmequote für Flüchtlinge berechnet werden.
Dienstag, 19.11.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In der EU fehlt ein Mechanismus, der zu einer gerechteren Verteilung von Asylbewerbern auf die Mitgliedstaaten führt. Länder wie Schweden und Belgien nehmen gemessen an ihrer Einwohnerzahl deutlich mehr Asylbewerber auf als andere große EU-Mitgliedstaaten wie z.B. Deutschland, Großbritannien und Polen. In Griechenland, Malta und Zypern sind die Asylsysteme zum Teil derart überlastet, dass die Aufnahme- und Verfahrensbedingungen nicht den Mindestnormen des EU-Rechts entsprechen.
Das jüngst beschlossene Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), das bis spätestens Mitte 2015 EU-weit umgesetzt sein muss, sieht zwar einheitliche und etwas höhere Standards für die Aufnahme von Flüchtlingen vor, bietet aber keine Lösung für eine gerechtere Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten.
Fair durch Faktorenmodell
Deshalb schlagen der SVR-Forschungsbereich sowie Steffen Angenendt, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in einem jetzt veröffentlichten Policy Brief zur europäischen Flüchtlingspolitik Wege zu einer fairen Lastenteilung vor: Kern ist ein Mehrfaktorenmodell, das Wirtschaftskraft, Einwohnerzahl, Größe und Arbeitslosenquote jedes EU-Mitgliedstaates berücksichtigt. Auf der Grundlage offizieller Daten und Statistiken könne so für jedes Land eine angemessene Aufnahmequote für Asylbewerber berechnet werden.
„Das Modell versteht sich als Beitrag zu einer dringend benötigten politischen Debatte über die Lasten- und Verantwortungsteilung beim europäischen Flüchtlingsschutz“, sagte Dr. Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Eine Lastenteilung auf der Basis des Mehrfaktorenmodells könne das Dublin-System, wonach der Staat der Ersteinreise für das Asylverfahren zuständig ist, sinnvoll ergänzen. Dr. Steffen Angenendt, Senior Fellow der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der SWP erläuterte: „Die fairen Aufnahmequoten könnten der Ausgangspunkt für ein Verfahren zur gerechteren Verteilung von Asylsuchenden sein. Sie bieten außerdem Orientierung für die Diskussion über ein finanzielles Ausgleichssystem.“
Deutschland im Mittelfeld
Wendet man das Mehrfaktorenmodell auf die zwischen 2008 und 2012 in der EU gestellten rund 1,3 Millionen Asylanträge an, haben nur acht Mitgliedstaaten überproportional Flüchtlinge aufgenommen: Schweden, Belgien, Griechenland, Österreich, Zypern, Malta, Frankreich und die Niederlande. Deutschland hat im Durchschnitt der letzten fünf Jahre in etwa so viele Asylbewerber aufgenommen, wie laut Modell angemessen. Überraschend ist, dass auch viele Länder an den EU-Außengrenzen weniger Flüchtlinge aufgenommen haben, als es ihrem fairen Anteil entsprochen hätte, darunter Italien.
Das Mehrfaktorenmodell könne einen Beitrag zur gerechteren Verteilung der Belastungen beim Flüchtlingsschutz innerhalb der EU leisten. Ein System der Lastenteilung setze allerdings voraus, dass die Mitgliedstaaten ihre Standards bei Unterbringung, Asylverfahren und Entscheidungspraxis auf dem durch die gemeinsamen Vorschriften definierten Niveau harmonisieren.
Download: Den Policy Brief können Sie auf den Internetseiten des SVR kostenlos herunterladen.
Neue Regierung gefordert
Die Autoren des Policy Brief empfehlen einer neuen Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für eine lückenlose Umsetzung und ein wirksames Monitoring der im GEAS festgelegten etwas höheren Standards einzusetzen und eine ernsthafte Debatte über ein System zur fairen und solidarischen Lastenteilung anzustoßen: „Dies würde die gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik einen großen Schritt nach vorn bringen“, so die Autoren.
„Die gemeinsame Untersuchung zeigt sehr klar, dass einige Länder weitaus mehr Flüchtlinge aufnehmen als andere“, sagte Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stiftung Mercator, die den Policy Brief gefördert hat. „Gerade weil im Sommer die Asyl- und Flüchtlingspolitik weiter europäisiert wurde, muss jetzt Staaten mit besonders hohen Flüchtlingszahlen solidarisch geholfen werden. Diese Solidarität wird den Zusammenhalt der Gemeinschaft fördern und die Handlungsfähigkeit der Union beweisen.“ Aktuell Politik Studien
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