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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Sprache als Waffe

Ein kleiner Exkurs in den aktuellen Stand der Gender-Debatte als Teil eines größeren Culture Wars alter weißer Männer. In der Hauptrolle: die Ministerpräsidentin von Bayern, Söderin Maggus.

Von Montag, 01.04.2024, 10:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.04.2024, 7:52 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Liebe Leser*Innen,

normalerweise neigt dieser Autor ja nicht dazu, zu gendern. Es entspricht einfach nicht meinem Sprachgefühl – vielleicht bin ich auch schon zu alt, um mich noch umzugewöhnen. Meist versuche ich daher andere, geschlechtsneutrale oder anderweitig inklusive Formulierungen zu finden, gegenderte Sprache ist – für mich – eine Krücke, auf die ich dann zurückgreife, wenn andere Formen nicht funktionieren oder den Lesefluss störten – oder um einen Standpunkt deutlich zu machen.

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Die aktuellen Versuche der Verbotsparteien CDU/CSU und AfD, in Bayern, Hessen und Sachsen Sprachverbote zu etablieren, finde ich trotzdem – oder gerade deshalb – hochproblematisch. Denn während die Parteien behaupten, so zu einer verständlichen Sprache beizutragen, ist genau das ja nicht der Fall.

Mal abgesehen davon, dass Verwaltungssprache ohnehin ein Ungetüm ist, mit dem selbst Abiturienten zuweilen hadern – es also ganz andere Themen gäbe, derer man sich annehmen könnte – wage ich zu bezweifeln, dass die durchschnittliche Bürger:in durch ein „Sehr geehrte Bürger:innen“ stärker gefordert wäre, als durch das ähnlich inklusive „Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, sowie natürlich alle anderen, etwa die, die sich keinem oder beiden Geschlechtern zugehörig fühlen oder die sich auf andere Weise durch die Formulierung Bürgerin oder Bürger nicht angesprochen fühlen“. Wollte man nicht ausschließen und diskriminieren, sondern Sprache vereinfachen, wäre tatsächlich das Gendern das Mittel der Wahl.

Dass die Motive der Union moralisch gut und ihre Argumente ehrlich sind, muss man wohl einfach glauben – aber dafür handelt es sich ja auch um christliche Parteien. Und christliche Werte können sein, was immer wir wollen, dass sie sind. Nichts im Christentum bedeutet heute noch das, was es vor 2000 Jahren einmal bedeutete.

„Verwaltung ist in diesem Land eben auch immer noch ein Mittel der Diskriminierung von Armen und solchen, die nicht deutsch genug sind, vor allem dann, wenn beides zusammenkommt.“

Und Verwaltung ist in diesem Land eben auch immer noch ein Mittel der Diskriminierung von Armen und solchen, die nicht deutsch genug sind, vor allem dann, wenn beides zusammenkommt: Wer nicht bereit ist, jeden unmenschlichen Job anzunehmen, dem gehört das menschenwürdige Dasein entzogen, der darf zwar noch Wohnen und Heizen – die Vermieter sollen ja nicht leiden – aber schon mit Essen ist dann Essig. Wer wiederum keinen Job findet, weil er oder sie zu alleinerziehend ist oder anderweitig behindert wird, dem gehört das soziale Minimum zumindest reduziert, weil sonst der „Lohnabstand“ nicht mehr gewahrt wäre, niemand mehr in lausig bezahlten Scheißjobs arbeiten würde und Arbeitgeber am Ende womöglich Arbeitsbedingungen und Löhne verbessern müssten – und das reduziert schließlich die Shareholder-Dividende. Am Ende könnte man womöglich nicht einmal mehr Lohnabhängige gegen andere, streikende, Lohnabhängige aufhetzen.

In der Verwaltung wird natürlich auch die Sprache als eine solche Waffe genutzt, wird sie benutzt, um Menschen gezielt zu diskriminieren und auszuschließen. Verwaltungsvorschriften und -kommunikation sind nicht ohne Grund oft kaum verständlich, sollen insbesondere die sogenannten „Bildungsfernen“ und solche, deren Muttersprache nicht deutsch ist, davon abhalten, ihre Rechte auszuüben, weil sie sie schlicht und einfach gar nicht erst verstehen.

„Denn natürlich sind den Ministerpräsidentinnen von Hessen, Boris Rhein, und Bayern, der Söderin Markus, die korrekten Pronomen durchaus wichtig – aber halt nur, wenn es sie selbst betrifft.“

In solcher Kommunikation zukünftig das Gendern zu verbieten, ist eine logische Folge dieser bereits etablierten Politik. Denn natürlich sind den Ministerpräsidentinnen von Hessen, Boris Rhein, und Bayern, der Söderin Markus, die korrekten Pronomen durchaus wichtig – aber halt nur, wenn es sie selbst betrifft.

Wenn eine landesweit bekannte Politikerin wie Markus Söder nach einem langen Arbeitstag mit Fleischmahlzeiten-Fotos in Bierzelten sowie einer kurzen Stippvisite im Landtag zu ihrem Partner nach Hause kommt, dann hat der eben nicht nur das nächste fleischlastige Mahl warm auf dem Tisch stehen zu haben, er hat natürlich auch eine Sie zu sein, und der Maggus, trotz all dieser short dick energy, muss auch ein Er sein und bleiben. Würde man den Markus konsequent in weiblicher Form ansprechen, dann würde ihr wahrscheinlich eher nicht gefallen. Andere Menschen sind der Söderin aber schlicht und einfach egal, solange sie nicht dafür sorgen, dass sie weiterhin erfolgreich ihren Instagramkanal mit Wurstspezialitäten bestücken kann – und da bietet der Job als bayrische Ministerpräsidentin mehr Jobsicherheit als eine Karriere als Deutschland wahrscheinlich erste Wurst-Influencerin.

Formulierungen, wie ich sie eingangs genutzt habe, hat jemand wie Hessens Ministerpräsidentin Boris Rhein natürlich auch nicht vorgesehen, wenn er ein Gender-Verbot verhängt. In der Praxis dürfte es doch auf die etablierten Formulierungen „Bürgerinnen und Bürger“ (o. ä.) hinauslaufen, die eben gerade Menschen ausschließen, die sich in diesen heteronormativen Formulierungen nicht wiederfinden.

„Konservative Politiker:innen tun dabei das, was sie anderen nur unterstellen: Sie indoktrinieren Kinder, Jugendliche – und an den Unis auch junge Erwachsene – mit ideologischer Sprache…“

Dass diese Regeln dann auch noch auf „staatliche und öffentlich-rechtliche Institutionen“ (also Bildungseinrichtungen und etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunk) ausgedehnt wurden, beweist, dass es sich hier ausschließlich um Kulturkampf handelt, um Identitätspolitik, die jene betreiben, denen ansonsten nichts einfällt. Konservative Politiker:innen tun dabei das, was sie anderen nur unterstellen: Sie indoktrinieren Kinder, Jugendliche – und an den Unis auch junge Erwachsene – mit ideologischer Sprache, in der Hoffnung, dass sie diese Sprechverbote ein Leben lang beibehalten. Gerade beim Rundfunk und den zuletzt genannten Unis ist dies hochproblematisch, weil hier nun mal frei von staatlicher Kontrolle und ideologiefrei zu einer gesamtgesellschaftlichen Willensbildung beigetragen werden soll – im Rundfunk in Form einer öffentlichen Debatte, an der Uni durch Erforschung von unterschwelligen Mechanismen und Wirkungen – beispielsweise diskriminierender und ausschließender Sprache.

Das ist letztlich nicht mehr weit von Indoktrination und staatlicher Kontrolle von öffentlichen Einrichtungen, wie sie von Russland betrieben werden. Dass die von Russland aus kräftig supportete AfD da mitmacht, ist klar. Aber gerade die Union versucht doch stets, sich von Russland abzugrenzen.

Es sei denn natürlich, es geht ums Geld. Oder eben um die Diskriminierung sozialer Außenseiter und die Verhinderung gesellschaftlichen Fortschritts – vielleicht ließ man sich ja auch deshalb in der Union so gern von den Aserbaidschanern kaufen. Meinung

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  1. Joachim Datko sagt:

    Gendern von Wörtern ist für Nichtmuttersprachler ein noch größeres Problem als für deutsche Muttersprachler. Wie sollen die Schüler und die Schulen damit zurechtkommen?

    Joachim Datko – Physiker, Philosoph

    • Kognitiver Dissident sagt:

      Unter den von Ihnen so uneigennützig bemühten Nichtmuttersprachler*innen dürfte der Anteil verfolgter nicht-heteronormativer Menschen aus (auch hier) objektiven Gründen höher sein, als in anderen Kategorien zur Unterscheidung von Menschen und deren verallgemeinerten Fähigkeiten.
      Die Probleme, die Nichtmuttersprachler*innen mit der deutschen Sprache haben können, dürften sich zum großen Teil mit denen, die sogenannte Muttersprachler*innen mit Fach- oder Amtsformen Ihrer Muttersprache oder bestimmten tradierten Floskeln haben, decken.
      Letztlich äußern Sie Ihre persönliche Meinung zum eigentlichen Thema als Naturwissenschaftler und Philosoph ja auch nur indirekt und mit Bezug zu einer Personengruppe, mit der Sie sich ja nicht ausdrücklich identifizieren.