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Angst © Frank Bürger @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Zentralrat der Juden

Schusters Spiel mit der Angst

Der Präsident des Zentralrates der Juden ist für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Seine Begründung: Die Flüchtlinge entstammten Kulturen, in denen Antisemitismus fester Bestandteil sei. Warum dieses Argument gefährlich ist, erklärt Hannah Tzuberi.

Von Mittwoch, 02.12.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.12.2015, 14:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Seit einigen Wochen schon schwelt die Anti-Willkommenskultur-Backlash-Debatte. Der Plot läuft ungefähr so: Nachdem unsere emotional agierenden Kanzlerin Flüchtlinge „willkommen“ hieß, und diese gleich einer „Lawine“ unsere schöne Kulturnation überrollten, müssen nun die Männer der CDU-CSU wieder Ordnung, Sinn und Verstand in den Laden bringen: Es bedarf einer „Obergrenze“, der Familiennachzug muss reglementiert werden, und überhaupt… diese Leute sollten zwar bitte nicht im Mittelmeer vor unserer Haustür ertrinken, auf dem Oktoberfest wollen wir sie nun aber auch nicht sehen.

Während sich christliche und muslimische Organisationen einhellig gegen eine restriktivere Asylpolitik aussprechen, schlägt sich die Jüdische Gemeinde auf die Seite von Seehofer und Co.: Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hält eine „Obergrenze“ für unausweichlich. Überflüssig zu erwähnen ist: Es ist Schusters selbstverständliches Recht, sich so zu positionieren. Abgesehen von der Problematik dieser Positionierung, erschreckt aber auch Schusters Begründung derselben: Die Geflüchteten entstammen, so Schuster, „Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“. Soll heißen: Sie sind eine potentielle Gefahr für Juden in Deutschland. Wir müssen Angst haben.

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Ich möchte Angst nicht als irrelevant oder unberechtigt abtun. Doch bevor man anfängt, sich vor der „Kultur“ der Anderen zu fürchten, muss man einen flüchtigen Blick aus dem eigenen Fenster werfen: In aller Aufrichtigkeit sollte man sich eingestehen, dass Antisemitismus, Homophobie oder Gewalt gegen Frauen auch in der biodeutschen Bevölkerung dieses Landes ziemlich gängige Phänomene sind. Nur zur Erinnerung: In führenden Leitmedien konnte man vor ca. vier Jahren auf Seite 1 nachlesen, dass Juden sexuelle Gewalt an ihren Kindern ausüben, und einem rachsüchtigem „Wüstengott“ huldigen. Und nur falls hier jemand mit der ländlichen Tradition des Schützenfestes nicht vertraut ist: Auf Versammlungen arbeitsloser deutscher Männer werden in der Regel keine Petitionen für die Homoehe unterschrieben. Wirklich nicht.

Das ließe sich jetzt noch weiter ausführen, aber kommen wir zu Schusters eigentlichem Argument: der Hass auf Juden, der ein „fester Bestandteil der Kulturen“ ist, aus denen die Geflüchteten entstammen, und Bestandteil der arabischen Ethnie: „Wenn ich mir die Orte und Länder in Europa anschaue, in denen es die größten Probleme gibt, könnte man zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches“. Das, was er hier sagt, ist: Egal ob jemand in dritter Generation in Wuppertal lebt, oder gestern aus Aleppo geflohen ist: Hass auf Juden ist ein Bestandteil bestimmter „Kulturen”, der das Denken und Handeln bestimmt, immer und überall, und sich als ein ethnisches Problem natürlich auch nicht durch Bildung, das Umfeld etc. begegnen lässt. (Iraner sind demnach also nicht Antisemiten.)

Antisemitismus als Eigenschaft einer Ethnie zu beschreiben ist – daran lässt sich leider nicht so viel rütteln – rassistisch. Aber selbst wenn die Sache mit der „Ethnie“ nicht so gemeint war, und Schuster sich irgendwie versprochen hat, bleibt die Frage: Warum beschreibt er die Geflüchteten überhaupt in Bezug auf ihre angebliche Kultur, bzw. Ethnie?

Das Asylrecht ist nicht an die Kultur (geschweige denn an die Ethnie) eines Geflüchteten gebunden. Selbst wenn ich annehmen würde, dass ein geflüchteter Syrer die deutsche „Wertegemeinschaft“ durch nicht-liberale, religiös begründete Einstellungen zu Homosexuellen, Nichtgläubigen, Frauen etc. gefährdet, so hat dieser Syrer trotzdem nicht weniger Rechte als Andere. Einem Pegida-Aktivisten kann nicht das Gehalt gekürzt werden, ebenso wie ein Asylantrag sich nicht nach der mutmaßlichen Kultur des Antragstellenden richtet. In einer liberalen Gesellschaft ist das so. Nicht zufällig sind daher diejenigen, die politische Entscheidungen mit der vermeintlichen Kultur der „Anderen“ begründen, nicht diejenigen, die für eine heterogene Gesellschaft einstehen, sondern diejenigen, die sich um den „Erhalt des Abendlandes“ sorgen: Die Angst vor der vermeintlichen Kultur der „Anderen“ – das ist strategisches Kernstück sämtlicher neurechter europäischer Parteien und der Pegida-Bewegung.

Man kann natürlich der Meinung sein, dass die Neue Rechte die jüdische Kultur als Teil ihres Abendlandes neuerdings anerkennt. In Anbetracht der europäischen Geschichte scheint es aber nahezu wahnwitzig, dass Juden sich nun mit jenen verbünden, die von einer kulturell-religiösen Reinheit des Westens träumen. Besser wäre vielleicht, wenn wir uns mit anderen religiösen Minderheiten verbünden, uns mit den Geflüchteten solidarisieren, und der aktiv gewordenen Zivilgesellschaft nicht den Wind aus den Segeln nehmen, sondern sie unterstützen: Im Zweifelsfall profitieren wir eher von einer deutschen Gesellschaft, die sich mit ihren Minderheiten solidarisieren kann, als von einer, die ganze Bevölkerungsgruppen vorsorglich stigmatisiert und ausschließt. Aktuell Meinung

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