Falsche Maßstäbe

Grundgedanken zur politischen Teilhabe von Menschen muslimischen Glaubens

Vor acht Jahren hätte ich mir niemals vorstellen können, Mitglied einer politischen Partei zu werden oder den Blick auf das gesellschaftliche Ganze zu richten Der 11. September war für uns alle einschneidend.

Von Dienstag, 22.09.2009, 8:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.02.2023, 8:47 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ich hatte zwei Jahre zuvor meinen muslimischen Glauben gefunden und versuchte diesen, soweit wie es mir möglich war, zu verstehen und zu praktizieren. Keine einfache Aufgabe, wenn es keinen islamischen Religionsunterricht gibt und die Imame der beiden türkischen Moscheen im Ort kein Deutsch sprechen. An jenem 11. September wusste ich, dass ich am nächsten Tag in der Schule unweigerlich Rechenschaft ablegen müsste, ob meine Religion so etwas gebiete. So war es dann auch. Ich musste von Schulstunde zu Schulstunde, von Fach zu Fach, von Lehrer zu Lehrer und natürlich auch meinen Mitschülern erklären, dass die Geschehnisse in New York nicht mit dem Islam vereinbar seien. Statt einen fachkundigen muslimischen Theologen einzuladen, wandte man sich an mich. Die Erfahrung mich von etwas distanzieren zu müssen, mit dem ich sowieso nichts zu tun hatte, hinterließ in mir das Gefühl der Fremdheit, des Anderssein.

Bis zum Abitur wurde ich durchgängig mit dem Thema Islam konfrontiert. Manche Geschichtsstunden entwickelten sich zu reinen Debatten zwischen meinem Lehrer und mir, in denen Hungtington Grüßen ließ.

___STEADY_PAYWALL___

Im mündlichen Abitur wurde ich dann in Geschichte geprüft, dabei ging es weniger um den Unterrichtsstoff, als um die Frage, ob ich als Bildungsminister eines muslimischen Landes die Lektüre Nathan der Weise einführen würde.

Je länger ich von meiner Außenwelt als Fremder wahrgenommen wurde, desto mehr kapselte ich mich freiwillig ab. Damals gefiel ich mir in meiner Rolle des rebellischen Außenseiters. Heute, rückblickend, stelle ich jedoch fest, dass mir durch mein Alleinsein nichts anderes mehr als der Islam geblieben war. Mein Glaube erhielt eine ein- und überdimensionale Rolle. Ich glaube, dass viele Menschen muslimischen Glaubens genau diese Erfahrung nach dem 11. September gemacht haben.

Das WIR und DIE in unserem Land
Als Islamwissenschaftler stelle ich fest, dass Menschen muslimischen Glaubens, aber auch nichtmuslimischen Glaubens eine imaginäre Vorstellung vom Islam geschaffen haben. Menschen nichtmuslimischen Glaubens führen in der Regel alle politischen, alle sozialen, alle kulturellen und alle wirtschaftlichen Probleme der Muslime auf den Islam zurück. Das Fehlen von Demokratie in der muslimischen Welt wird dem Islam angelastet. Ehrenmorde im türkischen Milieu werden dem Islam angelastet. Müll im Berliner Tiergarten wird dem Islam angelastet. Die Zeit titelte vor kurzem: „Im Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück.“ Den gleichen Fehler machen aber auch Menschen muslimischen Glaubens, die die Lösung all ihrer politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Probleme dem Islam aufbürden. Unter dem verheißungsvollen Slogan al-islam huwa al-hall (Der Islam ist die Lösung) wird die Religion zu einem messianischen Versprechen, das Erwartungen projiziert, die nicht eingehalten werden können. Der Islam wird somit von Menschen nichtmuslimischen und muslimischen Glaubens zur Ideologie verzerrt oder verklärt.

Hinterfragen wir diesen imaginären Islam. Wir alle sprechen wie selbstverständlich von dem Islam. Doch welchen Islam meinen wir? Sprechen wir von der sunnitischen oder schiitischen Konfession? Von der theologischen Schule der Athariyya, der Asch’ari oder der Maturidiyya? Von der hanafitischen, malikitischen, schafi’itischen oder hanbalitischen Rechtsschule? Von Zwölfer-Schiiten, siebener Schiiten oder fünfer Schiiten? Von puritanischen Bewegungen wie dem Wahhabismus, Reformbewegungen wie jene von Muhammad Abduh, ideologische Bewegungen wie der Muslimbruderschaft, revolutionären Bewegungen wie der Hizb Al-Tahrir oder nihilistischen Bewegungen wie der Al-Qaida? Der Islam ist ein Euphemismus. Der Islam ist sicherlich kein schwarzer Monolith, sondern ein Mosaik. Ein Mosaik wie es das Judentum und das Christentum auch sind. Den Muslim gibt es ebenso wenig wie es den Juden oder den Christen gibt.

Politische Teilhabe von Muslimen
Ich habe im Verlauf dieses Wahlkampfes zwei Artikel zur SPD in muslimischen Medien geschrieben. Von einem Muslim wurde ich dafür als SPD-Muslim beschimpft. Einen meiner Artikel fand ich auf rechtslastigen Seiten wieder, wo ich als „der muslimische Sozialdemokrat“ betitelt wurde. Hier werden gewisse Ängste und Feindbilder laut, die die politische Teilhabe von Menschen muslimischen Glaubens verhindern sollen. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, mich persönlich zu fragen, so hätte ich ihm geantwortet, dass der Islam meine Religion, die SPD meine politische Heimat ist. Keinesfalls bin ich der muslimische Sozialdemokrat, sondern einfach ein Sozialdemokrat.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Gallup hinweisen. Diese Umfrage ergab im Mai 2009, dass Muslime eine überdurchschnittlich starke Identifizierung mit unserem Land haben. Die Presse bescheinigte den Muslimen daraufhin die Staatstreue. Die Umfrage ergab nämlich auch, dass 45 Prozent der autochthonen Bevölkerung glauben, dass Muslime gegenüber der Bundesrepublik nicht loyal sind. Solche Umfragen, sagen viel über unser Bild von den Muslimen aus, denn wir nehmen sie als die Anderen wahr. Im gleichen Maße sind auch Muslime einem DIE und WIR denken verhaftet. Genau dieses Denken müssen wir aufbrechen.

Der Islam gehört wie das Judentum und das Christentum zu den abrahamitischen Religionen. Der Islam ist auch nicht die Religion der Ausländer oder Migranten. Unter den hier lebenden 4,3 Millionen Muslimen finden sich ebenso Deutsche ohne Migrationshintergrund. Deutschland ist sowohl ein christliches, jüdisches wie muslimisches Land. Zur Normalität des Zusammenlebens gehört es, dass wir aufhören sollten, uns als Muslime/Nichtmuslime, Christen/Nichtchristen wahrzunehmen. Vielmehr sollten wir uns endlich gegenseitig als Einwohner, Bürger und Nachbarn sehen. In einer toleranten Gesellschaft darf der Name, die Hautfarbe oder die Religion kein Hindernis für politische Partizipation sein. Wir alle können stolz sein auf die Aussage des Grundgesetzes:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Indem Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen nichtchristlichen Glaubens als Bürger wahrgenommen werden und in unserem Land mitgestalten, stärken wir den 1. Artikel des Grundgesetzes. Es muss ein einlösbares Versprechen bleiben, dass in dem Einwanderungsland Deutschland eine kopftuchtragende Frau als Individuum betrachtet wird und nicht verallgemeinert wird zu einem verfassungsfeindlichen Objekt, dass ein Junge mit exotischen Namen einen Platz in unserer Gesellschaft hat und dass ein fünfmal am Tag betender Mensch nicht das Grundgesetz unter dem Arm tragen muss, um seine Loyalität zu beweisen. Aber genauso klar muss sein, dass die Ordnung in unserem Land durch das Grundgesetz bestimmt wird und dies steht nicht zur Verhandlung. Wir sind eine Gesellschaft, eine Nation. Die kommenden Herausforderungen, werden wir nur gemeinsam bewältigen können. Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Bildungsmisere kennen keine religiösen Barrieren.

Wenn wir Menschen muslimischen Glaubens die Möglichkeit geben, politisch mitzugestalten, wenn wir sie nicht als Maskottchen instrumentalisieren, wenn wir ihnen faire Listenplätze geben, dann werden diese zu Vorbildern für junge Muslime, die glauben, es gäbe keinen Platz für sie in unserem Land. So schaffen wir Heimatgefühl, Identifikation mit dem Land, Identifikation mit der Demokratie. In einem multireligiösen Land sollte es egal sein, ob der Bundestagsabgeordnete jüdischen, christlichen oder muslimischen Glaubens ist. Viel wichtiger ist, an welches Deutschland er glaubt. Auf keinen Fall dürfen 4,3 Millionen Menschen muslimischen Glaubens von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden. Wer ausgeschlossen wird, der kann kein Heimatgefühl entwickeln, zieht sich auf seine eigene Community zurück, kapselt sich ab.

Ich bin mir bewusst, dass in vielen so genannten muslimischen Ländern Christen eine solche Teilhabe verwehrt wird. Aber ich und andere Menschen muslimischen Glaubens sind nicht verantwortlich für die Politik dieser Länder, noch heißen wir sie gut. Unsere Heimat ist hier. Und wenn wir nachts träumen, dann träumen wir in deutscher Sprache. Undemokratische Länder sollten nicht unser Maßstab sein. Der athenische Staatsmann Perikles sagte einmal: „Wir ahmen nicht nach, sondern sind Vorbild für andere. Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Kosmopolit sagt:

    @ Herr Muhammad Sameer Murtaza.
    Ja so ist sie, die junge, dynamische und aufstrebende Generation der Muslime. Immer zu Scherzen und Real Satire aufgelegt.
    “ Nur weil ein Mensch kein Alkohol trinkt und kein Schweinefleisch ist, ist er damit kein schlechter Bürger“
    Wenn das alles so einfach wäre. Diese kleinen Besonderheiten haben zu Folge, dass in großen Teilen der Republik, und auf Druck islamischer Kreise ( Eltern, Ausländerbeiräte und den islamischen Verbänden ) die Speisevorschriften in vielen öffentlichen Einrichtungen, wie Kindergarten, Jugendherbergen, Schulen usw., aus vorauseilendem Gehorsam schariakonform eingeführt worden ist. Dieses erfährt man von betroffenen Eltern, ab und zu in Zeitungen, auch im Internet, mit den dann veröffentlichten Kommentaren, oder in Gesprächsrunden. In Frankfurter Schulen gab es vor einiger Zeit eine heftige Diskussion über dieses Thema. Die von ihnen ins Spiel gebrachten Juden, zwingen dem Rest der Gesellschaft nicht ihre Gebräuche auf. Andere finden diesen Umstand als kulturelle Bereicherung, andere sehen die Scharia schon auf dem Weg, hier flächendeckend eingeführt zu werden. Von den Problemen im Schulbereich ( Schwimmen, getrennter Unterricht, oder getrennte Toiltten, die schon in Frankreich auf dem Vormarsch sind ) mal absehen, ebenso die Problematik der Kleiderordnung, die ebenfalls unter dem Begriff Scharia fällt.

    Zu der von mir angesprochenen Christenverfolgung können wir ja mal bei der Türkei anfangen um dann in Richtung Pakistan/Indien zu gehen. Hierzu gibt es viel zu lesen in den Archiven der großen Tageszeitungen.
    @ Boli, mehr kann man nicht dagen!

  2. Johanna sagt:

    Immer „dezent“ auf die Juden verweisen, aber die Verfehlungen des eigenen Landes oder das seiner Vorväter leugnen.

    Das habe ich gern!

  3. Johanna sagt:

    Wer sich aufmerksam die Medienberichte und die Aussagen islamischer Seiten im Internet durchliest, kann nicht anders, als über die Forderungen nach der Sharia zu stolpern.

    Da hört bei mir die Toleranz auf.

    Deutschland muss klare Vorgaben machen, was von Einwanderern und deren Nachkommen in Deutschland erwartet wird – die Sharia ist es nicht.

  4. Muhammad Sameer Murtaza sagt:

    Hallo Johanna, sehr geehrter Herr Kosmopolit,

    1. Mir sind keine Berichte von „vorauseilenden Gehorsam“ bzgl. Speisevorschriften bekannt. Aber sicherlich gehen z.B. Krankenhäuser auf die Bedürfnisse muslimischer und jüdischer Patienten bzgl. der Speisevorschriften ein. Aber bitte nicht alle Muslime nehmen die Speisevorschriften ernst. Es gibt nicht DEN Muslim. Manche Muslime halten sich daran, manche nicht.
    2. Die Situation von Christen in anderen Ländern, hier noch einmal bitte meinen Artikel lesen und bitte über das Zitat von Perikles nachdenken.
    3. Und Johanna, was soll ich zu dir sagen. Ich glaube an die Vernunft, aber ich weiß, nicht alle Menschen sind vernünftig. Mein Verweis auf meine jüdischen Brüder und Schwestern soll dazu dienen, unseren Horizont zu erweitern, dass wir in unserem Land (DEUTSCHLAND ist übrigens mein Land, und seine vergangenen Verfehlungen auch Teil meiner Identität) bereits ähnliche Diskussionen hatten. Selbst Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens verweisen auf diese Parallelen. Und bevor du mir, bzgl. meiner Formulierung jüdische Geschwister irgend eine Falschheit unterstellst, sage ich dir gleich: Ja, ich habe Freunde jüdischen Glaubens und ich engagiere mich gegen Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Weshalb? Weil ich immer von einer Frage ausgehe: „Was ist menschlich?“
    4. Und liebe Johanne, sehr geehrter Herr Kosmopolit, wenn Sie Behauptungen aufstellen, wie du Johanna: „Wer sich aufmerksam die Medienberichte und die Aussagen islamischer Seiten im Internet durchliest, kann nicht anders, als über die Forderungen nach der Sharia zu stolpern.“, dann bitte belegen, damit wir es glauben können. Und nicht irgendwelche Pseudo-Seiten, sondern ich will solche Behauptungen auf den Seiten der großen muslimischen Verbände, wie dem ZMD sehen. Nicht auf der Seite von Ali oder Tariq, Heinz oder Kunz. Heute kann ja jeder eine Internetseite erstellen und viel Unsinn erzählen.
    5. Lieber Herr Kosmopolit, aber auch lieber Herr Boli, um noch mal auf die Speisevorschriften zurückzukommen. Ich glaube, Sie stellen sich das komplizierter vor, als es ist. Daher schlage ich vor, dass wir einfach mal gemeinsam in ein deutsches Restaurant Ihrer Wahl essen gehen. Ich denke, dass wird so einige Missverständnisse beseitigen. :-) Und dieses Angebot meine ich völlig ernst. Ich bin gespannt, ob Sie beide darauf eingehen.

  5. Muhammad Sameer Murtaza sagt:

    Jetzt hätte ich fast selber vergessen zu belegen:

    http://www.zentralratdjuden.de/de/article/2534.html?sstr=bet

  6. Johanna sagt:

    Erst wenn Glaube und Herkunft bei einem politische Amt strikt getrennt und Privatsache sind, und niemand weder in Richtung Sharia noch in Richtung des Herkunftslandes schielt, kann ich solchen Politikern trauen.

    Da müssen wohl noch einige Jahre ins Land gehen.

    • Muhammad Sameer Murtaza sagt:

      Johanna, nichts anderes steht in dem Artikel, Sie müssen nur genau lesen. Herkunft und Religion sollten keine Rolle spielen, sondern nur, dass man das Beste für die Menschen im Land möchte. Sie mögen da noch einige Jahre brauchen, mich hält es nicht davon ab, heute schon mich politisch einzubringen.

  7. Boli sagt:

    @Muhammad Sameer Murtaza

    Nun ich würde das Angebot durchaus annehmmen. Ich glaube aber im endeffekt schon zu wissen, wie Sie die Ernährungsproblematik umgehen werden. Letztlich brauchen Sie eigentlich nur Dinge zu wählen die nichts mit Schweinefleisch zu tun haben. Nur halal im Sinne der muslimischen Schächtgesetze werden die anderen Nahrungsmittel wie z.B. Hühnerfleisch aber natürlich auch nicht zwangsläufig sein, da die Hühner beispielsweise zuvor per Unterdruck oder Strom betäubt werden und dann nach unten aufgehängt maschinell die Köpfe abgeschnitten bekommen usw. . Es ist natürlich wie Sie schon sagten auch eine Frage wie streng Sie jene Regeln auslegen. Es gibt halt auch Muslime die es schon ablehnen überhaupt aus einem Topf Speisen entgegen zu nehmen, in denen vorher schon einmal Schweinefleisch gekocht bzw. gebraten wurde.
    Ich erwähne hier auch nur ein Beispiel das für mich sehr bezeichnend war. In der Kleinstadt in der ich wohne gibt es wie in vielen Städten Deutschlands bestimmte Stadtbereiche die als soziale Stadt ausgewiesen sind. Gelenkt und betreut werden diese Stadtteile von sogenannten Stadtteilzentren. Dieses Jahr hatten wir in unserem Stadtteil einen Tag des zwanglosen Zusammensitzen, Essens und Grillens an verschiedenen Orten dieses Stadtteils.
    An einem dieser Plätze waren unter anderem Deutsche, Rußlanddeutsche, dunkelhäutig afrikanischstämmige, Osteuropäer usw. gesessen und haben zusammen gegessen und in einem Abstand von ca. 30 Metern war eine türkische Fraktion komplett für sich gesessen. Ich sage es ganz ehrlich. Ich vergesse diesen Anblick nie mehr. Denn es gab weder irgendwelche Streitereien, böse Blicke noch sonst etwas und trotzdem haben sich diese beiden Blöcke gebildet. Und ein Grund ist und bleibt aus meiner Sicht diese Fremdheit zwischen Muslimen und Nichtmuslimen bedingt durch die Essengebote. Das heißt es wäre zumindest mit diesen Leuten wohl nie dazu gekommen einen Grill zusammen zu verwenden. Es war auch nicht so das die Leute unfreundlich waren. Ein paar Mädels mit und ohne Kopftuch haben etwas ähnliches wie Volleyball gespielt und da war an sich nichts strenges sonst zu erkennen. Nur trotzdem war hier zwischen den Deutschen und verschiedenen anderen Ausländern auf der einen Seite so ein fremdheitsgefühl gegenüber den Türken auf der anderen Seite. Nichts bedrohliches aber irgendwie seltsam. Ich meine ich hatte auch mal einen tunesischen Arbeitskollegen der hat sich alles hinter die Kiemen geworfen wie es gerade kam und mehr Schweinefleisch gegessen als ich überhaupt je essen möchte. Sein Chousin aber der mit einer deutschen Frau verheiratet ist hatte zwischenzeitlich ganz schöne Probleme speziell mit seinen Schwiegereltern weil diese wohl dem Kind immer mal wieder Schweinefleisch gesteckt hatten. Ob die Sache vernünftig gelöst wurde , keine Ahnung. Nur es zeigt halt wo die Trennlinie liegt unter der Voraussetzung wie Sie selbst schon sagten, wie streng legt man die Dinge aus. Es kann dann selbst liberealen Muslimen dann durchaus passieren, das sie als Abtrünnige oder gar Ungläubige beschimpft werden oder eben wie einem recht bekannten deutschen Metzger in Berlin-Neuköln wo Muslime die Straßenseite wechseln oder sogar gegen die Scheibe spucken. Und hier ist eben wieder so ein Kernproblem. Eben solches Spucken wird dann auch von den Einheimischen als ein Spucken und Beleidigen der eigenen Kultur und Lebensart angesehen, was wiederum dazu führt: So wie man in den Wald hineinruft…. den Rest kennen Sie.

    Herr Murtaza, Sie sagen in Ihrem letzten Beitrag, das der Islam durchaus säkular sein kann. Ich glaube das es letztlich jedem bewusst ist das man mit einer Religion gutes und schlechtes anstellen kann. Das Problem ist doch schlicht für uns hier in Europa. Wie gehen wir in Zukunft mit denen um die Unfug damit treiben? Ein säkularer Islam existiert nur durch Menschen die ihn auch so auslegen.

    • Muhammad Sameer Murtaza sagt:

      Sehr geehrter Herr Boli,

      auf den letzten Punkt von Ihnen möchte ich kurz eingehen. Ich finde es sehr schön, was Sie da geschrieben haben, denn ich hatte schon befürchtet, dass wir auf überhaupt keinen Nenner kommen, insbesondere, da ich Herr Kosmopolits und Johannas Kommentare als über alle Maße negativ empfand. Wie kommen wir dazu, friedlich miteinander zusammen zu leben? Das ist die Kernfrage. Hierfür brauchen wir einen offenen und ehrlichen Dialog, wie wir es hier praktiziert haben. Wir müssen Vorurteile, die es auf beiden Seiten gibt, abbauen durch gelebtes Vorbild. Wir müssen auf Seiten von Menschen, denen der Islam fremd ist, zeigen, dass der Islam vielfältiger ist, als viele glauben. DEN Islam gibt es ebenso wenig wie es DAS Christentum gibt. DEN Muslim gibt es ebensowenig wie es DEN Christen gibt. Ebenso wenig, wie Taliban und Al-Qaida das Groß der Muslime darstellen, ebensowenig stellen die Pius-Brüder das Groß der Christen dar. Augenblicklich scheint es aber so, dass gerade radikale Kräfte in allen Weltreligionen versuchen, die Deutungshoheit über die heiligen Schriften der jeweiligen Religion an sich zu reißen. Ihr müssen alle, Juden, Christen und Muslime auf ihre Religionsgemeinschaften wachsam schauen. Sie haben das Problem richtig erkannt und es gibt noch viel zu tun. In allen Weltreligionen muss das Humanum in den Vordergrund gestellt werden, ich kann nur immer wieder auf das Projekt Weltethos von Hans Küng verweisen. Ich selber schreibe gerade an einem Buch mit dem Titel „Zeitenwende im Islam“, dass genau Ihre Fragestellung verfolgt.

  8. Boli sagt:

    Ich selber schreibe gerade an einem Buch mit dem Titel “Zeitenwende im Islam”, dass genau Ihre Fragestellung verfolgt.

    Nun gut ich bin gespannt, ob ich diese Zeitenwende im Islam noch irgendwie miterlebe, auch und sogar noch stärker im Ausland (Naher Osten etc.) als in Europa.
    Denn meine persönliche Meinung dazu ist die:
    Die Ansichten und Ausführungen bezüglich Islam, Religion sind ja deswegen so wie sie sind da die zum teil aufgrund von Ideoligie, Politik etc. schädliche Nahrung in Form von bestehenden Kontakten, entsprechenden TV-Sendern usw. aufrecht erhalten werden und sich so nichts ändern kann. Dann ist und bleibt man kompromisslos und dogmatisch wie z.B. der ausführliche Beitrag von Gecko oben gut aufzeigt, was im täglichen Leben schnell dazu führen kann das man sein eigenes Verhalten verherrlicht, moralisch überhöht und gleichzeitig andere verurteilt und somit demütigt. Die Muslime sehen sich rein in der Opferrolle, nur wer aufmerksam gelesen hat was ich gerade geschrieben habe müsste aber ebenso erkennen, das wenn er das Gegenüber sieht und auch versteht wiederum sein eigenes Verhalten kritisch hinterfragen müsste. Aber das geschieht noch zu wenig. Zum Beispiel der Fall des muslimischen Schülers in Berlin zeigt, das man einfach nicht akzeptiert, das man seine vorgeschriebenen Gebete nämlich auch nachholen kann wenn es über den Tag nicht geht, was das Beispiel von Gecko mit der Autobahnraststätte eigentlich hinfällig macht. Wir drehen uns natürlich wieder im Kreis wenn wir analysieren müssen mit „welchem“ Islam man es im Augenblick zu tun hat.
    Denn und genau das könnte in Zukunft dazu führen das wie in den Niederlanden passiert, eine absolut tolerante Gesellschaft eine plötzliche Kehrtwende macht, da sie sich mehr und mehr von bestimmten Muslimen mit immer hanebüchernen Forderungen konfrontiert fühlt oder sie sogar direkt beleidigt werden. Ich nenne einmal zwei Beispiele: Es soll mittlerweile in den Niederlanden geschlechtlich getrennte Eingänge geben in Ämtern aufgrund von Muslimen. Und als Beleidigung muss man es wohl auch sehen wenn ein Imam wie in Holland geschehen einer Schülerklasse direkt ins Gesicht sagte das Ungläubige nichts anderes als Hunde sind.
    Sie sehen also das ich mit meiner Einstellung gegenüber Muslimen letztendlich zwischen zwei Stühlen stehe, den einen am liebsten den Rauswurf wünsche und den anderen, das sie friedlich hier leben können.

  9. Markus Hill sagt:

    Zitat:
    „Sie sehen also das ich mit meiner Einstellung gegenüber Muslimen letztendlich zwischen zwei Stühlen stehe, den einen am liebsten den Rauswurf wünsche und den anderen, das sie friedlich hier leben können.“
    Ich glaube, dass Sie damit die Stimmung von vielen Bürgern im Land treffend beschreiben. Wahrscheinlich auch die sehr kritischen Leserbriefe in vielen Medien zu dem Thema.
    Auch die Gefahr der Wahl „rechtspopulistischer“ Parteien sehe ich – aber nicht in der Schärfe und der Konkretheit wie in Holland. Man kann viele Dinge am Verhalten der türkischen Community (Wer ist das überhaupt? Wer fühlt sich überhaupt von den Verbänden vertreten?) kritisieren. Positiv anzumerken ist aber im Vergleich zu Holland vielleicht, dass es auch viele Teile der türkischen Community gibt, die den Ausgleich und Austausch suchen – übrigens auch auf der deutschen Seite – da besteht keine Einbahnstrasse. Man fühlt wohl, dass man eine gute gemeinsame Zukunft haben kann.
    Die Mühlen mahlen in Deutschland langsam, aber effizient. Wie bei der Wiedervereinigung, bei Abiturreform etc. – mit allen Mängeln. Aber es herrscht eine Konsenskultur, Diskussion und möglichst IRGENDWIE eine Win-Win-Sitution für alle Seiten wird geschätzt. Allein die Tatsache, solche Statements wie Ihres einfach einmal als Ausdruck einer Befindlichkeit (Gefühle kann man zunächst einmal nicht rational wegdiskutieren!) ohne Nazi-Vorwurf-Gedöns beschrieben werden dürfen, bildet eine gute Grundlage für weiterführende Diskussionen und natürlich auch Auseinandersetzungen (ohne Gewalt:-), es könnte einer gemeinsamen Sache konstruktiv dienlich sein.