
Studie
Polizei-Routinen begünstigen rassistische Diskriminierung
Forscher sind mit der Polizei Streife gefahren, waren bei Einsätzen dabei und haben Polizisten auf der Wache über die Schultern geschaut. Ergebnis: Polizeiliche Arbeitsabläufe begünstigen rassistische Diskriminierung.
Montag, 09.09.2024, 15:53 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.09.2024, 8:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Arbeitsalltag von Polizistinnen und Polizisten finden sich einer neuen Studie zufolge zahlreiche Abläufe und Routinen, die rassistische Diskriminierung begünstigen. Forschende in Niedersachsen hätten fünf polizeiliche Aufgabenfelder identifiziert, in denen allein durch die eingeübten Arbeitsabläufe das Risiko für eine Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund steige, sagte Astrid Jacobsen am Montag bei einer Online-Konferenz. Die Professorin der Polizeiakademie Niedersachsen hat die Studie geleitet.
Das betreffe etwa anlasslose Kontrollen, die Befragung von Personen oder Gefahrenbewertungen. Zu einem Einsatz etwa, bei dem laut einem Beamten „Z…“ beteiligt sein sollen, fährt die Polizei laut Studie mit mehr Beamten hin. Zentraler Fokus der Studie seien die Arbeitsprozesse der Polizei und nicht wie in zahlreichen anderen Untersuchungen die persönlichen Einstellungen von Beamtinnen und Beamten gewesen.
Polizei-Ansprachen oft harsch, duzend, mit körperlichem Einsatz
Auch bei der Kontaktgestaltung stellen die Forscher problematische Muster fest: So unterstellten Polizisten bestimmten Personengruppen vermehrt pauschal Polizeifeindlichkeit – insbesondere bei arabisch oder türkisch gelesenen jungen Männern. Diese Pauschalisierung werde in bestimmten Situationen handlungsleitend. „So haben wir in unserer Forschung beobachtet, dass die Polizei ihre Machtüberlegenheit gegenüber den oben erwähnten Personengruppen jenseits des konkreten Anlasses demonstriert“, so die Forscher. Selbst in entspannten Situationen erfolge die polizeiliche Ansprache harsch, duzend, und mit körperlichem Einsatz.
„Man erkennt die Dealer am äußeren Erscheinungsbild. Das beruht auf Erfahrung. Ein Albaner und ein Osteuropäer sehen eben aus, wie sie aussehen.“ (Zitat Polizist).
Mit Co-Autor Jens Bergmann habe sie 2021/22 etwa ein Jahr lang in unterschiedlichen Dienststellen den Polizeialltag des Einsatz- und Streifendienstes, der Kriminalpolizei und der Bereitschaftspolizei in Niedersachsen begleitet, erläuterte Jacobsen. „Konkret sind wir mit Streife gefahren, waren bei Einsätzen dabei und haben die anschließende Dokumentationsarbeit verfolgt. Wir haben beobachtet, wie Ermittlungsansätze gesucht, Spuren gesichert und Vernehmungen durchgeführt werden“, schreiben Jacobsen und Bergmann in einer für den „Mediendienst Integration“ erstellten Zusammenfassung.
Problematische Werturteile auf der Wache
Wie daraus hervorgeht, fallen in Polizeiwachen zudem problematische Werturteile. Bei einer routinemäßigen Besprechung etwa sei über die Vergewaltigungsanzeige einer Ehefrau durch ihren Ehemann referiert worden. „Wie üblich nennt der Leiter der Besprechung die Namen von anzeigender und beschuldigter Person. Er hat Mühe, sie auszusprechen und ergänzt, die Betroffenen seien aus Indien. Dann guckt er auf und sagt: ‚Naja, mal gucken, was dabei rauskommt. Man weiß ja nicht, was bei denen so üblich ist.‘“, heißt es in der Vorlage.
Die Polizei und das Innenministerium in Niedersachsen hätten bereits signalisiert, dass sie daraus gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Vorschläge für andere Arbeitsabläufe erarbeiten wollten, sagte Jacobsen. Die Ergebnisse seien aber auch auf andere Bundesländer übertragbar. Ein Gegensteuern sei gerade vor dem Hintergrund des mutmaßlich islamistischen Anschlags von Solingen dringend notwendig. Menschen, die Diskriminierung erführen, radikalisierten sich leichter. Die Polizeiforscherin plädierte zudem dafür, nach britischem Vorbild unabhängige Beschwerdestellen mit Ermittlungskompetenzen für Polizisten einzurichten.
Polizeiliches Gehör und Polizeikontrollen
Probleme konstatieren die Forscher auch bei der Gewährung von polizeilichem Gehör. Polizisten neigten bei Kommunikationsstörungen dazu, die Befragung vorzeitig abzubrechen. Das führe zu Informationslücken und gefährde den Erfolg der Ermittlungstätigkeit.
Ein Dauerthema: Rassistische Diskriminierungen bei anlasslosen Kontrollen. Diese resultierten laut Studienleiterin Jacobsen daraus, dass sich die Beamten mangels anderer Kriterien auf Erfahrungen und polizeilich erstellte Lagebilder stützten. Wenn diese etwa ergäben, dass am Bahnhof meistens junge Albaner Kokain verkauften, richte sich die polizeiliche Aufmerksamkeit zur Bekämpfung des offenen Drogenhandels auf Personen, die migrantisch aussähen. Diese Praxis der „rassifizierenden Kontrollen“ berge die Gefahr eines Tunnelblicks und der selbsterfüllenden Prophezeiung. Jede einzelne erfolgreiche Kontrolle bestätige das Verdachtsschema. (epd/mig) Aktuell Panorama
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