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Handelsschiff (Symbolfoto) © Maritime_Filming_UK @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

„Meilenstein mit Abstrichen“

EU-Lieferkettengesetz kommt trotz deutscher Enthaltung

Das EU-Lieferkettengesetz kommt doch: Gegen den Widerstand der FDP gab es in Brüssel eine Mehrheit für die Richtlinie. Große Unternehmen müssen damit künftig Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Kürzlich wurde auch ein Verkaufsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit beschlossen.

Von und Sonntag, 17.03.2024, 10:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.03.2024, 22:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Widerstand aus Teilen der Bundesregierung konnte es am Ende nicht stoppen: Die EU-Staaten haben am Freitag den Weg für das europäische Lieferkettengesetz frei gemacht. Wie die belgische Ratspräsidentschaft mitteilte, stimmte eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten für die Richtlinie, nach der europäische Unternehmen künftig die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherstellen müssen. Auch müssen Konzerne einen Plan verabschieden, um sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Weil die FDP gegen das Vorhaben war, hatte sich Deutschland auch bei dieser letzten Abstimmung im Rat enthalten, obwohl das Gesetz nochmals abgeschwächt wurde. In Deutschland gilt bereits seit 2023 ein Lieferkettengesetz. Das EU-Gesetz geht aber in Teilen darüber hinaus.

Dennoch sieht der angenommene Gesetzentwurf weniger strenge Regeln vor als der ursprüngliche Entwurf. Zunächst sollte das EU-Lieferkettengesetz bereits für Unternehmen ab 500 Beschäftigten mit einem globalen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr gelten. Der neue Entwurf, der dem „Evangelischen Pressedienst“ vorliegt, gilt nun für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Die jährliche Umsatzschwelle liegt bei 450 Millionen Euro.

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Nach Einschätzung der Organisation „Initiative Lieferkettengesetz“ gilt das Gesetz nun nur noch für ein Drittel der ursprünglich vorgesehenen Unternehmen, in Summe für rund 5.500 Firmen. „Wir sind enttäuscht, dass das Vorhaben so ausgehöhlt wurde“, sagte Johanna Kusch von der Organisation. Dennoch äußerte sie sich erleichtert, dass die Mehrheit zustande kam.

FDP enttäuscht

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der das Gesetz federführend für die Bundesregierung mit verhandelt hat, begrüßte das Votum, das ohne deutsches Ja zustande kam. Es sei endlich gelungen, „eine gemeinsame europäische Lösung für faire Lieferketten zu finden“. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sprach von einem „Meilenstein“ und erklärte, mit einem EU-Lieferkettengesetz gebe es künftig gleiche Wettbewerbsbedingungen. „Niemand muss im Binnenmarkt mehr Nachteile befürchten, weil er fair und ohne Kinderarbeit produzieren lässt.“

Enttäuschung äußerte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). „Ich mache keinen Hehl daraus: Wir hätten uns ein anderes Ergebnis gewünscht“, sagte er. Gleichwohl sei der „Einsatz in Brüssel keinesfalls umsonst“ gewesen, sagte Buschmann: „Unsere Skepsis hat eine Reihe von Details zum Besseren bewegt.“ Er verwies unter anderem auf die Änderungen bei der Geltungsfrist und Unternehmensgrößen.

Deutschlands Enthaltung „bitter“

Umweltschutz-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen kritisierten diese Änderungen. Als einen „Meilenstein mit Abstrichen“ bezeichnete die Organisation Oxfam den angenommenen, abgeschwächten Gesetzestext. Auch viele andere Organisationen äußerten zu gleichen Teilen Erleichterung über die Mehrheit für das Gesetz sowie Kritik am deutschen Abstimmungsverhalten und den Veränderungen in letzter Minute.

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, sagte, es sei bitter, „dass sich Deutschland enthalten hat, nachdem es zuvor für massive Verschlechterungen im Gesetzestext gesorgt hat“. „Brot für die Welt“-Präsidentin Dagmar Pruin hob das Positive hervor: „Nichtsdestotrotz verbessert das EU-Lieferkettengesetz mit seinen Vorkehrungen zu zivilrechtlicher Haftung den Rechtsschutz von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen.“

In der Wirtschaft stößt das Vorhaben auf geteiltes Echo. Große Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lehnen das Gesetz ab. Sie sprechen aber nicht für alle Unternehmen. Eine Allianz europäischer Konzerne von Aldi über Ikea bis hin zu Unilever oder Hapag-Lloyd begrüßte das Lieferkettengesetz ausdrücklich. Gerade deutsche Unternehmen könnten von der Einführung profitieren, weil sie sich bereits an das deutsche Lieferkettengesetz halten müssen. Ein EU-Gesetz würde einheitliche Regeln für alle schaffen.

Gegenüber der Wirtschaft eingeknickt

Kritik an den Änderungen in letzter Minute kam auch von der Linken. „Die Politik ist auf den letzten Metern gegenüber der Wirtschaft eingeknickt“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring. Das neue Gesetz könne nur ein erster Schritt für echte Unternehmensverantwortung weltweit sein.

EU-Mitgliedsstaaten, EU-Parlament und Kommission hatten sich bereits im Dezember auf das Gesetz geeinigt. Danach hatte allerdings die FDP ihr Veto erklärt. Deutschland musste sich deshalb bei der Abstimmung enthalten. Der von den EU-Staaten angenommene Kompromiss muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Nach Angaben der EU-Abgeordneten Anna Cavazzini (Grüne) ist die Abstimmung für April geplant.

Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit

Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte sich eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten auf ein Verkaufsverbot von Produkten aus Zwangsarbeit geeinigt. Weil die FDP auch dieses Gesetz ablehnt, enthielt sich die Bundesregierung. Das Gesetz muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden.

Konkret sieht das Gesetz vor, dass kein Teil eines Produktes unter Zwangsarbeit hergestellt werden darf. Handelt es sich beispielsweise um ein Teil eines Autos, ist der Autohersteller verpflichtet, entweder einen neuen Zulieferer zu finden oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. „Stammen die Tomaten für eine Soße aus Zwangsarbeit, muss die gesamte Soße entsorgt werden“, erklärte der Rat kürzlich. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten sollen gemeinsam untersuchen, ob Zwangsarbeit in den Lieferketten vorkommt. Kleine und mittelständische Unternehmen sollen bei der Umsetzung der Verordnung unterstützt werden. (epd/mig) Leitartikel Wirtschaft

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