Religionspolitischer Kompromiss

Auf dem Weg zur Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften

"Der religionspolitische Kompromiss in NRW ist eine gute Grundlage, um Misstrauen zwischen Politik und muslimischen Verbänden abzubauen. Ein Meilenstein hin zu einer vollen Anerkennung der Moscheeverbände", so Mounir Azzaoui in seiner Analyse.

Von Mounir Azzaoui Mittwoch, 29.02.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.10.2014, 12:30 Uhr Lesedauer: 19 Minuten  |  

Ein Religionspolitischer Kompromiss
Am 21. Dezember 2011 wurde im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Schulgesetzänderung mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen verabschiedet, welche nach zwanzig Jahren der Diskussion den Weg zur Einführung von Islamischem Religionsunterricht frei macht (Landtag NRW, 2011a). Das Gesetz basiert auf einem politischen Kompromiss, welcher im Februar 2011 zwischen der Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) geschlossen wurde. Der Kompromiss kann auf die Formel gebracht werden kann: Das Land Nordrhein-Westfalen arbeitet mit dem KRM wie mit einer Religionsgemeinschaft zusammen, aber der KRM wird (noch) nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt.

Bei dem in Nordrhein-Westfalen geplanten Religionsunterricht, welcher ab dem Schuljahr 2012/13 eingeführt werden soll, werden mit dem KRM nicht, wie mit den christlichen Kirchen üblich, die religiösen Inhalte des Unterrichts direkt abgestimmt, sondern ein achtköpfiger Beirat übernimmt diese Aufgabe.

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Der Beirat besteht zum einen aus vier theologisch, religionspädagogisch oder islamwissenschaftlich qualifizierten Vertretern der „organisierten Muslime, die von den islamischen Organisationen in Nordrhein-Westfalen oder von deren Zusammenschluss bestimmt werden“. Mit Blick auf diese Organisationen heißt es dazu in der Gesetzesbegründung:

„Eine mit dem Beiratsmodell angestrebte möglichst umfassende Einbeziehung der Muslime kann allerdings derzeit in Nordrhein-Westfalen nur über den Zusammenschluss der islamischen Verbände, den Koordinationsrat der Muslime (KRM), erreicht werden. Bei den in ihm zusammengeschlossenen Verbänden (IRD, ZMD, DITIB und VIKZ) handelt es sich um die größten Vereinigungen des organisierten Islams in Nordrhein-Westfalen. Sie sehen sich selbst als Religionsgemeinschaften an.“ (Landtag NRW, 2011b: 6)

Auch wenn sich die Landesregierung damit das Selbstverständnis der muslimischen Verbände als Religionsgemeinschaften nicht zu eigen macht, so wird doch anerkannt, dass die organisierten Muslime am umfassendsten über den KRM einbezogen werden können.

Die weiteren vier Vertreter des Beirats mit den entsprechenden Qualifikationen werden vom Ministerium im „Einvernehmen“ mit dem KRM benannt. Der Beirat soll dafür Sorge tragen, dass die im Unterricht vermittelten Inhalte mit dem Selbstverständnis der Muslime übereinstimmen. Dadurch soll einer Situation vorgebeugt werden, bei der der Staat sein Islam-Verständnis im Unterricht durchsetzt. Zudem wird der Beirat – wie die Vocatio und Missio Canonica im christlichen Kontext – für die Erteilung von Lehrerlaubnissen zuständig sein.

Der KRM übernimmt damit faktisch die Aufgaben einer Religionsgemeinschaft, auch wenn dies formaljuristisch durch den Umweg über den Beirat erfolgt. Dies kann als ein „klares Bekenntnis“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Zusammenarbeit mit den im KRM zusammengeschlossenen Moscheeverbänden gewertet werden. Damit verbunden ist eine Teil-Anerkennung für den organisierten Islam in Nordrhein-Westfalen (Dernbach, 2011).

Bedenken muslimischer Verbände
Die im KRM organisierten muslimischen Verbände erachten die Beiratslösung als unzureichend. Sie hätten sich eine direkte Anerkennung als Religionsgemeinschaft(en) gewünscht. Zudem sehen sie die Gefahr, dass mit dieser Sonderregelung im Schulgesetz ein Zwei-Klassen-Religionsverfassungsrecht etabliert wird und damit ihr derzeitiger Status als einfache eingetragene Vereine zementiert wird (Koordinationsrat 2011).

Die Einwände seitens der muslimischen Verbände haben Gewicht, doch mit Blick auf die negative gesellschaftliche Stimmung gegenüber dem Islam – insbesondere gegenüber dem organisierten Islam – war derzeit politisch wohl nicht mehr durchzusetzen. Hinzu kommt, dass es sehr starke religionskritische Stimmen in der SPD-Landtagsfraktion gab, welche sich grundsätzlich schwer damit taten, Religionsunterricht für muslimische Kinder überhaupt einzurichten, und stattdessen einen religionskundlichen Unterricht in staatlicher Verantwortung bevorzugt haben. Die Gefahr einer Zementierung eines Sonder-Religionsverfassungsrechts für Muslime ist zudem nicht gegeben, da der KRM nicht an die Kooperation mit dem Schulministerium zwingend gebunden ist. Man kann, falls sich die Übergangslösung in die falsche Richtung entwickelt, durchaus die Kooperation aufkündigen und auf der Grundlage von Artikel 7.3 Grundgesetz, das dem einfachen Gesetz übergeordnet ist, seine Rechte vor Gericht einklagen.

Der Einführung des islamischen Religionsunterrichts in NRW gehen zehn Jahre intensiver Diskussion voraus
Die Bedenken der muslimischen Verbände gegen den politischen Kompromiss sind jedoch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es seit über 10 Jahren eine intensive Diskussion über die Einführung von Islamischem Religionsunterricht gibt. Dabei gab es in einer ersten Phase vor allem eine Auseinandersetzung vor Gerichten, insbesondere über die Aus¬legung des Begriffs der „Religionsgemeinschaft“. Hier hat ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2005 für Klarheit gesorgt und ist in den zentralen Streitpunkten der Sichtweise der muslimischen Verbände gefolgt. Insbesondere hat das Gericht festgestellt, dass auch Dachverbände, die nur indirekt über natürliche Mitglieder verfügen, durchaus als Religionsgemeinschaften anerkannt werden können (Bundesverwaltungsgericht 2005). Die muslimischen Verbände einigten sich mit dem Land Nordrhein-Westfalen nach dem Urteil von 2005 darauf, das Verfahren ruhen zu lassen, um zu einer politischen Lösung zu kommen. Parallel zu diesen rechtlichen Auseinandersetzungen war ein zentrales Argument, dass auf muslimischer Seite ein Ansprechpartner fehle. Dies wurde verbunden mit der „… Aufforderung an die Verbände, sich auf eine einheitliche Vertretung zu einigen“ (Laschet 2006). Mit diesen Verbänden waren DITIB, Islamrat, VIKZ und ZMD gemeint. Die Gründung des KRM zum Ende des Jahres 2006 durch die vier großen muslimischen Verbände war (neben religionspolitischen Veränderungen in der Türkei) eine Reaktion auf die Forderung aus der Politik nach einem Ansprechpartner. Doch dann wurde, vor allem über die Deutsche Islamkonferenz auf der Bundesebene, immer wieder darauf verwiesen, dass diese Verbände nicht wirklich repräsentativ seien. Es wurde ein neues Kriterium als Maßstab angelegt: die Vertretungsleistung der Verbände mit Blick auf eine Gesamtzahl von vier Millionen Muslimen. (Azzaoui, 2011) Damit ergab sich eine Situation, die ein Vertreter der Evangelischen Kirche bei einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland wie folgt beschrieb: „Die Muslime haben das Gefühl, dass bei der Diskussion um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft immer noch eins drauf gesattelt wird, wenn auf muslimischer Seite etwas in Bewegung gekommen ist.“ Gesellschaft Leitartikel Meinung

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  1. oezalan sagt:

    Der KRM (Koordinationsrat der Muslime) selbst ist bis heute nur ein Gremium, in dem die ihm angehörenden Verbände zusammenkommen, aber kein neuer, einheitlicher Verband, den sich auch viele MuslimInnen erhoffen. Die für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft so wichtigen Strukturen auf Landesebene wurden nach wie vor nicht erreicht. Auch sind verbandsunabhängige Moscheen und andere Selbstorganisationen nicht im KRM vertreten. In Berlin sollen ungefähr die Hälfte der Moscheen verbandsunabhängig sein.

    Da sich der Islam – anders als die christlichen Kirchen – grundsätzlich nicht mitgliedschaftsrechtlich organisiert, fällt es den Verbänden schwer, eine hinreichende Repräsentativität unter den in Deutschland lebenden MuslimInnen nachzuweisen.

    Außerhalb der Moscheen gibt es durchaus muslimische Institutionen von teils überregionaler Bedeutung, vor allem im Frauen- und Jugendbereich. Stärker berücksichtigt werden sollten in geeigneter Form aber durchaus die verbandsunabhängigen Moscheegemeinden und jene anderen Organisationen, die eine regionale und überregionale Relevanz aufweisen, wie die erwähnten Beispiele gerade im Frauen-, Jugend- und Studierendenbereich.

  2. Frank_E sagt:

    Liebe Mitmenschen,
    neben all der Diskussionen über die Gremien die letztlich die Lehrkräfte und den Lehrinhalt bestimmen, würde mich interessieren wie ein Islam Unterricht speziell für Kinder im Alter zwischen 6-10 Jahren (Grundschule) inhaltlich aussieht?
    Gibt es da schon irgendwelche vorab Lehrplan Entwürfe?
    lg Frank

  3. Pingback: Ist das Gesetz zum Religionsunterricht in NRW verfassungswidrig? « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  4. Mounir Azzaoui sagt:

    @oezalan: Es ist richtig, dass die verbandsunbhängigen Moscheen in Zukunft stärker einbezogen und die Länderstruktur ausgebaut werden sollten. Dies sollte man den muslimischen Verbänden immer wieder auch kommunizieren. Was die Frauen und Jugendvereine angeht gibt es dort in der Tat auch ein grooßes Potential was über die Moscheen hinausgeht und genutzt werden sollte. Ich denke wir sollten die Moscheen erstmal als der Stamm – den inneren Kern – der muslimischen Religionsgemeinschaft ansehen und innermuslimisch diskutieren, wie man das um weitere Vereine erweitern kann, ohne dass die Gefahr besteht, dass die religiöse Substanz der Religionsgemeinschaft verloren geht.
    @Frank: Es gibt bereits einige Lehrpläne, so wurde etwa ein Lehrplan des Zentralrats der Muslime in Niedersachsen überarbeitet und im Modellversuch dort eingesetzt. Solch Lehrpläne müssen selbstverständlich einige pädagogische Standards einhalten. Die Lehrpläne die in Zukunft z.B in NRW eingesetzt werden sollen, sind wohl in Arbeit und werden dann sicherlich auch veröffentlicht werden.

  5. Pingback: Muslime haben immer noch keine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  6. Annett Abdel-Rahman sagt:

    @Frank, Mounir:

    Der Lehrplan für den Islamischen Religionsunterricht kann hier heruntergeladen werden: http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc-iru-2010.pdf

    Er ist KEIN überarbeitetes Modell des Lehrplans des Zentralrats der Muslime, sondern eine Synopse aus vielen verschiedenen Überlegungen. Grundsätzlich orientiert er sich an den generellen Entwicklungen in Niedersachsen, keine Lehrpläne, sondern Kerncurricula zu verwenden. Daher unterliegt er dem gleichen Kompetenzmodell und der gleichen Didaktik, wie die anderen Religionsunterrichte in Niedersachsen. Der Lehrplan wurde vom Kultusministerium in Zusammenarbeit mit den Lehrern und den beiden Verbänden SCHURA und DITIB entwickelt, die für den IRU in Ns. zuständig sind. Es ist richtig, dass der Zetralrat der Muslime auch hier anfangs am Runden Tisch dabei war, aber später nicht mehr, da er in Niedersachsen kaum Moscheegemeinden vertritt.
    Ein Lehrplan für den Sek.I-bereich wird ab Sept. 2012 erstellt…..

  7. Mounir Azzaoui sagt:

    @Annett: Du bist da sicherlich die Expertin und weißt das im Detail besser. Ich hatte noch in Erinnerung aus der Zeit als ich für den Zentralrat der Muslime gearbeitet habe (bis 2006), dass ein Lehrplan eingesetzt wurde, welcher im wesentlichen auf den ZMD-Lehrplan zurückgeht. Könnte es sein, dass dieser in der Anfangszeit benutzt und dann später ein neuer entwickelt wurde? Bitte korrigiere mich – bei unserem föderalen System kommt man mit den verschiedenen Modellversuchen gar nicht mehr hinterher -)

  8. hannibal sagt:

    Nachtrag:

    Wie ist denn in diesem Zusammenhang die Info zuverstehen, die Frau
    Annett Abdel-Rahman in einem anderen Thread hier auf MIGAZIN gibt:

    “ Es ist richtig, dass der Zetralrat der Muslime auch hier anfangs am Runden Tisch dabei war, aber später nicht mehr, da er in Niedersachsen kaum Moscheegemeinden vertritt.“

    ??? kaum Moscheegemeinden ?

  9. Annett Abdel-Rahman sagt:

    @Mounir: Genauso ist es, anfangs hat man den ZMD Lehrplan benutzt. Dann wurde in Ns. generell auf die Struktur der Kerncurricula umgestellt, mit dem Ziel bestimmte Kernkompetenzen bei den Schülern zu entwickeln. Den Lehrplan für IRU hat man dann genauso gestaltet, auch, weil sich nun im Modellversuch herauskristallisiert hatte, welche Themen in welcher Klassenstufe am besten behandelt werden können……

    Du hast Recht, jedes Bundesland hat so sein eigenes Muster, sehr verwirrend teilweise, und nein, Expertin bin ich noch nicht (aber ich arbeite daran :)) …. )

  10. Annett Abdel-Rahman sagt:

    @hannibal: das ist ganz einfach. Die Bundesländer sind halt alle sehr verschieden organisiert, hat Mounir ja schon angedeutet. In Niedersachsen sind verhältnismäßig wenige Moscheegemeinden im ZMD organisiert. In NRW sind es wesentlich, und zwar wirklich wesentlich mehr. Dazu kommt, dass Niedersachsen wesentlich weniger Muslime insgesamt hat, in NRW sind es m.E. zehnmal mehr, aber hier ist Mounir der Experte, er kennt sich in NRW wahrscheinlich viel besser aus :).

    Daher sind auch in jedem Bundesland andere Konstellationen zu erwarten, was den Islamischen RU betrifft.

    Die Meinung habe ich übrigens in DIESEM Thread vertreten……