Türkischer Frühling

Taksim ist überall

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan steht vor einer nicht zu unterschätzenden Front von Bürgern, die nicht nur alle fünf Jahre durch ein Kreuz an der Urne die Politik mit bestimmen will. Es geht längst nicht mehr um den Gezi-Park in Istanbul, der einem Einkaufszentrum weichen soll, sondern um die Zukunft der Türkei.

Von Montag, 03.06.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.06.2013, 23:02 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Als sich im Dezember 2010 im zentral-tunesischen Sidi Bouzid der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi verbrannte, wusste noch niemand, welche Welle der Entrüstung das über die ganze arabische Welt bringen würde. Tunesiens Regime versuchte, die Proteste mit massiver Gewalt niederzuschlagen. Ein Fehler. Die Gewalt des Staates beschleunigte nur die Entmachtung des Regimes und die autoritären Staatchefs anderer Nachbarländer mussten bald dieses Schicksal teilen.

Der Funke
Meist reicht also ein kleiner, starker Funke gepaart mit engagierten Menschen, um eine Kraft zu entwickeln, die ganze Staaten umwälzt. Und genau dieser Funke könnte nun auch in der Türkei glühen: Nach der gewaltsamen Räumung am Freitag des Protestlagers am Gezi-Park in Istanbul hielten die Zusammenstöße auf dem Taksim-Platz in Istanbul bis Sonntagabend an. In 48 Städten in der Türkei protestierten bereits Meschen gegen den Politikstil von Recep Tayyip Erdoğan: Taksim ist damit überall in der Türkei angekommen. Etwa 1000 Menschen wurden bereits bei den Bürgerprotesten verhaftet und in gleicher Zahl mussten Verletzte in die Krankenhäuser eingeliefert werden.

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Hauptkonfliktlinie
Dabei zeigt sich immer wieder eine Hauptkonfliktlinie: Sie verläuft nicht mehr vorwiegend zwischen säkularen Aleviten und religiösen Sunniten, Kurden und Türken oder zwischen Linken und Rechten, sondern vielmehr zwischen AKP-Anhängern und denen, die Erdoğans Politik satt haben. Die Gesellschaft spaltet sich so langsam in zwei Lager auf, in ein „Wir“ und ein „Ihr“.

Erdoğans Herausforderung
Die Proteste richten sich vor allem gegen die AKP-Regierung mit Erdoğan an der Spitze, die seit 2002 mit absoluter Mehrheit an der Macht ist und immer autoritärer auftritt. Die AKP ist Partei, Parlament und Regierung in einem. Damit hat die heutige Türkei mehr Gemeinsamkeiten mit den arabischen als mit den westlichen Staaten.

Erdoğan sollte die Proteste wie ein Demokrat ertragen und keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten ausüben. Er muss überdies verstehen, dass sich 49,9 Prozent der Wähler für seine Partei entschieden haben, aber auch 50,1 Prozent der Wähler eben nicht. Deshalb liegt es an Erdoğan, endlich sein einstiges Versprechen einzulösen und der Ministerpräsident aller Bürger in der Türkei zu werden. Aktuell Meinung

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  1. Ali Bey sagt:

    Das kommt mir alles bekannt vor… vor den letzten wshlen haben die angeblichen sozis in der türkei über eine million leute auf die strassen gebracht und sind bei den wahleb abgekackt. Und diese leute protestieren eine sache die einstimmig im stadtrat beschlossen wurde. Bei den nächsten wahlen holt erdogan 60%. Das haben alle vergessen und verdrängt… vor erdogan haben die leute für 150 euro gearbeitet. Jetzt ist er plötzlich […]????

  2. aloo masala sagt:

    @AI

    —–
    @ aloo masala: Nun beantworten wir doch erstmal die Frage von Herrn Stein, dann könne wir uns Ihrer Frage widmen. Oder überlegen Sie noch eine Antwort?
    ——

    Das Frage von Herrn Stein wurde bereits beantwortet. Man muss die Antwort nur versuchen zu verstehen. Vielleicht sollte Sie einfach mal etwas mehr überlegen, bevor Sie schreiben.

  3. fatih sagt:

    @Federleicht.
    Oder kennen Sie eine alternative für die Türkei? die nicht korrupt ist, die den Menschen eine Hoffnung, Arbeit und Sicherheit gibt. In der Türkei waren die Jahre zuvor Verhältnisse wie in Afrika. Das alles habe ich miterlebt. Zum 1.mal in Geschichte von Türken gibt es in der BRD eine Rückwanderung dass Sie wieder mehr zurück in Ihrer Heimat gehen als Sie kommen (65000 waren es 2012), und warum?? Denken Sie doch mal nach!

  4. Federleicht sagt:

    „Bürger protestieren gegen Islamisierung des Landes? Das MÜSSEN ja alles rechtsextreme Nazis sein!“

  5. Das Türke sagt:

    Die einzige Veränderung wird die sein, dass die AKP ,gerade wegen dieser Proteste,bei den Wahlen noch mehr Stimmen erhalten wird. Solange es so eine unfähige Opposition gibt braucht sich die AKP keine Sorgen machen. Und das witzige ist, das manche von einem Volksaufstand faseln, und dass das Volk aufgewacht sei ect.pp. Ja (!), die Protestler gehören zum Volk sind aber weitem nicht das(!) Volk.

  6. Federleicht sagt:

    @fatih
    Der Grund warum die Menschen zurück in die Türkei gehen, liegt bestimmt nicht an der Islamisierung der Türkei sondern lediglich, dass es dort wieder Arbeit gibt. Eine vernünftige Wirtschafspolitik, kann man auch betreiben ohne sich selbst überall Prachtbauten hinstellen zu lassen, wie es Erdogan tut! Erdogan hat seine Arbeit geleistet und jetzt soll er, so wie es in Europa auch üblich ist, in den Ruhestand gehen und sich nicht selbst zum Putin der Türkei ernennen. Erdogan ist nicht alternativlos und die Islamisierung ist ebenfalls nicht alternativlos oder von wirtschaftlicher Bedeutung.
    Es ist genau die Denkweise die sie hier an den Tag legen, die es Erdogan ermöglich haben in der Türkei walten zu lassen, wie es ihm gepasst hat.
    Übrigens hat man die AKP gewählt, weil man dachte es wäre gut für die Wirtschaft und die Aussenpolitik der Türkei. Im moment sieht es aber eher so aus, als ob genau in den beiden Bereichen die aktuelle Regierung völlig versagt. Warum sollte die Regierung also noch erhalten bleiben?
    Demokratie ist mehr als nur alle 4 oder 5 Jahre zur Urne zu laufen.

  7. fatih sagt:

    @federleicht. Was ist denn die alternative?? Sie haben es immer noch nicht genannt. Ich würde sagen das was Sie hier von sich geben ist genau das was die Opposition an die westlichen Medien weiter gibt. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich in der Türkei aufgewachsen.

    Seit wann ist die Demokratie so zu verstehen das jemand seine arbeit macht und geht obwohl dieser Person noch gebraucht wird. Schauen wir uns doch mal Deutschland an: Helmut Kohl hat 16 Jahre regiert. Ist dadurch Deutschland undemokratisch geworden.

    „Übrigens hat man die AKP gewählt, weil man dachte es wäre gut für die Wirtschaft und die Aussenpolitik der Türkei. Im moment sieht es aber eher so aus, als ob genau in den beiden Bereichen die aktuelle Regierung völlig versagt.“
    Wo haben Sie den Ihre Quellen hier? Türkei war seit der Gründung in seiner Geschichte nie erfolgreicher als jetzt!
    Nur zur Info: Türkei ist ein Islamisches Land sowie DE ein Christlicher Land ist.

  8. fatih sagt:

    @federleicht.
    Was hat den Erdogan gemacht das für das Land schlecht sein soll?? Hat er gegen Ihre Erwartungen das Land nach vorne gebracht?
    Seien Sie doch ehrlich, Sie mögen Ihn doch deshalb nicht weil er ein gläubiger Moslem ist und nichts anders.

  9. AI sagt:

    @aloo masala: Wenn ich Herr Stein (den ich mal als überzeugten Deutschen identifiziere) richtig verstehe, meint er eine Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Orientalen gefunden zu haben. Das wäre bei all der Sprache von „Ihr“ und „Wir“ mal ein neuer Ton.

    @Federleicht: Dann bleiben die Türken, die in Deutschland leben wollen, aus anderen Gründen als aus wirtschaftlichen hier?

  10. aloo masala sagt:

    @Ali Bey

    Es spielt keine Rolle wie viel Rückhalt Erdogan in der Bevölkerung hat. Es spielt auch keine Rolle, was einstimmig beschlossen wurde oder nicht. Der Protest einer Minderheit gegen Pläne der Regierenden – auch wenn sie mehrheitlich gewählt wurden – ist ein Grundpfeiler jeder Demokratie.

    Sie würden es auch nicht akzeptieren, wenn ein gewählter CDU Innenminister „türkische“ Demonstranten (mit deutscher Staatsbürgerschaft) verprügeln lässt, weil diese beispielsweise gegen Grillverbote in deutschen Parks protestieren. Denjenigen, der es wagt einen Hinweis auf die mehrheitlich gewählte Regierung zu geben, möchte ich sehen.

    Wenn Menschen protestieren und Erdogan nichts anderes einfällt, als mit überzogener Härte Demonstranten wie in einem totalitären System zu verprügeln, dann sind das erste Anzeichen dafür, wie lästig Erdogan demokratische Werte sind. Wenn Erdogan noch rechtzeitig erkennt, dass es nicht mehr nur um einen Park geht, sondern um etwas Grundlegendes, dann kann das Modell Türkei gerettet werden.

    Übrigens sind die Reaktionen in EU-Staaten oder in den USA nicht viel anders als in der Türkei. Wenn Occupy-Demonstranten an den Grundfesten der kapitalistischen Systeme rütteln, dann wird auf sie mit brutaler Härte eingeschlagen. Aus diesem Grund sind die Mahnungen aus den USA und der EU an die Adresse der Türkei nichts als Heuchelei.