Doppelpass-Debatte 8/12

„Wie war das mit der Scheinheiligkeit?“

Politik ist langweilig und trocken? Die Bundestagsdebatte vom 5. Juni 2013 beweist das Gegenteil: Regierungs- und Oppositionspolitiker debattieren über die doppelte Staatsbürgerschaft. Das MiGAZIN dokumentiert die Reden im Wortlaut inklusive Zwischenrufe in einer 12-teiligen Serie. Heute Serkan Tören (FDP).

Dienstag, 18.06.2013, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.06.2013, 0:01 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Serkan Tören (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kolbe, ich finde es geradezu unverschämt, dass Sie dem Kollegen Grindel Rassismus vorwerfen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

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Ich kann nur sagen: Sorgen Sie erst einmal in Ihren eigenen Reihen dafür, dass es keinen Rassismus gibt. Ich brauche nur den Namen Thilo Sarrazin zu nennen,

(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

der sieben Jahre eine verantwortliche Position hier in Berlin bekleidet hat und seine Gentheorien im ganzen Land verkündet. Sorgen Sie erst einmal in Ihren eigenen Reihen dafür, dass es keinen Rassismus gibt, bevor Sie andere angreifen. Es ist unverschämt, was Sie hier machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Eduard Oswald:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rawert?

Serkan Tören (FDP):
Nein, das gestatte ich jetzt nicht; schließlich habe ich gerade erst angefangen. Vielleicht lasse ich nachher eine zu.

(Mechthild Rawert [SPD]: Feigling! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Gegenruf des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Jetzt ist aber langsam Schluss!)

Bei der Optionspflicht geht es für die betreffenden jungen Menschen gar nicht so sehr um eine Loyalitätsentscheidung, also für welches Land sie eintreten, sondern oft um die Frage, ob es Brüche im Lebenslauf gibt; das ist manchmal eine sehr schwierige Entscheidung. Eine Studie des BAMF zeigt: 66 Prozent der Betroffenen wünschen sich tatsächlich die Beibehaltung der Herkunftsstaatsangehörigkeit. Meine Damen und Herren von der Opposition, darauf sollten wir Antworten finden.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Ja, nennen Sie doch mal welche!)

Wir haben auf unserem letzten Parteitag die grundsätzliche Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit in unser Wahlprogramm aufgenommen.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Dann stimmen Sie heute zu!)

Wir hatten im Jahre 2011 107 000 Einbürgerungen zu verzeichnen, davon rund 51 Prozent unter Inkaufnahme der doppelten Staatsangehörigkeit. Für mich ist es eine Frage der Gerechtigkeit, wie wir mit den anderen 49 Prozent verfahren.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Na also!)

Es geht dabei nicht nur um Bürger aus EU-Staaten, sondern auch um Menschen aus vielen anderen Nationen.

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Serkan Tören (FDP)
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Ich glaube, dass die doppelte Staatsbürgerschaft die Teilhabe und die Integration vieler Menschen fördert. Ein Beispiel: Ich bin mit Anfang 20 seinerzeit eingebürgert worden, und zwar unter Inkaufnahme der doppelten Staatsangehörigkeit, weil ich nicht aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen werden konnte; denn ich hatte meinen Militärdienst in der Türkei nicht abgeleistet. Der nächste Schritt, nachdem ich eingebürgert worden bin – das war für mich ein Signal dafür, dass die Gesellschaft mich will und ich Teil dieser Gesellschaft bin –, war einer der besten Schritte überhaupt, die man machen kann: Ich bin einige Monate später zur FDP gegangen und bin Mitglied dieser Partei geworden, weil ich selbst etwas gestalten und in dieser Gesellschaft mitwirken wollte.

(Beifall bei der FDP – Aydan Özoğuz [SPD]: Irrtümer gibt es ja auch mal!)

Gegner der doppelten Staatsangehörigkeit reden von Loyalitätskonflikten. Ich frage dann manchmal, wie diese Loyalitätskonflikte eigentlich aussehen. So richtig konkrete Antworten bekomme ich selten. Ein Problem – darüber kann man durchaus diskutieren – war der Wehrdienst; aber den haben wir – auch dank der FDP – mittlerweile nicht mehr. Insofern ist ein wichtiger Grund für einen Loyalitätskonflikt, wie man ihn sonst kannte, weggefallen.

Die Anhörung im Ausschuss ist vorhin erwähnt worden. Einige Sachverständige haben uns gesagt, dass es eine aktive Staatsangehörigkeit da gibt, wo man lebt, wo man Grundrechte ausüben kann und wo man Pflichten erfüllt, dass es aber auch eine passive Staatsangehörigkeit gibt, und zwar da, wo man nicht lebt. Das ist für mich sehr einleuchtend. Auch an meinem Beispiel zeigt sich, dass ich die Grundrechte in der Türkei nie geltend machen konnte, weil ich dort eben nicht gelebt habe. Das Einzige, was gestört hat, war die Pflicht zum Militärdienst. Deswegen habe ich vor einigen Jahren meine türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben.

Wir sind ein Land, das um Fachkräfte ringt. Wir brauchen Hochqualifizierte. Diese Regierung hat deswegen die Einführung der Bluecard beschlossen, etwas, was Sie von der Opposition jahrelang nicht geschafft haben. Sie haben nur darüber geredet, aber nichts geleistet. Wir haben das hinbekommen. Wir kämpfen jetzt im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Amnesie hilft auch nicht weiter!)

Dazu gehört auch, dass man Anreize schafft. Die angelsächsischen Staaten erlauben im Grundsatz die doppelte Staatsangehörigkeit. Im Wettbewerb mit diesen Staaten müssen wir Anreize schaffen und ebenfalls über die doppelte Staatsangehörigkeit nachdenken. Auch sonst gibt es kaum noch rechtliche Probleme. Im Zivilrecht bzw. internationalen Privatrecht werden diese Probleme gelöst.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Was ist denn jetzt das Fazit?)

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