Vor Bund-Länder-Gipfel
Debatte über Asylverfahren außerhalb Europas
Großbritannien versucht bereits seit längerem, Asylverfahren nach Ruanda zu verlagern. Jetzt gibt es in Deutschland eine ähnliche Debatte. Aus der Ampel-Koalition kommen allerdings unterschiedliche Signale dazu.
Von Michael Fischer und Anne-Béatrice Clasmann Mittwoch, 01.11.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.11.2023, 14:10 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Knapp eine Woche vor dem Bund-Länder-Gipfel zur Migration haben hochrangige Politiker von Union und FDP eine Debatte über Asylverfahren außerhalb Europas gestartet. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprachen sich dafür aus, einen solchen Schritt ernsthaft zu diskutieren. Auch in der SPD gibt es Sympathien für die Idee, aber auch Widerstand. Die Grünen lehnen das Vorhaben ab. Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) zeigten sich während ihrer Afrika-Reisen allerdings skeptisch.
„Höflicher Rat“ von Scholz an Union und FDP
Man sollte bei solchen Vorschlägen zunächst einmal fragen, was die Drittstaaten dazu sagen, die die Verfahren durchführen sollen, sagte Scholz im westafrikanischen Ghana. „Das wäre jedenfalls ein höflicher Rat.“
Faeser sagte bei ihrem Besuch in Marokko, die von der Ampel-Regierung geplanten „Migrationsabkommen“ mit einzelnen Herkunftsstaaten von Asylbewerbern seien „zielführender“. Dabei geht es darum, die Abschiebung von Migranten ohne Bleiberecht in Deutschland zu erleichtern und gleichzeitig die Einwanderung von Fachkräften zu fördern. Für diese Abkommen warben Scholz und Faeser in den vergangenen Tagen auf ihren gleichzeitigen Afrika-Reisen. Der Kanzler in Nigeria und Ghana, Faeser in Marokko. Deutschlands Begehren kommt allerdings nicht in allen afrikanischen Ländern gut an. Aus deren Sicht ist es ein schlechter Tausch von gut ausgebildeten Fachkräfte gegen Geflüchtete.
Wüst fordert Asylverfahren entlang der Fluchtrouten
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst sprach sich währenddessen in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ dafür aus, Asylverfahren außerhalb Europas zu prüfen. Nach ihrer Ankunft in Europa sollten Flüchtlinge in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden, „damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden“, sagte der CDU-Politiker der Zeitung. „Das heißt, die, die keinen Schutzstatus erwarten können, kommen erst gar nicht in unser Land.“
Am 6. November wollen die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Scholz über die Eindämmung der irregulären Migration und über die Finanzierung der Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland beraten. Am Freitag soll es ein Vorgespräch von Scholz mit CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt geben. Der Kanzler strebt eine Verständigung mit der Union an. Ein erstes Gespräch mit Merz hat bereits stattgefunden. Entscheidend ist aber das Treffen mit den Ministerpräsidenten am kommenden Montag.
Dürr: „Das ist eine Frage der Menschlichkeit“
Unterstützung bekam er von der Regierungspartei FDP. Fraktionschef Dürr sagte der „SZ“, auch seine Partei befürworte eine Durchführung von Asylverfahren in Drittländern außerhalb der EU. „Eine solche Regelung würde Klarheit über den Schutzstatus schaffen und verhindern, dass sich Menschen ohne Perspektive auf die gefährliche Route übers Mittelmeer begeben. Das ist auch eine Frage der Menschlichkeit.“
SPD-Abgeordneter: Bisherige Maßnahmen „untaugliches Flickwerk“
Auch einige SPD-Bundestagsabgeordnete befürworten Asylverfahren außerhalb Europas. Frank Schwabe, Lars Castellucci und Fabian Funke haben laut „SZ“ dazu einen gemeinsamen Vorschlag erarbeitet, den sie der Fraktion vorlegen wolle. Viele der aktuell diskutierten Maßnahmen seien nur „untaugliches Flickwerk ohne große Wirkung auf die Zahlen“, sagte Schwabe der Zeitung. Daher brauche es rasch eine Verständigung mit den Herkunftsstaaten.
„Zum Konzept gehört auch, dass Ertrinkende staatlich gerettet und an Grenzen nicht mehr verprügelt werden. Aber das Asylverfahren wird eben nicht mehr in Europa durchgeführt“, sagte Schwabe. „Wer an den Außengrenzen ankommt, dessen Asylverfahren wird außerhalb Europas durchgeführt.“
SPD-Fraktionsvize skeptisch zu Asylverfahren außerhalb Europas
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese wiederum äußere sich skeptisch. Rechtsstaatliche Verfahren und die Einhaltung der Menschenrechte müssten in den Drittstaaten zwingend gewährleistet sein, sagte er der „Rheinischen Post“. „Schon die Unions-Innenminister der großen Koalition (Horst) Seehofer und (Thomas) de Maizière sind daran gescheitert.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sei dabei, „einen immens wichtigen Durchbruch bei den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu erzielen, der vorsieht, Asylverfahren in Zentren an den europäischen Außengrenzen durchzuführen“, sagte Wiese. „Darüber hinaus verhandelt aktuell Bundeskanzler (Olaf) Scholz mit Nigeria – als einem der zehn Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern – über Migrationszentren für Rückkehrer, um sie bei ihrer Heimkehr zu unterstützen. Beide Ansätze greifen ineinander und sind menschlicher und erfolgversprechender als die nicht ganz neue Idee, Asylverfahren außerhalb der EU zu führen.“
Grüne gegen Asylverfahren außerhalb Europas
Die Grünen wiederum lehnen Asylverfahren außerhalb der Europäischen Union (EU) ab. „Mich verwundert schon, dass sich die Union als christliche-konservative Partei so leicht damit tut, Lösungen zu vertreten, die nicht dem EU-Recht entsprechen und das Recht auf Asyl faktisch aushebeln sollen“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Nötig seien stattdessen realistische, rechtskonforme Lösungen.
Scholz mahnt: „Klaren Kopf“ bewahren
Scholz sagte in Ghanas Hauptstadt Accra dagegen, es gebe „viele Dinge, die jetzt jeden Tag vorgeschlagen“ würden. „Das Wichtigste ist, dass man immer auch dabei einen klaren Kopf bewahrt.“ Wo man Partner benötige, müsse man zunächst einmal prüfen, „ob die auch kooperieren wollen“.
Britischer Vorstoß für Asylverfahren in Ruanda zunächst gestoppt
Die britische Regierung hat bereits einen ersten konkreten Vorstoß für Asylverfahren gemacht. Sie will Migranten dauerhaft nach Ruanda schicken, damit sie dort Schutz erhalten. Der High Court, ein hohes britisches Gericht, hat das Vorgehen allerdings für rechtswidrig erklärt. Dagegen hat die konservative Regierung Berufung eingelegt. Wann mit der Entscheidung zu rechnen ist, ist unklar.
Die Pläne von Großbritanniens Innenministerin Suella Braverman sehen vor, dass irregulär nach Großbritannien eingereiste Menschen – ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags – festgehalten und so bald wie möglich nach Ruanda abgeschoben werden. Sie sollen dann dort um Asyl ersuchen. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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