Ansichten & Aussichten
Nazikonferenz am Wannsee: Ihre Demokratie braucht Sie jetzt.
Die Deportationspläne der AfD sind längst geschmiedet, es fehlt nur noch die Logistik, bis nach der Wahl - schon wieder. Aber diesmal ist bewiesen: Alle wussten Bescheid.
Von Miriam Rosenlehner Montag, 15.01.2024, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.01.2024, 12:23 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
Für viele klingt es ja wie Folklore, wenn man sagt, dass die Demokratie nicht ohne Demokrat:innen zu machen ist. Dann verstehen die Leute darunter, dass sie Zeitung lesen, die Nachrichten verfolgen und wählen gehen sollen (wenn das Wetter gut ist). Das mit dem Wetter habe ich auch zuerst für einen zynischen Witz gehalten. Tatsächlich gibt es Studien, die zeigen, dass sich die Wahlbeteiligung erhöht, wenn am Wahltag gutes Wetter ist. Das sagt schon was über die Sorglosigkeit und wie es um das allgemeine Demokratieverständnis bestellt ist.
Dieserart Engagement reicht einfach nicht mehr. Die Demokratie ist kein Lieferdienst, bei dem man bestellt, bezahlt und dann mehr oder minder das bekommt, was auf der Speisekarte steht. Wir sind sehr gewohnt, bedient zu werden. Wir sind es gewohnt, politische Prozesse als etwas zu betrachten, dass weit weg von uns passiert. Der Knackpunkt in einem freien Land ist aber, dass hier alle Politik machen können. Und wenn es um die Freiheit geht, dann muss das auch jede:r, weil, und das ist eine Eigenart der Demokratie, jede:r einzelne mitverantwortlich ist. Die große Freiheit entbindet uns nicht von der Verantwortung. Sie bedingt sie. Wer frei ist, ist auch verantwortlich für das, was in seinem Einflussbereich passiert.
Wer macht eigentlich aktiv Politik in unserer Demokratie? Das sind einerseits die Menschen, die die Verhältnisse konservieren wollen, weil sie davon profitieren. Deshalb nennt man sie Konservative. Die Progressiven sind dagegen unzufrieden. Wenn Sie mich fragen, denken sie an die Zukunft und daran, was sich ändern muss, damit das Wertvolle erhalten bleiben kann. Daneben sind es marginalisierte Gruppen, die um ihre Rechte kämpfen müssen. Wer im Staat benachteiligt ist, hat einen Grund, sich zu bewegen. Und schließlich sind es die, die die Demokratie abschaffen wollen. Faschisten zum Beispiel, Menschen mit Umsturzphantasien, wie es Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kürzlich ausgedrückte.
„Wenn ich in die Zukunft denke, denke ich daran, dass man sie diesmal nicht mehr Mitläufer:innen nennen wird. Weil bewiesen ist, dass wir alle Bescheid wussten.“
Die demokratische Mitte geht arbeiten und (bei schönem Wetter) wählen, denn im Großen und Ganzen ist für sie alles okay. Diese Leute machen keine Politik, weil sie nicht müssen. Und das ist wirklich brandgefährlich in diesen Zeiten. Wenn ich in die Zukunft denke, denke ich daran, dass man sie diesmal nicht mehr Mitläufer:innen nennen wird. Weil bewiesen ist, dass wir alle Bescheid wussten.
Sie ahnen es schon. Es geht um das Treffen von Faschist:innen in einer Villa nur 8 Kilometer entfernt von der Gedenkstätte Wannseekonferenz, dem Ort, an dem 1942 die Logistik der Vernichtung der europäischen Juden durch Funktionäre des Naziregimes ausgearbeitet wurde. Ich interpretiere das als gewollte Symbolik. Die Täter:innen auf dieser Konferenz wählten den Ort mit voller Absicht. Sie verbinden das, was sie im November 2023 dort ausarbeiteten, mit der Wannseekonferenz und sind stolz darauf.
„Die Konferenz von 2023 schmiedete nicht etwa Deportationspläne von Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte… Nein, diese Pläne sind längst geschmiedet, es ging um die Logistik.“
Es lohnt sich, die Originalrecherche von correctiv.org zu lesen, denn es sollte einem kein Wort davon entgehen. Die Konferenz von 2023 schmiedete nicht etwa Deportationspläne von Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte und solchen, die in einem faschistischen Staat politisch unliebsam sind. Nein, diese Pläne sind längst geschmiedet, es ging um die Logistik. Es ging um die Umsetzung, um die Praktischmachung dieser Pläne. Es wurde Geld gesammelt und vor allem darüber geredet, wie man bereits lang eingesammeltes Geld sicher verwalten kann.
In manchen Medien werden diese Pläne mit dem Madagaskarplan verglichen, dem Plan der Nazidiktatur, bei dem die europäischen Juden nach Madagaskar deportiert werden sollten. Der Plan zerschlug sich – weil die Nazis von gestern ebenso wie die von heute nicht daran gedacht haben, dass ihnen nicht die ganze Welt gehört. Das wird bei der Durchführung der Pläne auch diesmal ein Problem sein, denn die Unerwünschten sollen, wenn es nach dem Plan geht, „nach Afrika“ deportiert werden. Was wird passieren, wenn sie feststellen, dass „Afrika“ ein Kontinent mit unabhängigen Staaten ist, der vielleicht gar keine Lust hat auf ein Vertriebenenlager auf seinen Staatsgebieten? Als der Deportationsplan der alten Nazis nicht aufging, verlegten sie sich jedenfalls darauf, die europäischen Juden zu ermorden. Die Umsetzung planten sie bei der Wannseekonferenz.
„Denn auch diesmal wird die Machtergreifung keine Ergreifung sein, sondern eine Wahl.“
Mit nicht geringem Selbstbewusstsein sprach man diesmal am Wannsee davon, dass man bereit sein wolle, wenn „eine patriotische Kraft in diesem Land die Verantwortung übernommen hat“ (Nein, nicht falls, sondern wenn diese Kräfte übernehmen). Es wurden Gesetze diskutiert, die die Deportationen möglich machen würden – kurz, es ging um den rechtlichen Weg aus der Demokratie mit scheinbar demokratischen Mitteln. Denn auch diesmal wird die Machtergreifung keine Ergreifung sein, sondern eine Wahl. Der Faschismus benutzt die Rechte der Freiheit, um diese abzuschaffen.
Es ist die Achillesferse der Demokratie: die Freiheit ist schön, aber sie kann gegen sich selbst verwendet werden.
Finstere Pläne, die da nicht irgendwer bei Schnittchen in gediegenem Ambiente schmiedete. Über Landesgrenzen hinaus, über Parteigrenzen hinweg, in Kooperation mit Wirtschaftsgrößen und vielen, vielen stillen Unterstützenden, die sich noch nicht mit den Tätern sehen lassen wollen. Noch nicht. Aber längst in ihre Taschen greifen, um für diesen Wahnsinn zu bezahlen.
„Wie viele Möglichkeiten wir im Laufe der Jahre entwickelt haben, um auf keinen Fall einzugreifen. Auf keinen Fall einzugreifen.“
Und jetzt kommen wir. In der Vergangenheit haben wir einige Denkfiguren entwickelt, wie mit rechten Umtrieben umzugehen ist: Nicht glauben. Nicht ernstnehmen. Ernstnehmen, aber hilflos sein. Ernstnehmen, aber nicht zuständig sein. Empört sein. Darüber schweigen und hoffen, dass sich das Problem von selbst erledigt. Als nicht so schlimm einordnen oder feststellen, dass einem rechtlich die Hände gebunden sind… Ich könnte fortfahren, wie viele Möglichkeiten wir im Laufe der Jahre entwickelt haben, um auf keinen Fall einzugreifen. Auf keinen Fall einzugreifen! Und das muss für Faschist:innen lustig anzusehen sein. Deshalb empfinden sie die Demokrat:innen als weich und unfähig, sich zu wehren.
„Wir haben die Sorgen dieser Bürger ernster genommen als ihre antidemokratischen Haltungen.“
Wir haben jetzt eine lange Tradition des Wegschauens hinter uns. Als die AfD Lehrerdenunziationsplattformen im Internet aufgesetzt hat, haben wir keine saubere rechtliche Lösung gefunden, sondern eine leise, verschämte und etwas verängstigte. Den NSU haben wir gewähren lassen und wir haben hingenommen, dass dieser Staat nicht fähig war, sich vor Kräften zu schützen, die die Terrorbande und ihre Unterstützer:innen systematisch abgesichert hat. Wir sind mit dem Verbot von rechtsradikalen Parteien gescheitert und glauben seither, dass sich das dann eben von selbst erledigt. Wir haben zugestimmt und immer weiter zugestimmt, als rechte Parolen bis in unsere Parlamente vorgedrungen sind. Wir haben die Sorgen dieser Bürger ernster genommen als ihre antidemokratischen Haltungen oder gar konkreten Pläne. Wir haben nicht gehandelt, als die letzte Mittestudie über rechtsextreme Haltungen zeigte, wie gut die Propagandastrategien von rechts aufgehen: Jede zwölfte Person in Deutschland teilt ein rechtsextremes Weltbild. Den Warnenden und Mahnenden haben wir freundlich den Kopf getätschelt: Übertreib mal nicht. Wir haben so viel hingenommen und haben uns immer weitertreiben lassen. Oder sind wir geschwommen? Haben wir uns bewegt oder sind wir bewegt worden?
„Die Pläne der Novemberkonferenz am Wannsee gehen nun in die Umsetzungsphase. Mindestens ein Bundesland steht kurz vor dem Fall (natürlich durch eine Wahl).“
Die Pläne der Novemberkonferenz am Wannsee gehen nun in die Umsetzungsphase. Mindestens ein Bundesland steht kurz vor dem Fall (natürlich durch eine Wahl). Und genau dort soll mit der Vertreibung von ungewünschten Menschen und deren Geschäften begonnen werden: In Sachsen-Anhalt soll es für „dieses Klientel möglichst unattraktiv sein, zu leben“ – so wird der Fraktionsvorsitzende der AFD Sachsen-Anhalt nach der Konferenz zitiert. Er schwärmte von umsetzbaren Plänen, wie er das Vorhaben vorantreiben will.
Ganz offensichtlich glaubte keiner in der Runde, dass die Demokratie sich noch wehren kann. Während die Demokratie glaubt, dass man das nicht so ernst nehmen muss.
„Die Zeit des Abwartens und Hoffens ist schon länger vorbei.“
Und damit zurück zu uns. Die Zeit des Abwartens und Hoffens ist schon länger vorbei. Meine Damen und Herren, diesmal müssen wir uns bewegen und nicht bewegen lassen. Es gibt immer noch keine staatliche Strategie gegen wiedererstarkenden Faschismus. Die rechtlichen Mittel sind langsam und was wir bisher anbieten, ermutigt und belustigt die Gegner der Freiheit mehr, als dass es sie aufhält. Wer glaubt wirklich, dass rechte Propaganda diesmal nicht so wirkungsvoll sein kann wie in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts? Heute, mit Tiktok, Telegram, Internet, Instagram und künstlicher Intelligenz, die in 2 Minuten glänzende Fälschungen von Bildern, Videos und Reden von jeder missliebigen Person erstellt?
Demokrat:innen, nun müssen wir unsere Verantwortung endlich wahrnehmen. Was wir brauchen, sind neue Lösungen.
„Alles, was bisher getan wurde, hat uns nicht geschützt, sondern den Rechten die Tür aufgehalten.“
Welche rechtlichen Wege wurden bisher noch nicht beschritten? Welche legalen Mittel haben wir, um die Demokratie zu schützen? Wie können wir uns vernetzen und dabei trotzdem vor faschistischen Kräften schützen? Wie können wir sicher zusammenarbeiten? Wie können wir Demokrat:innen den gemeinsamen Nenner finden? Welche Pläne zum aktiven Schutz der Demokratie fehlen uns? Welche Wirkung müssten sie haben? Wie können wir sie umsetzen? Wen können wir ansprechen, ins Boot holen? Was können wir an unserem Arbeitsplatz tun? Was darüber hinaus? Welche neuen Ideen können wir generieren? Welche Umsetzungen können wir wie unterstützen? Welche neuen Wege können wir beschreiten, die wir noch nicht versucht haben? Welche Fragen haben wir uns noch nicht gestellt? Alles, was bisher getan wurde, hat uns nicht geschützt, sondern den Rechten die Tür aufgehalten. Also was haben wir noch nicht getan, das Wirkung zeigt?
Fragen wir uns alle ernsthaft, was wir für unsere Demokratie tun können, statt zu fragen, was sie für uns tut. Denn es ändert sich nur etwas, wenn wir etwas ändern. Wir müssen diese Veränderung sein, sonst sind es die Antidemokraten. Meinung
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