Abstimmung vertagt
Vorerst keine Mehrheit für EU-Lieferkettengesetz in Sicht
Das geplante EU-Lieferkettengesetz sollte große Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten anhalten. Eine politische Einigung gab es auch schon. Doch Bedenken der FDP haben das Projekt ins Wanken gebracht. Die Entscheidung darüber wurde jetzt vertagt.
Sonntag, 11.02.2024, 17:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.02.2024, 17:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Unter den EU-Staaten zeichnet sich vorerst keine Mehrheit für ein europäisches Lieferkettengesetz ab. Eine Abstimmung über eine zuvor von Unterhändlern ausgehandelte Einigung wurde spontan verschoben, wie die belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Das liegt auch daran, dass in Deutschland FDP-geführte Ministerien kurz angekündigt hatten, dem Vorhaben nicht zustimmen zu wollen. Die FDP erklärte, auch andere EU-Länder hätten Bedenken.
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der Union profitieren. Sie sollen zudem stärker auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele verpflichtet werden. Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Das EU-Vorhaben geht aber auch über die deutschen Vorgaben hinaus. So gilt es für mehr Unternehmen und sieht mehr Möglichkeiten vor, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen, die sich nicht an die Vorgaben halten.
Streit in der Ampel
Vor einer Woche hatten sich die von den Liberalen geführten Ministerien für Justiz und Finanzen gegen die Pläne gestellt. Damit war eine Mehrheit für das Vorhaben ungewiss. Vermutet wurde, dass sich Italien am Verhalten Deutschlands hätte orientieren können. Das Verhalten der FDP sorgte auch in der Koalition für Streit. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte, Deutschlands Verlässlichkeit in der EU stehe auf dem Spiel. „Wenn wir unser einmal in Brüssel gegebenes Wort brechen, verspielen wir Vertrauen.“
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge, sagte am Freitag, dass die Abstimmung über eine so wichtige Richtlinie wie das EU-Lieferkettengesetz ausgerechnet aufgrund einer fehlenden Zustimmung aus Deutschland auf der Kippe stehe, sei „extrem bitter“. Durch die Verschiebung der Abstimmung habe Deutschland allerdings noch eine Chance bekommen.
FDP will Nachbesserungen
Die FDP betonte, mit ihrer Kritik nicht allein zu sein und forderte Änderungen. Parteichef Christian Lindner schrieb auf der Plattform X, ehemals Twitter, das Lieferkettengesetz würde Betriebe ohne sicheren Fortschritt für Menschenrechte und Umwelt stark belasten. „Die (lange bekannten) Anforderungen der Bundesregierung wurden nicht erfüllt. Und Deutschland ist offensichtlich mit seinen Bedenken alles andere als allein.“
Auch Parteikollege Carl-Julius Cronenberg betonte: „Neben Deutschland war aus vielen weiteren Mitgliedsländern deutliche Kritik zu vernehmen.“ Das Nein der FDP entspreche dem Koalitionsvertrag. Die Chefverhandlerin des EU-Parlaments, Lara Wolters, hatte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur betont, die FDP sei eng in die Verhandlungen eingebunden und an Bord gewesen. Andere Behauptungen seien „Blödsinn“, sagte die Sozialdemokratin.
Der Unionsvorsitzende im EU-Parlament, Daniel Caspary, erklärte, die Stimmung unter den EU-Staaten sei eindeutig gewesen. Das Lieferkettengesetz wäre abgelehnt worden, wäre es zu einer Abstimmung gekommen. Es werde durch Verzögerung versucht, Kritiker auf den letzten Metern weichzukochen.
Kritik aus Wirtschaft
Wirtschaftsvertreter begrüßten ebenfalls, dass das Lieferkettengesetz nicht verabschiedet wurde. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen erklärte, die Ziele seien zwar unbestritten richtig, die Richtlinie selbst aber handwerklich schlecht gemacht. „Der deutsche Mittelstand ertrinkt auch ohne zusätzliche Belastungen aus Brüssel in Berichtspflichten und einer Flut von Fragebögen.“
Der Zentralverband des deutschen Handwerks erklärte, das Gesetz bedeute „zusätzliche ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Belastungen für die ohnehin von Bürokratie überbordend belasteten Betriebe“ und dürfe in der jetzigen Fassung nicht verabschiedet werden.
Menschenrechtler appellieren an Scholz
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hatte sich am Donnerstag eindringlich für das Vorhaben ausgesprochen. Deutschland werde einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden und Europa einen irreparablen politischen Schaden erleiden, falls das Lieferkettengesetz keine Mehrheit finde, sagte Marcel Fratzscher.
Menschenrechtler äußerten scharfe Kritik und appellierten an Kanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung, eine schnelle Einigung zu finden. Die Organisation Global Witness sagte, die Bundesregierung werde „von ihrem Junior-Koalitionspartner erpresst“. Die Zeit werde knapp. Die EU-Staaten müssten mit der belgischen Ratspräsidentschaft zusammenarbeiten, um das Gesetz zu verabschieden.
Die Initiative Lieferkettengesetz warf der FDP vor, „mit Falschbehauptungen und einem massiven Foulspiel“ versucht zu haben, Unsicherheiten bei anderen EU-Staaten zu verbreiten. „Der Kanzler muss seine Richtlinienkompetenz nutzen und Deutschlands Gesicht in der EU wahren“, erklärte ein Sprecher. Auch die Umweltorganisation Germanwatch und das Hilfswerk Brot für die Welt forderten den Kanzler auf, sich für eine Verabschiedung einzusetzen. (dpa/mig) Aktuell Wirtschaft
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