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Seenotrettung im Mittelmeer © Sea Eye/Cédric Fettouche

Mittelmeer-Flüchtlingspolitik

Schwangerschaftsabbruch wegen bürokratischem Hin und Her

Im Mittelmeer bleibt es dramatisch: Eine Frau muss einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, weil ihr Hilfe zunächst verweigert wird, dann zu spät kommt. Bei Bootsunglücken sterben derweil weitere Menschen – und das Finanzministerium will keine neuen Mittel für Seenotretter einplanen.

Montag, 30.10.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 30.10.2023, 15:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die privaten Seenotretter von der deutschen Organisation Sea Eye haben mangelnde Hilfe für eine schwangere Frau beklagt, die sie zuvor aus dem Mittelmeer gerettet hatten. Die Seenotretter sollten am Sonntagnachmittag mit 48 Geretteten in den Hafen von Vibo Valentia einlaufen, wie Gordon Isler, Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation, am Sonntag dem „Evangelischen Pressedienst“ sagte.

Unter den am Freitagvormittag im Mittelmeer Geretteten hatte sich auch eine schwangere Frau befunden. Die Ärztin an Bord der Sea Eye konnte bei dem Kind keinen Herzschlag feststellen, wodurch auch das Leben der Frau in Gefahr zu sein schien. Die italienische Seenotleitstelle verwies laut Sea Eye für die Evakuierung der Frau vom Schiff „Sea-Eye 4“ auf die libyschen Behörden. „Dort ist aber weder jemand ans Telefon gegangen noch wurde auf E-Mails reagiert“, sagte Isler am Sonntag. Erst am Freitagabend habe Italien reagiert und der Crew den Hafen von Lampedusa angewiesen, wo die Frau am Samstagmorgen von Bord geholt und medizinisch versorgt wurde.

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Laut italienischen Medienberichten wurde sie in ein Krankenhaus in Palermo gebracht, wo ein Abbruch der Schwangerschaft vorgenommen werden musste. Die „Sea-Eye 4“ ist von dort mit den 48 verbliebenen Menschen an Bord in den zugewiesenen Hafen von Vibo Valentia in der italienischen Region Kalabrien weitergefahren.

Halben Tag vergeudet mit Hin- und Herschieben von Verantwortung

„Es ist ein Skandal, dass mit dem Hin- und Herschieben von Verantwortung ein halber Tag vergeudet wurde“, sagte Isler dem epd. „Sie haben mit dem Leben der Frau gespielt“, sagte Isler. In früheren Fällen sei es kein Problem gewesen, einen Helikopter zur Rettung von Menschenleben zu schicken. Dieser hätte von Lampedusa aus gerade einmal eine Stunde zum Schiff der Sea Eye an der Rettungsstelle gebraucht.

Als die „Sea-Eye 4“ am Freitagmorgen das überfüllte Schlauchboot, das einen Notruf abgesetzt hatte, erreichte, war die libysche Küstenwache bereits vor Ort. Diese hätte das Boot derart bedrängt, dass Panik ausgebrochen sei und mehrere Personen ins Wasser gefallen sind. Ob alle gerettet werden konnten, ist unklar. In dem Schlauchboot befanden sich bereits vier Tote.

Flüchtlingsboot vor Sizilien gekentert – mindestens fünf Tote

Am Samstag ist ein anderes Boot vor der Küste Siziliens in Seenot geraten und gekentert. Fünf Leichen seien danach am Strand der Gemeinde Marinella di Selinunte im Westen der italienischen Mittelmeerinsel angespült worden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Küstenwache. Das Gewässer vor dem Küstenabschnitt wurde von Einsatzkräften der Küstenwache und Finanzpolizei durchsucht.

Italienischen Medienberichten zufolge kippte das alte und seeuntaugliche Fischerboot aus noch ungeklärter Ursache einige Meter vor der Küste von Marinella di Selinunte um und riss die Menschen an Bord ins Wasser. Das Boot war bereits Mitte der Woche von Tunesien aus in Richtung Italien gestartet, hieß es. Wie viele Menschen ursprünglich auf dem Boot waren und möglicherweise unverletzt an Land gingen, war zunächst unklar. Es ist daher auch offen, ob möglicherweise mehr Menschen bei dem Unglück ums Leben gekommen sind.

Viele Menschen versuchen immer wieder über das zentrale Mittelmeer nach Lampedusa, Malta, Sizilien oder auf das italienische Festland zu gelangen. Dabei kommt es mitunter zu verheerenden Bootsunglücken mit teils vielen Toten. Das Innenministerium in Rom zählte in diesem Jahr knapp 142.400 Menschen, die auf Booten Italien erreichten – im Vorjahreszeitraum waren es rund 82.100 (Stand 27. Oktober). Die Zahl der Toten beträgt Schätzungen zufolge mindestens 2.440 – in der Statistik werden nur Personen gezählt, deren Körper leblos aufgefunden wurden.

Finanzministerium will keine neuen Mittel für Seenotrettung einplanen

Trotz der vielen Toten will das Finanzministerium keine neuen Mittel für die Seenotrettung im Mittelmeer in seinen Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 einplanen. Sollten erneut Bundesgelder fließen, müsse der Bundestag das beschließen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). In der Bundesregierung gebe es unterschiedliche Meinungen, was die Unterstützung solcher Organisationen angehe. So bestünden etwa Zweifel, ob nicht mittelbar die Schlepperkriminalität mit deutschem Steuergeld unterstützt würde.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich jüngst von einer öffentlichen Finanzierung der Seenotrettung von Flüchtlingen durch Hilfsorganisationen im Mittelmeer distanziert. Das von den Grünen geführte Auswärtige Amt dagegen will diese auch in den nächsten Jahren unterstützen.

In diesem Jahr werden nach Angaben des Auswärtigen Amts drei Organisationen für die Seenotrettung und Versorgung von Geflüchteten gefördert. Zusammen erhalten sie laut Plan zwei Millionen Euro. Diese Gelder seien auch im vergangenen Jahr schon vom Bundestag und nicht von der Bundesregierung bewilligt worden, hieß es im Finanzministerium. Es stehe dem Haushaltsausschuss frei, auch in diesem Jahr wieder entsprechend zu entscheiden. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama

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