Flüchtlingspolitik
Faeser und Scholz werben in Afrika für Migrationsabkommen
Abschiebungen aus Deutschland sind in Marokko ein heikles Thema, über das die Regierung ungern öffentlich spricht. Entsprechend vorsichtig wählt Nancy Faeser dort ihre Worte. Beim Kanzler-Besuch in Nigeria wird offener gesprochen.
Von Anne-Béatrice Clasmann und Michael Fischer Montag, 30.10.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.10.2023, 8:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Kanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben bei Reisen nach Afrika mehr Chancen für Arbeitsmigranten aufgezeigt. Gleichzeitig drangen die beiden SPD-Politiker auf eine bessere Kooperation bei Abschiebungen von Menschen aus Marokko und Nigeria. Dabei geht es etwa darum, dass die Behörden der Herkunftsländer Papiere ausstellen oder anerkennen.
Faeser machte sich in Marokko zudem für mehr Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen stark. Mit ihrem marokkanischen Amtskollegen, Abdelouafi Laftit, unterzeichnete sie am Montag in der Hauptstadt Rabat eine entsprechende Absichtserklärung.
Marokko wenig Interesse an Rücknahme
Die marokkanische Regierung hat in den vergangenen Jahren wenig Interesse an einer Rücknahme ausreisepflichtiger Landsleute gezeigt. Laut Bundesinnenministerium leben in Deutschland 3660 Marokkaner, die ausreisepflichtig sind. Da 2762 von ihnen aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend geduldet werden, ist nur bei 898 marokkanischen Staatsbürgern eine Abschiebung möglich. Sammelabschiebungen per Charter lässt Marokko nicht zu, so dass immer nur einzelne Rückführungen per Linienflug möglich sind. Das ist ein mühsames Geschäft für die Bundespolizei, die Abschiebungen begleitet – vor allem, wenn sich die Betroffenen physisch zur Wehr setzen, weswegen Rückführungen in Einzelfällen abgebrochen werden.
Faeser ist es in Rabat wichtig zu betonen, dass Rückführungen nicht ihr einziges Anliegen sind. Im Angebot hat sie mit Zugängen für marokkanische Arbeitskräfte und einer Kooperation bei Grenzschutz und Terrorbekämpfung auch Maßnahmen, die für die Regierung in Rabat interessant sind. Das Beispiel Tunesien, wo die Kooperation bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität nach viel öffentlicher Kritik zuletzt ins Stocken geraten war, hat gezeigt, dass die Europäer in Nordafrika diplomatisches Geschick brauchen, um ans Ziel zu kommen.
„Nicht in interne Angelegenheiten einmischen“
Wo bei den Marokkanern die Empfindlichkeiten liegen, zeigt auch ein Passus der in Rabat unterzeichneten Absichtserklärung. Darin heißt es, die Mitarbeiter beider Länder, die im Rahmen der vereinbarten Kooperation tätig werden, sollten „die politische Unabhängigkeit und nationale Souveränität beider Länder achten und sich nicht in interne Angelegenheiten einmischen“.
Faeser spricht in Rabat von einer „Erneuerung und Vertiefung der Zusammenarbeit“ im Sicherheitsbereich. Sie benennt Möglichkeiten für Kooperation bei Cybersicherheit, Digitalisierung und im Sport. Vorsichtig formuliert sie zur Migration: “Wir möchten auch hier eine Kooperation auf Augenhöhe erreichen.“ Dabei gehe es auch darum, Schleusern das Handwerk legen, um irreguläre Migration zu reduzieren.
Das Bundeskabinett hatte vergangene Woche einen Gesetzentwurf beschlossen, der verhindern soll, dass Abschiebungen im letzten Moment scheitern – etwa weil die Betroffenen nicht auffindbar sind. Beispielsweise soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams derzeit zehn auf 28 Tage verlängert werden.
Gespräche mit weiteren Ländern
Begleitet wird Faeser auf ihrer zweitägigen Reise von Joachim Stamp. Der für den Abschluss sogenannter Migrationsabkommen eingesetzte Sonderbevollmächtigte ist mit mehreren Ländern in vertraulichen Gesprächen. Genannt werden Georgien, Moldau, Kenia, Kolumbien, Usbekistan und Kirgistan.
Von den Marokkanern, die im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland Asyl beantragten, wurden 2,6 Prozent als Flüchtlinge anerkannt. Etwa genauso hoch war der Anteil der Menschen aus dem nordafrikanischen Land, die eingeschränkten Flüchtlingsschutz erhielten.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben 1.246 Menschen aus Marokko erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Im Vergleich zu den 71.833 Syrern, die in diesem Zeitraum erstmalig ein Schutzersuchen stellten, sind das wenig. Allerdings sind auch die Fluchtgründe, wenn man diese beiden arabischen Staaten vergleicht, anders gelagert, weshalb aus Syrien eher ein Querschnitt der Gesellschaft den Weg nach Deutschland findet, während die irreguläre Migration aus Marokko eher Menschen betrifft, die in der Heimat oft ein Dasein am Rande der Gesellschaft führten.
Scholz in Nigeria: Einwanderung von Fachkräften fördern
Die Anstrengungen der Bundesregierung bei der Rückführung nach Marokko lassen sich auch damit erklären, dass unter marokkanischen Migranten ohne dauerhaftes Bleiberecht vergleichsweise viele mutmaßliche und verurteilte Straftäter sind. Laut dem Lagebild des Bundeskriminalamtes zur Kriminalität im Kontext von Zuwanderung lag der Anteil der Zuwanderer aus der Ukraine an den Tatverdächtigen weit unter ihrem Anteil an den Geflüchteten insgesamt, die sich in Deutschland aufhielten. Bei Zuwanderern aus den Maghreb-Staaten – Algerien, Marokko, Tunesien – verhielt es sich entgegengesetzt. Hier lag der Anteil der Tatverdächtigen bei 8,5 Prozent, der Anteil an den Geflüchteten bei 0,6 Prozent.
Scholz betonte während seines Besuchs in Nigeria, dass neben einer erleichterten Rückführung von Nigerianern ohne Bleiberecht auch die Einwanderung von Fachkräften gefördert werden müsse. Dafür sollen Migrationszentren, in denen Rückkehrer aus Deutschland unterstützt werden, ausgebaut werden. Die Zentren sollen sich laut Scholz künftig auch um die Beratung von Fachkräften kümmern, die in Deutschland Fuß fassen wollen. „Dafür braucht es einige Vorbereitungen und Investitionen – auf beiden Seiten“, sagte er. Darüber habe er mit dem nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu gesprochen.
Tinubu hatte sich am Sonntag offen für die Rücknahme von Ausreisepflichtigen gezeigt. Wenn es sich um Nigerianer handele, seien sie zu Hause willkommen. Das Problem ist allerdings oft die Feststellung der Identität. Von den knapp 14.000 ausreisepflichtigen Asylbewerbern aus Nigeria sind rund 12.500 geduldet, größtenteils weil sie keine Ausweispapiere haben. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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