Maria Böhmer
Werde beobachten, wie intensiv das Betreuungsgeld von Zuwandererfamilien genutzt wird
Betreuungsgeld bremst Integration bei Zuwanderern. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle OECD-Studie. Von der Opposition hagelt es Kritik. Die Bundesregierung verteidigt die sog. Herdprämie, werde die integrationspolitische Entwicklung aber beobachten.
Dienstag, 12.06.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.06.2012, 23:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Seit Juli 2006 ist Integration in Deutschland Chefsache. Seit dem wurden mehrere Integrationsgipfeln veranstaltet, Nationale Integrations- und Aktionspläne geschmiedet und stets standen Arbeitsmarkt und Bildung im Mittelpunkt des Geschehens. Wie kriegen wir es hin, dass Zuwanderer – vor allem Frauen – in den Arbeitsmarkt integriert werden? Wie kriegen wir es hin, dass ausländische Kinder möglichst in jungen Jahren einen Kindergarten besuchen, damit sie auf die Schullaufbahn vorbereitet werden? Unzählige Appelle wurden an Eltern mit Zuwanderungsgeschichte gerichtet: Schickt euere Kinder in eine Kita, so früh wie möglich!
Wie sich nun herausstellt, ist Integrationspolitik nun doch nicht so wichtig. Unwichtiger jedenfalls als Klientelpolitik. Denn das auf Druck der CSU am vergangenen Mittwoch vom Bundeskabinett gebilligte Betreuungsgeld mag für konservative Wählerkreise mit traditionellen Vater-Mutter-Rollenbildern gut sein, integrationspolitisch ist es aber kontraproduktiv. Das geht aus einer am Montag (11.06.2012) in Brüssel vorgestellten OECD-Studie „Jobs for Immigrant“ hervor.
Betreuungsgeld bremst Integration
Danach tendieren besonders Frauen aus Zuwandererfamilien mit sozial schwachem Hintergrund dazu, Geld vom Staat anzunehmen und ihre Kinder zu Hause zu versorgen, statt eine Arbeitsstelle und Betreuung zu suchen. So sei in Norwegen die Quote der am Arbeitsmarkt beteiligten Zuwanderinnen infolge des Betreuungsgeldes um 15 Prozent gesunken. Die OECD-Experten untersuchten für die Studie die Arbeitsmärkte in Norwegen, Österreich und der Schweiz.
Das Betreuungsgeld sollen Eltern bekommen, die ihr Kleinkind nicht in eine staatlich geförderte Kindertagesstätte oder zu einer Tagesmutter geben. Sie erhalten ab Beginn des kommenden Jahres 100 Euro für einjährige Kinder und ab 2014 monatlich 150 Euro für ein- und zweijährige Kinder. Für das Betreuungsgeld sind 2013 rund 300 Millionen Euro eingeplant, ab 2014 werden Aufwendungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro erwartet, ab 2015 dann 1,2 Milliarden Euro.
„Subventionen, die Eltern gezahlt werden, deren Kinder nicht in einen Kindergarten gehen, können sich auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Zuwandererfrauen höchst nachteilig auswirken. Dies gilt besonders für gering ausgebildete Frauen mit mehreren Kindern, die in Ländern mit hohen Betreuungskosten leben“, heißt es in der OECD-Studie.
OECD Befunde nicht neu
Dabei sind die Ergebnisse weder neu noch überraschend. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch schon die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung im April, die die sog. Herdprämie in Skandinavien analysiert hatte. Demnach wird das Betreuungsgeld in Finnland, Norwegen und Schweden vor allem von Müttern mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund in Anspruch genommen.
Finnland zahlt Familien, die die staatlich subventionierten Kinderkrippen nicht in Anspruch nehmen, bereits seit 1985 ein Betreuungsgeld. Norwegen führte es 1998 ein, Schweden 2008. Wichtigstes Argument bei der Einführung in allen drei Ländern war der Studie zufolge die Wahlfreiheit der Eltern. Auf dasselbe Argument beruft sich auch Schwarz-Gelb.
Kritik aus allen Seiten
Entsprechend hagelte nach Bekanntwerden der OECD-Studie erneut Kritik: „Deutlicher hätten die Ergebnisse nicht ausfallen können“, so etwa die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Das Betreuungsgeld sei „ein Hemmschuh für eine gute und frühe Integration von Kindern.“ Wie viele Beweise benötige diese Bundesregierung denn noch, „bis sie endlich die Finger von diesem Unsinn lässt?“
So attestiert Grünen-Politiker Memet Kılıç der Bundesregierung „Beratungsresistenz“. Insbesondere bei den Familien, die knapp über der Sozialhilfegrenze verdienen, werde der Anreiz groß sein, Kinder zu Hause zu betreuen. „Stellen wir uns eine Familie vor, die 200 Euro über der Sozialhilfegrenze verdient: Diese Familie muss sich entscheiden, ob sie das Kind zur Kita schickt und dafür 200 bis 300 Euro zahlt, oder das Kind zu Hause behält und dafür 150 Euro erhält. Das Ersparte beträgt immerhin 350 Euro“. Laut OECD dürfte diese Rechnung auf viele Zuwandererfamilien zutreffen. Denn der größere Teil der Zuwandererfamilien bezieht keine Hartz-IV-Leistungen. Und noch ein Argument wendet Kılıç ein: „Wenn Kinder mit Migrationshintergrund eine Kita besuchen, verdoppeln sich ihre Chancen auf einen späteren Gymnasiumbesuch.“
Gelder nutzbringender anlegen
Daher plädiert die stellvertretende Vorsitzende der Linken, Caren Lay, die Gelder, die die Herdprämie verschlingen wird, viel nutzbringender in den Ausbau von Kindertagesstätten und die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern anzulegen. „Und einer positiven Wirkung auf die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund kann bei der Aussicht auf gemeinsames Spielen und Lernen niemand widersprechen.“
Tipp: Die Studie der OECD „Jobs for Immigrants – Labour Market Integration in Austria, Norway and Switzerland“ kann im Internet eingesehen werden.
Kritik kommt aber nicht nur von der Opposition. So haben bereits zahlreiche Experten, die EU-Kommission oder der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, dem Betreuungsgeld eine deutliche Absage erteilt.
Werden Zuwanderer beobachten
Von alledem möchte die Bundesregierung aber nichts wissen. „Ich wehre mich mit Nachdruck gegen den Versuch, den Streit über das Betreuungsgeld einseitig auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten auszutragen. Die Botschaft, die Prämie würde in Deutschland insbesondere Frauen aus Zuwandererfamilien davon abhalten, sich eine Arbeitsstelle zu suchen, ist irreführend“, so Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Zum einen seien solche Pauschalurteile über Migrantenfamilien nicht vertretbar! Zum anderen würde die OECD-Studie Äpfel mit Birnen vergleichen. „Das Betreuungsgeld soll sich ausschließlich an 1- und 2-jährige Kinder richten und nicht an Kindergartenkinder ab 3 Jahren.“ Damit greife die Schlussfolgerung der OECD-Studie, Kinder würden von der Sprachförderung abgehalten, ins Leere.
Allerdings werde Böhmer die Wirkung des geplanten Betreuungsgeldes intensiv zu beobachten: „Dazu gehört auch die Frage, wie intensiv diese Leistung von Familien aus Zuwandererfamilien genutzt wird.“ (sb)
Leitartikel Politik
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Welche Art von Arbeitsstelle soll das sein, die sich Mütter suchen sollen und ihre Neugeborenen derweil in einer Krippe abgeben? Meint jemand im Ernst, ein solches Familienmodell fördere Integration? Alle rund um die Uhr auf Achse, und abends zupft man dem Kind die Läuse aus dem Haar, die sie aus der Kita mitgebracht haben. Nein, den Kritikern geht es nicht um Teilhabe von Zuwanderern. Es geht ihnen ums Geld, um ihre eigene Teilhabe. Worum sonst? Das ist das einzige Kriterium, das zählt: Wohin fließt das Geld.
Das Betreuungsgeld ist ein kleiner, fairer Ausgleich für Familien, die enorme Kosten und Mühen haben. Die haben es verdient, und dort ist es richtig angelegt. Die Förderer dagegen haben nur ihre eigenen Interessen im Sinn, nie die Interessen der Kinder. In Wahrheit verachten die ihre Kundschaft. Ich weiß, wie diese Leute reden, wenn sie abends zusammen sitzen und sich unbeobachtet fühlen. Ich hab‘ da meine Quellen. Außerdem neigen eher die Gutsituierten dazu, jeden finanziellen Vorteil abzuschöpfen, also mehrheitlich Deutsche, weniger die Zuwanderer. Die Befürchtung, das Betreuungsgeld werde zu einer Massenflucht aus den Krippen führen, ist also unberechtigt.
Sinan A.
„Außerdem neigen eher die Gutsituierten dazu, jeden finanziellen Vorteil abzuschöpfen, also mehrheitlich Deutsche, weniger die Zuwanderer.“
Das sollte man erst einmal mit Zahlen belegen und nicht so einfach in den Raum stellen.
Ich selber halte von dem Betreuungsgeld überhaupt nichts, der Ausbau der Kitas ist wichtiger und auf langer Sicht sinnvoller.
Es ist natürlich, wenn eltern ihre Kinder in den ersten 3 Jahren daheim behalten. Aber dafür noch Geld finde ich pervers.
@Renkens
Siesollten erst mal den Artikel lesen, denn da steht:
„OECD Befunde nicht neu
Dabei sind die Ergebnisse weder neu noch überraschend. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch schon die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung im April, die die sog. Herdprämie in Skandinavien analysiert hatte. Demnach wird das Betreuungsgeld in Finnland, Norwegen und Schweden vor allem von Müttern mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund in Anspruch genommen.“
DAs finde ich auch.
Vernünftig wäre es doch allemal wenn das zur Verfügung stehende Geld erst mal in den Ausbau von Kita-Plätzen gesteckt würde. Dann gibt es aber immer noch das Problem, dass es zuwenig Personal gibt, die Kinder auch adäquat zu erziehen.
Also würde ich es vorziehen, wenn alle Kinder von 1 – 3 Jahren – erst mal, wenn es familiär möglich ist, daheim bei ihren Eltern bleiben. Elternliebe ist keinesfalls zu unterschätzen, es prägt ein Kind fürs Leben.
Aber alleine dafür Geld zu zahlen, finde ich unmöglich, Wenn schon Geld, dann mit einer anderen Begründung, vieleicht sollte man für diese Zeit das Kindergeld – aber dann für alle – erhöhen.
Pragmatikerin