Nebenan
Krieg und Frieden
Was für ein Tag! 50 Tausend – ach, was sag ich –, 50 Millionen Deutsche waren letzte Woche auf der Straße, um zusammen mit Schwarzer und Wagenknecht die Ukraine zur Aufgabe aufzufordern.
Von Sven Bensmann Montag, 06.03.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.03.2023, 9:09 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Ein Fest des Pazifismus und der Völkerrechte. Könnte man meinen. Aber so einfach, wie alle sagen, ist es ja nicht. Ich will daher gar nicht all die Teilnehmer als Wirrköpfe und Polit-Pappnasen diffamieren – auch wenn das wahnsinnig einfach wäre: Die deutsche Presselandschaft hat dies bereits zum neuen Volkssport hochgejazzt – denn ausgerechnet bei der Prämisse muss ich diesen Leuten ja zustimmen: Ich bin auch weiterhin der Ansicht, dass heute keine russischen Soldaten in der Ukraine ständen, wenn sich die NATO nicht Stück für Stück auf die russischen Staatsgrenzen zubewegt hätte. Ich bin auch der Meinung, dass sie heute nur im Donbass und in der Krim stünden, wenn die NATO nicht in den letzten Jahren gezielt weiter gegen Russland gerüstet hätte.
Nur: Wer in den Wald geht und einen schlafenden Bären findet, wer zu einem herumliegenden Stock greift und damit so lange im Fell des Bären herumstochert, dass dieser aufwacht, kann sich den Stock dahin stecken, wo keine Sonne scheint, in diesem Moment aber sicherlich keine Diskussion mehr darüber beginnen, ob der Bär nun im Recht ist, den Stocherer zu zerfleischen, oder ob das womöglich doch moralisch verwerflich wäre. Dann gilt eben nur noch: Rennen oder Kämpfen.
Rennen ist für ein ganzes Volk natürlich keine Option. Der einzige Fall, in dem das je funktioniert hätte, ist Israel – und hier ist „funktionieren“ auch eher relativ zu sehen. Dass die Putinpazifisten die Ukraine auffordern, sich einfach hinzulegen und den Bären gewähren zu lassen, in der Hoffnung, noch zu leben, wenn der satt ist, ist meines Erachtens aber purer Hohn.
„Hat die Ukraine gestochert, oder ist sie nur der Stock des „Westens“?“
Bleibt der Kampf. Und während immer weiter verschwimmt, wer denn nun Stock und wer Stocherer ist – hat die Ukraine gestochert, oder ist sie nur der Stock des „Westens“ – hat sich innerhalb dieses Westens ein breiter Konsens darüber gebildet, dass man der Ukraine ja doch irgendwie helfen müsste, nur halt nicht so richtig, weil der Bär dann ja auch noch uns angreifen könnte. Also: Ankündigen, Panzer zu liefern, ja das geht, tatsächlich Panzer liefern aber doch eher nicht.
Für mich ist dabei ganz besonders erstaunlich, dass sich hierin das alte Mantra der traditionellen Friedensbewegung wiederholt: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Aufgerieben zwischen den begeisterten Kriegstreibern um Marie Agnes Flak-Zimmermann (zu deren Verteidigung man aber auch sagen muss, dass die schon vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hochgradig kriegsgeil war) auf der einen und den Putinpazifisten auf der anderen Seite wäre nämlich doch eigentlich noch Platz für einen beherzten Pazifismus, der nicht bloß im scholz’schen Abwarten verharrt, das das merkel’sche Zaudern auf die Spitze treibt.
„Deutschland ist seit Jahrzehnten Stock und Stocherer.“
Doch die Gutwetter-Pazifisten der Sozialdemokratie, die schon des Kaisers Krieg finanzierten, sind wieder einmal umgefallen und haben den hehren Anspruch des Pazifismus in dessen Perversion verkehrt: Für den Frieden, wenn gerade keiner herrscht – ansonsten sind wir natürlich immer gern dabei. Kein Wunder, dass da auch Grünen nicht zurückstehen: sind sie doch Fleisch vom Fleische jener Sozialdemokraten. Lieber Deindustrialisierung durch Bomben als gar kein Klimaschutz.
Sicher, Deutschland kann es sich nicht so einfach machen wie die Schweiz und auf die uralte Neutralität verweisen, einfach das Geld jedwedes Verbrechers auf der Welt ohne zu murren anzunehmen. Deutschland ist seit Jahrzehnten Stock und Stocherer, die CDU hat über die Konrad-Adenauer-Stiftung gar ihre eigene gar nicht so kleine westnationalistische Partei in der Ukraine aufgebaut. Da fällt es schwer, einfach wegzusehen, wenn das eigene Handeln nun Konsequenzen – vor allem für andere – hat.
Eine klare pazifistische Linie könnte man aber trotzdem finden. Deutschland könnte Sanktionen und Forderungen an Russland und die Ukraine formulieren, um den Krieg zu beenden, statt sich nur von immer neuen Forderungen aus Kiew treiben zu lassen, die vermutlich erst bei der Atombombe enden werden – völkerrechtswidrige Bomben hat die Ukraine ja bereits im Nebensatz mal eben so angefordert.
„Deutschland könnte beispielsweise, statt über die rechte Bande (Uschi von der Leyen) der Ukraine gar den Zugang zur Europäischen Union in Aussicht zu stellen, über die linke Mitte (den Kanzler) genau das ausschließen.“
Deutschland könnte beispielsweise, statt über die rechte Bande (Uschi von der Leyen) der Ukraine gar den Zugang zur Europäischen Union in Aussicht zu stellen, über die linke Mitte (den Kanzler) genau das ausschließen, ebenso wie einen Beitritt der Ukraine zur NATO – während man gleichzeitig weitreichende Sicherheitsgarantien abgäbe, die Ukraine im Falle eines erneuten Angriffs durch Russland so zu verteidigen, als sei sie vollwertiges Mitglied der NATO.
Bereits bevor dieser Krieg startete, war ich der Überzeugung, dies könnte einen Krieg womöglich verhindern, und bisher ist nichts passiert, dass mich vom Gegenteil überzeugt hätte. Jetzt, da der Krieg bereits ein Jahr läuft, wirkt es natürlich schwieriger, eine solche Lösung umzusetzen, schon aufgrund der bisherigen Handlungslinie der Bundesregierung. Andererseits steht der Westen mit seinen Sanktionen ziemlich verlassen auf weiter Flur, die russische Wirtschaft wächst offensichtlich sogar.
„Diplomatie aber ist die Kunst einen Kuchen so zu zerteilen, dass am Ende jeder glaubt, das größte Stück erhalten zu haben.“
Diplomatie aber ist die Kunst einen Kuchen so zu zerteilen, dass am Ende jeder glaubt, das größte Stück erhalten zu haben. Für eine Friedenslösung könnte das heißen: Kompletter Abzug der russischen Armee aus der Ukraine bei gleichzeitigem Ausschluss einer formellen NATO-Osterweiterung in die Ukraine hinein. Das könnte sich ja vielleicht sowohl Ukrainern als auch Russen als dieser Verhandlungs-Sieg vermitteln lassen, ganz zu schweigen davon, dass wahrscheinlich viele unbeteiligte Länder auch hinter dieser Lösung versammelt werden können. Sogar das wohl kriegsentscheidende China, dass Russland derzeit den Rücken stärkt, hätte ein Interesse daran, eine solche gesichtswahrende Lösung zu unterstützen. Letztendlich bräuchte es aber wohl einen chinesischen oder einen einflussreichenden bisher außenstehenden Diplomaten, um genau dies vorzuschlagen, um nicht schon eine Voreingenommenheit bezüglich der Größe der Kuchenstücke zu riskieren.
Nun lässt sich all das natürlich nicht auf ein Plakat schreiben. Und daher wage ich die Behauptung, dass eine nicht geringe Zahl der Teilnehmer mit einer solchen echten Friedensmotivation auf die Straße gegangen ist, weil es eben keine andere Option für sie gab, und weil es eben keine stringente, am Frieden orientierte Position der politischen Parteien des Pazifismus gibt. Vielleicht fahren die Putinpazifisten sogar nur im Fahrwasser eines solchen echten Pazifismus, können sich aufgrund ihrer einfacheren Parolen einfach nur besser hörbar machen, da die simplen Ideen im weißen Rauschen komplexer Gedanken schlicht besser wahrnehmbar sind, auf der Straße, wie in der allabendlichen Talkshow oder dem Leitartikel. Dass SPD und Grüne, diese beiden Parteien der deutschen Sozialdemokratie, genau diese Menschen verraten, statt einen im Kern pazifistischen Gegenentwurf zum kriegsgeilen Säbelrasseln von Union und FDP, beziehungsweise zur moskautreuen Duldungsstarre von AfD und größeren Teilen der Linken zu formulieren, ist so traurig, wie es gute deutsche Tradition ist.
„Deutschland wirkt in der Folge heute intellektuell entkernt wie nie.“
Deutschland wirkt in der Folge heute intellektuell entkernt wie nie; die Orientierung der politischen Akteure an bipolaren Meinungsumfragen, die nur schwarz, weiß und „weiß nicht“ kennen, aber keinen Raum für Grautöne, für Durchdachtes, für „Ja, aber“ und „Nein, obwohl“ bieten, haben die kurze demokratische Tradition dieses Landes ge- und vielleicht bereits zerstört. Sicherlich ist es hier noch nicht so schlimm, wie in den USA und dem UK. Aber das kommt noch. Da bin ich mir sicher.
Und deshalb sagen wir es alle noch einmal im Chor: „Deutsche Waffen, deutsches Geld // morden mit in aller Welt.“ Wenn wir uns schon auf sonst nichts einigen können: Das ist deutsche Leitkultur. Meinung
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