Streit nach Votum
Absprachen zwischen CDU und AfD in Thüringen?
In der Debatte nach dem Thüringer Steuerbeschluss wird der Ton rauer. Staatskanzlei und oppositionelle CDU überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Die Gemengelage zeigt: Eine Regierungsbildung nach der Wahl im nächsten Jahr könnte mehr als schwierig werden.
Sonntag, 17.09.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.09.2023, 15:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die im Thüringer Landtag von der oppositionellen CDU mit Hilfe der AfD beschlossene Steuersenkung sorgt weiter für Wirbel. Die Staatskanzlei von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bezichtigte die CDU, mit der AfD gezielte Absprachen zur durchgesetzten Steuersenkung getroffen zu haben. Die CDU versicherte, dass es weder Absprachen noch eine Zusammenarbeit mit der AfD gegeben habe. Der Bundesvorsitzende Friedrich Merz sagte am Sonntag in der ProSieben/Sat.1-Sendung „:newstime Spezial“: „Es hat keine Gespräche, keine Verhandlungen, keine Absprachen gegeben.“ Unterdessen zeigt eine neue Umfrage, dass Thüringen nach der Landtagswahl im nächsten Jahr wieder auf eine äußerst schwierige Regierungsbildung zusteuern könnte.
Die CDU hatte am Donnerstag im Landtag eine Senkung der Grunderwerbsteuer beim Immobilienkauf durchsetzen können, weil die rechtsextreme AfD, die FDP und fraktionslose Abgeordnete zustimmten. Die Abstimmung löste bundesweit Kritik aus. Die Thüringer AfD wird im Freistaat vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet. Die rot-rot-grüne Regierung hat keine eigene Mehrheit.
Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) bejahte im Berliner „Tagesspiegel“ die Frage, ob er Hinweise auf konkrete Absprachen der beiden Parteien habe. „CDU, FDP und AfD haben sich am Donnerstag gezielt abgestimmt“, sagte er. „Es wurden parallel eigene Punkte von der Tagesordnung genommen, um dann die Grunderwerbsteuer behandeln zu können. Alle drei haben gemeinsam die Beschlussempfehlung im Haushaltsausschuss abgegeben. Die AfD hat im Vorfeld öffentlich klargestellt, dass sie das Vorhaben unterstützen wird.“ Er fügte hinzu: „Es gibt seit geraumer Zeit Absprachen, die augenfällig sind.“
Abstimmung mit AfD auch in der CDU umstritten
Der Thüringer CDU-Generalsekretär Christian Herrgott warf Hoff daraufhin am Samstag vor, Lügen zu verbreiten. Die Regierung von Ministerpräsident Ramelow betreibe „eine gezielte Strategie der Verleumdung“, konterte Herrgott. „Die CDU Thüringen macht eigenständig Politik und sinnvolle Vorschläge für die Menschen. Dabei fragt sie nicht bei einer Minderheitsregierung um Erlaubnis.“ Rot-Rot-Grün habe selbst im Landtag mehrmals Mehrheiten mit Stimmen der AfD erreicht.
Der Steuersenkungsbeschluss mit AfD-Stimmen ist auch in der Union nicht unumstritten. Kritik an den Thüringer Parteifreunden kam von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident. Im ZDF bekräftigte Daniel Günther (CDU) am Freitagabend: „Ich halte das für eine schwerwiegende Fehlentscheidung, die da getroffen worden ist.“ Der Landesvorsitzende der CDU in Sachsen-Anhalt, Wirtschaftsminister Sven Schulze, sagte zur Kritik Günthers dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“, die Unterstellung einer Zusammenarbeit oder Absprache mit der AfD sei „grob falsch“. „Wie soll konstruktive Oppositionsarbeit, gerade bei so schwierigen Mehrheitsverhältnissen wie derzeit in Thüringen, möglich sein, wenn CDU-Anträge nicht mal mehr zur Abstimmung gestellt werden dürfen?“
Merz sagte bei ProSieben/Sat.1 zur Günther-Kritik: „Das ist eine Einzelmeinung in der CDU. Es gibt niemanden sonst, der das teilt, auch öffentlich vorgetragen, so wie er es gemacht hat.“
Das Ende der Brandmauer?
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): „Verstößt das gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU und damit das Ende der ‚Brandmauer‘ zur AfD? Ich finde: Ja, das gestrige Verhalten war falsch.“ Der CDU-Vizevorsitzende Jens Spahn drang hingegen auf ein Ende der Diskussion. „Den größten Gefallen, den man gerade der AfD tun kann, ist, diese Debatte noch drei Wochen so zu führen, dann hat sie noch mal zwei Prozent mehr“, sagte er der „Frankfurter Rundschau“.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verteidigte das Abstimmungsverhalten der Liberalen im Landtag. „Wenn eine demokratische Partei wie die CDU einen Antrag stellt, der zu 100 Prozent den Parteibeschlüssen der FDP entspricht, und wir dem zustimmen, kann man das nur schwer skandalisieren“, sagte er den Tageszeitungen und Portalen der VRM. Die FDP in Thüringen habe einem Antrag der CDU zugestimmt. Die Frage der Zusammenarbeit stelle sich deshalb für die CDU und nicht für die Liberalen. „Man kann sich fragen, ob die CDU diesen Antrag hätte stellen sollen. Aber das waren nicht wir.“
Bewusste und zentral gelenkte Strategie?
Im Lager von SPD, Grünen und Linken hält die Empörung über das Vorgehen der CDU weiter an. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bezog sich in „Stuttgarter Zeitung“/„Stuttgarter Nachrichten“ auf die Aussage des CDU-Chefs, dass die „Brandmauer“ zur AfD stehe: „Wie viel ist das Wort von Friedrich Merz in der CDU noch wert, und wo bleibt der Aufschrei innerhalb der Union?“, fragte sie.
Der Grünen-Politiker und Europaausschuss-Vorsitzende Anton Hofreiter vermutet hinter dem Schritt der Thüringer CDU-Fraktion eine bewusste und zentral gelenkte Strategie: „Diesem Agieren bereitet Merz von Berlin aus den Weg“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.
Dilemma der Thüringer Parteien
Eine vor dem Steuerbeschluss erhobene repräsentative Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der Funke Medien Thüringen belegt das Dilemma der Thüringer Parteien bei der Bildung einer neuen Regierung nach der Landtagswahl im nächsten Jahr. Demnach kann ohne und gegen die CDU keine Regierung gebildet werden. Die Partei stünde demnach vor der Entscheidung, entweder mit der Linken oder der AfD eine Mehrheit zu erreichen.
Bei der Sonntagsfrage ist die AfD demnach zurzeit mit 32 Prozent stärkste Kraft. Mit deutlichem Abstand folgt die Linke mit 22 Prozent und die sich im Vergleich zur Juli-Umfrage um einen Punkt auf 21 Prozent verbessernde CDU. Die SPD verharrt bei 10 Prozent und die Grünen legen um einen Punkt auf sechs Prozent zu. Die FDP würde mit vier Prozent den Wiedereinzug in den Landtag verpassen. Für sonstige Parteien entscheiden sich fünf Prozent.
Schwierige Regierungsbildung erwartet
Rot-Rot-Grün hätte damit zusammen nur 38 Prozent. Auch für ein Bündnis von Linke und CDU würde es den Demoskopen zufolge mit 43 Prozent nicht reichen. Selbst eine Koalition von CDU, SPD und Grünen wie in Sachsen läge in Thüringen nur bei 37 Prozent.
Für die Umfrage wurden vom 7. bis 13. September 1.000 volljährige Thüringer und Thüringerinnen online befragt. Es ist ein statistischer Fehler von 1,5 bis 3 Prozentpunkten (Fehlertoleranz) zu beachten, wobei sich die Höhe des statistischen Fehlers an der Höhe der Prozentpunkte einer Partei orientiert. (dpa/mig) Aktuell Politik
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