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Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Integrationsgipfel 2018 (Archiv)

„Worthülsen“

Kein Cent für den Nationalen Aktionsplan Integration

Für die Umsetzung des groß angekündigten Nationalen Aktionsplans Integration hat die Bundesregierung keine gesonderten Haushaltsmittel vorgesehen. Auch sonst hinkt die Bundesregierung ihren Versprechungen hinterher. Grünen-Politikerin Polat übt scharfe Kritik.

Von Birol Kocaman Montag, 04.11.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.11.2019, 17:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mit großen Worten wurde der „Nationale Aktionsplan Integration“ (NAPI) auf dem 10. Integrationsgipfel im Juni 2018 vorgestellt. 24 Themen aufgeteilt in fünf Phasen versprachen neue Impulse und zahlreiche Maßnahmen. Ein Schwerpunkt war die Integration in den Arbeitsmarkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte auf dem Gipfel: „Wenn es um das Zusammenleben geht, geht es zu allererst um die gleichen Chancen auf Teilhabe- und das im umfassenden Sinne.“ Es fange bei der Bewerbung an, wo unterschiedliche Namen keinen Unterschied machen sollten, so Merkel.

Wie die Bundesregierung jetzt auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen mitteilt, gibt es eineinhalb Jahre nach der großen Ankündigung keine „regelmäßige, umfassende Erhebung zur Diskriminierung“ von Migranten am Arbeitsmarkt“. Eine solche Maßnahme sei nicht einmal in Planung.

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Im Übrigen obliege die Umsetzung des NAPI den zuständigen Ressorts, für die jedoch „keine gesonderten Haushaltsmittel“ vorgesehen sind. Die Aufgaben seien „mit dem vorhandenen Personal und den vorhandenen Haushaltsmitteln zu bewältigen“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung, die dem MiGAZIN vorliegt.

Impulspapier von Migranten wartet auf Umsetzung

Auch das von Migrantenorganisationen bereits zum 9. Integrationsgipfel im Jahr 2016 vorgelegte Impulspapier zur Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft und interkulturellen Öffnung der Verwaltung und Behörden hat der Vorlage zufolge kaum gefruchtet. Die Bundesregierung verliert sich in Verweisen auf Zuständigkeitsfragen und Gesprächsangeboten an Migrantenorganisationen. Konkrete Maßnahmen: Fehlanzeige.

Das stößt bei der integrationspolitischen Sprecherin der Grünen, Filiz Polat, auf Kritik. „Die Beteiligungsprozesse sind kein Selbstzweck. Diese Hinhaltetaktik muss endlich aufhören“, erklärt Polat dem MiGAZIN. Drei Jahre nach Veröffentlichung des Impulspapieres zeuge die Antwort der Bundesregierung von „Ignoranz“. Interkulturelle Öffnung sei „kein Hobby, sondern ein Versprechen der pluralen Gesellschaft, das die Bundesregierung einlösen muss“. Eine diskriminierungskritische und diversitätssensible Verwaltung entstehe nicht von selbst.

Polat: Bekenntnisse der Regierung nur Worthülsen

„Gerade die Tatsache, dass nicht ein Cent in den Haushalt eingestellt wurde, um die Ziele des Nationalen Aktionsplans Integration voranzutreiben, legt offen, dass die Bekenntnisse der Bundesregierung zu ‚gesellschaftlicher Vielfalt‘ und der Verbesserung von Teilhabechancen nur Worthülsen sind“, erklärt Polat diesem Magazin. Dies lege die Vermutung nahe, dass sich der NAPI „nahtlos in die wenig fruchtbare Geschichte der vorherigen Pläne einreiht“.

Tatsächlich werden viele Forderungen von Migrantenorganisationen schon seit vielen Jahren wiederholt, ohne von der Bundesregierung honoriert zu werden. So etwa die Forderung in dem Impulspapier nach einem Bundespartizipations- und Integrationsgesetz, um die interkulturelle Öffnung verbindlich zu regeln. In der Antwort heißt es dazu: „Die Bundesregierung plant derzeit kein solches Gesetz und steht insgesamt Forderungen nach Rechtsänderungen zurückhaltend gegenüber“.

Teilhabe nur in homöopathischen Dosen erwünscht

Ähnlich sieht es mit der Forderung nach einer Ergänzung des Grundgesetzes aus, wonach die gleichberechtigte Teilhabe und Chancengerechtigkeit als Staatsziel formuliert werden sollen. Auch einem Nationalen Rat zur interkulturellen Öffnung nach dem Vorbild des Ethikrates erteilt die Bundesregierung in der Antwort eine Absage.

„Auch nahezu zwei Jahrzehnte nach dem ersten öffentlichen Bekenntnis der Bundesregierung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, hat sich der Blick und die Einstellungen des Bundesinnenministeriums in Bezug auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte leider nicht geändert“, kritisiert Polat. Seitdem werde zwar mehr diskutiert, gehandelt werde aber noch viel zu wenig. Ein gleichberechtigter Diskurs auf Augenhöhe sei offenbar „nur in homöopathischen Dosen erwünscht“. (bk/mig) Leitartikel Politik

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  1. Ute Plass sagt:

    „Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte auf dem Gipfel: „Wenn es um das Zusammenleben geht, geht es zu allererst um die gleichen Chancen auf Teilhabe- und das im umfassenden Sinne.“

    Eine Kanzlerin der ‚Worthülsen‘ !

  2. Matthias sagt:

    Mir ist nicht ganz klar welchen Wert ein Kommentar hat, der nur zitiert und keinen eigenen Inhalt übermittelt.

    Aber eines ist mir klar. Frau Polat erzählt entweder Quatsch oder hat die Haushaltssystematik des Bundes schlichtweg nicht begriffen.

    Die Bundesregierung in den vergangenen 20 Jahren eine ganze Menge geleistet um den Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft gerecht zu werden.

    Die Einführung von Integrationskursen im Jahr 2007 war beispielsweise ein Meilenstein. Auch wenn er hier auf Migazin oft als trennendes, diskriminierendes Element betrachtet wird, so bringt er Gesellschaft eher in Dialog miteinander als dass es trennt.

    Die Entscheidung die Grenzen in einer Notsituation zu öffnen war auch eine zutiefst humane Entscheidung, hier wird natürlich kritisiert, dass die Bundesregierung nicht bis vor die Haustür potentieller Flüchtlinge fährt und die Menschen abholt.

    Auch die vom Bund geschaffenen Aufnahmekontigente für Menschen, die noch in Flüchtlingslagern im Libanon, der Türkei, Jordanien, Syrien und im Irak lebten finden hier keine Beachtung, im Gegenteil. Die Maximalforderung wird zur Maxime.

    Das Balkanprogramm ermöglicht es zahlreichen Menschen legal (!) ins Bundesgebiet einzureisen und zu arbeiten. Auch das findet keine Beachtung. Soweit zum Thema „Worthülsen“.

    Der NAPI wird umgesetzt und zwar so, wie es Frau Merkel schreibt. Innerhalb der Ressorts. Die Programm zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sind vielfältig und – vollkommen normal und ohne den Hinweis ACHTUNG: HIER WIRD GELD ZUR INTEGRATION VERWENDET – im Haushalt enthalten.

    Würde Frau Polat die Haushaltspläne der Ressorts betrachten und hätte sie ein gewisses Verständnis des Haushaltsrechts, würde sie das auch erkennen. Stattdessen wird die Bundesregierung in ein schlechtes Licht gestellt. Intelligent gemacht Populismus ist das!

  3. Ute Plass sagt:

    @Matthias
    „….hier wird natürlich kritisiert, dass die Bundesregierung nicht bis vor die Haustür potentieller Flüchtlinge fährt und die Menschen abholt.“

    Diese Behauptung finde ich hier nicht bestätigt.
    Vielleicht mögen Sie einen Blick hier rein werfen:
    https://www.proasyl.de/news/achtung-hau-ab-gesetz-ab-morgen-in-kraft-neuregelungen-des-migrationspaktes-im-ueberblick/

    Dieser schöne Satz:
    „Wenn es um das Zusammenleben geht, geht es zu allererst um die gleichen Chancen auf Teilhabe- und das im umfassenden Sinne.“
    bleibt angesichts der vorherrschenden Verhältnisse eine Worthülse

    https://www.migazin.de/2018/09/21/studie-vor-allem-auslaender-von-armut-bedroht/

    https://www.deutschlandfunk.de/armutsbericht-arm-trotz-arbeit.769.de.html?dram:article_id=435870

    Frau Polat hat sicherlich „…ein gewisses Verständnis des Haushaltsrechts,“
    dürfte dieses jedoch nicht als unfehlbares Dogma betrachten.

    Die Frage ist, von welchem Menschenbild sich dieses ‚Haushaltsrecht‘
    leiten läßt?

  4. Matthias sagt:

    @Ute Plass:

    Zunächst ist ProAsyl keine neutrale Quelle. Darüber hinaus geht es um das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Worum es mit geht: Maximalforderungen durchzusetzen funktioniert nicht. Die Kreise um Pro Asyl und in Teilen eben auch hier forcieren die vollkommene Grenzöffnung und ein Verzicht auf Abschiebungen. Mit dieser Argumentation wird es niemals eine Zufriedenheit mit den Maßnahmen der Bundesregierung geben. Wie ernst kann man also die Kritik dieser Gruppen nehmen?

    Und auch der zitierte Satz ist keine Worthülse. Es gibt diese Armut, unbestritten. Diese Armut betrifft aber Deutsche und Ausländer, auch diejenigen die keine Chance auf dem Arbeitmarkt aufgrund fehlender Qualifikationen haben. Was tut die Bundesregierung dagegen? Sie fördert die Ausbildung benachteiligter Gruppen. Selbst Ausreisepflichtige bekommen die Chancen, sich über eine Berufsausbildung (z.B. Mit einer Ausbildungsduldung) zu qualifizieren. Damit werden doch Chancen erhöht. Worthülsen lägen vor, wenn von Teilhabe spricht ABER nichts dafür tut. So ist es in Deutschland nicht. Die zahlreichen Programme sollen doch genau eines schaffen: Teilhabe!

    Und die Frage nach dem Menschenbild im Haushaltsrecht…. Das Menschenbild prägt die Maßnahmen der Ressorts. Das Haushaltsrecht kümmert sich darum, welche Mittel zur Verfügung stehen. Haushaltsrecht und Menschenbild in einen Zusammenhang zu bringen ist eher in den Bereich abstruser Sozialromantik unterzubringen.

    Es ist an der Zeit, die Maßnahmen anzuerkennen, die Deutschland im Bereich der Bildung, Teilhabe und Integration leistet. Und nicht so zu tun, als würde schlichtweg gar nichts getan.

  5. Ute Plass sagt:

    @Mathias – „Und nicht so zu tun, als würde schlichtweg gar nichts getan.“

    So habe ich den o.a. Beitrag auch nicht verstanden. Unstrittig dürfte sein, dass die bisherigen Fördermaßnahmen nicht ausreichend sind um das Versprechen auf gleiche Chancen und Teilhabe einzulösen.

    Somit finde ich die Kritik von Frau Polat berechtigt, da der Nationale Integrationsplan mit den darin formulierten Zielen und Maßnahmen bisher Symbolpolitik geblieben ist.

    Schade, dass Sie den Gedanken, dass ein sog. Haushaltsrecht sich an einem Menschenbild von Gleichwürdigkeit/Gleichwertigkeit orientieren sollte, als ‚abstruse Sozialromantik‘ ansehen. Für mich orientiert er sich am Humanum und an der Charta der Menschenrechte.

    Vielleicht dachten Sie aber auch grundsätzlicher, in Anlehnung an Adorno, dass es kein „richtiges Haushaltsrecht im falschen Wirtschaften“ geben kann?
    Diesen Gedanken würde ich teilen. ;-)