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Denkmal in Berlin für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma © rosmary @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

"Vergasen"

Wie sich der Antiziganismus entwickelte

Die Schändung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma mit einem Hakenkreuz und dem Wort "Vergasen" ist die jüngste Eskalationsstufe des alltäglichen Antiziganismus. Dieser wird vor allem von Vertretern der bürgerlichen Mitte geschürt. Von Dr. Michael Lausberg.

Von Mittwoch, 02.12.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.12.2015, 16:32 Uhr Lesedauer: 23 Minuten  |  

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im Zentrum wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Die Täter hinterließen unter anderem den Schriftzug „Vergasen“. Dies teilte die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas Ende Oktober 2015 in Berlin mit.

Im Jahr 1992 beschloss die damalige Bundesregierung nach jahrelangem Druck verschiedener Selbstorganisationen, ein „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma“ zu errichten. 1 Um den Text einer zunächst geplanten Widmung des Denkmals gab es zwischen den beiden von der Bundesregierung in die Vorbereitungen einbezogenen Opferverbänden Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und Sinti Allianz Deutschland sowie der Bundesregierung jahrelange einen unwürdigen Streit. 2

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Die Bundesregierung hatte die stigmatisierende Bezeichnung der Mehrheitsgesellschaft „Zigeuner“ für den Denkmaltext vorgesehen, was der Zentralrat als unwürdig und unzumutbar ablehnte. Hier zeigte sich mindestens eine fehlende Sensibilisierung, die neues Vertrauen in die Lernfähigkeit des deutschen Staates zerstörte.

Widerstand gegen den Bau des Denkmals gab es aus den Reihen der Berliner CDU. Der damalige Bürgermeister Eberhard Diepgen meinte, in der Stadt gebe es „keinen Platz für ein weiteres Mahnmal.“ 3 Der damalige CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky erklärte, „wir müssen noch erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen können.“ 4 Die durch die Meinungsverschiedenheiten verzögerten Bauarbeiten zum Denkmal begannen dann symbolisch am 19. Dezember 2008, dem offiziellen Gedenktag des Bundesrates für die Opfer des Völkermordes an den Sinti und Roma.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas wurde am 24. Oktober 2012 im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Bundespräsidenten Joachim Gauck eingeweiht. 5 Es befindet sich in Berlin-Mitte etwas südlich des Reichstages. Der israelische Künstler Dani Karavan schuf ein kreisrundes Wasserbecken mit zwölf Metern Durchmesser mit schwarzem Grund. In die Beckenmitte platzierte der Künstler eine dreieckige steinerne Stele, die von oben gesehen an den Winkel auf der Kleidung der KZ-Häftlinge erinnert. Auf der Stele liegt eine frische Blume. Immer wenn sie verwelkt ist, versinkt der Stein in einen Raum unter dem Becken, wo eine neue Blume auf den Stein gelegt wird, um danach wieder hochzufahren und aus dem Wasserbecken emporzusteigen.

Die Schmierereien sind inzwischen entfernt worden. Die Stiftung, die auch für die Betreuung des Denkmals zuständig ist, habe Anzeige erstattet und die Sicherheitsmaßnahmen an der Gedenkstätte nahe dem Brandenburger Tor verstärkt. Der Staatschutz wurde eingeschaltet und ermittelt nun gegen Unbekannt.

Reaktionen auf den Anschlag

Politiker und Funktionäre verurteilten den Anschlag auf das Schärfste und forderten ein entschlosseneres Vorgehen gegen Antiziganismus. Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal, bezeichnete den Anschlag als „aggressiven Antiziganismus“. Romeo Franz, Direktor der Hildegard Lagrenne Stiftung und Komponist des Musikstückes am Denkmal, bezeichnete den Vorfall als „Angriff auf den Prozess der Versöhnung“. Er treffe viele Sinti und Roma mit ihrer leidvollen Familiengeschichte persönlich: „Auch in Deutschland erfahren unsere Menschen 70 Jahre nach dem Völkermord noch immer tagtäglich Ausgrenzung und Diskriminierung.“ Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagte, die Schändung, die „in diesem Ausmaß erstmals am Denkmal stattgefunden hat, zeigt, dass die Rechtsextremisten in der momentanen Krise jetzt die Gelegenheit sehen, den Geist Hitlers wieder neu zu beleben“. Der Zentralrat kündigte an, nicht nur Strafanzeige wegen Volksverhetzung, sondern auch wegen Bedrohung zu erstatten. Rose führte aus: „Den Tätern kam es mit dem Begriff ‚Vergasen‘ offensichtlich darauf an, zur Gewalt gegen die Minderheit aufzurufen, die Opfer des Holocausts in Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern wurde“.

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, bezeichnete den Anschlag als „abscheuliche Tat“. Die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma habe in Deutschland keinen Platz. Lüders führte aus: „Wir dürfen es nicht hinnehmen, wenn Sinti und Roma in Deutschland diskriminiert werden und antiziganistische Hetze verharmlost wird“. Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, sprach von einem dreisten Anschlag auf das Gedenken Hunderttausender NS-Opfer. Sie gehe davon aus, dass diese „widerliche Tat“ auch ein Produkt des Hasses sei, der von der islamfeindlichen „Pegida“-Bewegung „und anderen Rassisten“ gesät werde. Es sei wichtig, dass die Demokraten in Deutschland nun dagegenhielten und sich mit Flüchtlingen solidarisierten. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Volker Beck, forderte ein entschlosseneres Vorgehen gegen Antiziganismus: „Taten wie diese veranschaulichen die hässlichen Abgründe der deutschen Gesellschaft, doch sie haben keine Konsequenzen“. Die deutsche Gesellschaft müsse die Tat als einen „Anschlag auf die Menschenwürde und unser aller Freiheit“ sehen.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern bilanzierte: „Ich verurteile diese widerliche Tat auf das Schärfste und fühle mit den Sinti und Roma. Doch trifft diese Tat nicht nur die Sinti und Roma. Sie trifft unsere Gesellschaft im Kern. Diese rassistische Schändung ist ein weiteres Zeichen unserer Zeit, in der offene Fremdenfeindlichkeit, völkisch-nationale Parolen und rechtsextremes Gedankengut im öffentlichen Diskurs immer präsenter und lauter werden. Die politische Kultur Deutschlands steht unter Beschuss von radikalen Scharfmachern. Das ist der Nährboden für derartige Schändungen und Schmähzuschriften, für die tägliche Gewalt gegen Flüchtlingseinrichtungen, für das Attentat auf Henriette Reker und für die unerträglichen digitalen Exzesse, die wir im Internet erleben. Angesichts dieser Situation in unserem Land müssen bei allen wehrhaften freiheitlichen Demokraten in Politik und Gesellschaft die Alarmglocken schrillen“. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland bemerkte weiterhin: „Die Rechtsextremisten und -populisten haben zu viel Spielraum in unserem Land. Wenn weiterhin zugelassen wird, dass Hass-Prediger immer lautstärker die Deutungs- und Meinungshoheit für sich beanspruchen und damit zu immer mehr Menschen in der breiten Mitte der Gesellschaft durchdringen, sind der gesellschaftliche Frieden, unsere historisch gewachsene politische Kultur und in letzter Konsequenz unser demokratisches Gemeinwesen ernsthaft bedroht.“

  1. Aachener Nachrichten vom 25.10.2012
  2. Robel, Y.: Konkurrenz und Uneinigkeit. Zur gedenkpolitischen Stereotypisierung der Roma, in: End/Herold, Dies.: Antiziganistische Zustände, a.a.O., S. 110-130, hier S. 112
  3. Taz vom 28.8.1999
  4. Taz vom 11.12.1999
  5. FAZ vom 24.10.2012
Gesellschaft Leitartikel Meinung

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