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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Im Dunkeln sind alle Katzen grau

Wenn Polizisten sich von einem Rücken bedroht fühlen und die Bundeswehr Drogenflüsse schützt, bleibt nur eine Frage: Ist das noch Versagen – oder schon System?

Von Montag, 05.05.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.05.2025, 13:02 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Wir müssen, mal wieder, über Polizei reden – im erweiterten Sinne. Denn natürlich müssen wir über Lorenz reden, jenen jungen Mann, der einer Gruppe von Polizisten so bedrohlich den Rücken zukehrte, dass die sich gezwungen sahen, insgesamt fünfmal auf ihn zu schießen, unter anderem in ebenjenen Rücken, aber auch den Kopf.

Aber, so die Polizei, es sei ja auch gar nicht nur beim Rücken-zuwenden geblieben, jener universalen Geste der Aggressivität, nein, auch dass er ein Messer bei sich hatte, das zu zücken er sich beharrlich weigerte, sodass die nun wirklich keine Wahl mehr hatten, als den jungen Mann zu ermorden. Wofür haben wir denn Polizei, wenn nicht dafür?

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„Natürlich drängt sich da die Frage auf, ob man denn wirklich nicht konnte, oder vielleicht doch nur nicht wollte.“

Ähnlich nutzlos: Die Bundeswehr. Nicht nur zur Landesverteidigung nicht zu gebrauchen – dafür war sie seit dem Ende des Kalten Krieges eh nicht mehr gedacht, weil nun die Rendite deutscher Kriegswaffenhersteller gesichert werden musste – sondern, wie das BKA laut Deutscher Welle kürzlich andeutete, auch als Besatzungsmacht mit parapolizeilichen Aufgaben völlig untauglich. Die Geschichte geht etwa so: in den 20 Jahren waren die westlichen Besatzer in Afghanistan nicht in der Lage, den illegalen Drogenanbau einzuschränken oder gar zu verhindern, vielmehr hatten billige afghanische Opiumderivate wie Heroin den Markt geradezu überschwemmt und viele unschuldige Menschen in die Sucht getrieben.

Die terroristischen Taliban hingegen erreichten laut BKA in nur zwei Jahren, wozu hochgerüstete Militärs nicht in der Lage gewesen sein wollen: Die afghanische Produktion dieser Drogen ist völlig eingebrochen. Dafür fließe jetzt jedoch deutlich mehr Kokain auf den Markt, um die entstandenen Lücken zu füllen. Der amerikanische Markt sei nämlich gesättigt.

Natürlich drängt sich da die Frage auf, ob man denn wirklich nicht konnte, oder vielleicht doch nur nicht wollte – Verschwörungstheorien, Regierungen würden Drogen als Mittel zur Kontrolle bestimmter Bevölkerungsgruppen einsetzen, gibt es immerhin schon lange. Vielleicht war die Bundeswehr also doch gar nicht so unfähig, wie sie sich gibt, sondern schlicht nicht Willens. Vielleicht war genau das gemeint, wenn „deutsche Interessen am Hindukusch verteidigt“ werden sollten. Abschließend klären lassen wird sich das kaum, zumindest das sollte man aus MK ULTRA gelernt haben.

„Ein bisschen zucke ich daher inzwischen innerlich immer zusammen, wenn ich nachts eines dieser bedrohlichen Fahrzeuge mit der mahnenden Aufschrift ‚Polizei‘ sehe.“

Daher nochmal zurück zu Lorenz und warum mich dieser Fall vielleicht besonders bewegt. Wenn ich des Nachts noch durch die Nachbarschaft spaziere, führt mich das häufig an einem dieser sogenannten „sozialen Brennpunkte“ der Stadt vorbei, wo sich die örtliche Drogenszene versammelt, viele von ihnen obdachlos und von der Stadt längst abgeschrieben. Immer wieder, auch in genau der Nacht, bevor ich von Lorenz’ Schicksal las, habe ich dort Angst. Gelegentlich, so auch in der Nacht, als Lorenz erschossen wurde, kommt mir nämlich unwillkürlich der Gedanke, dass man eines Tages von mir in der Zeitung lesen könnte, weil ich eine menschenleere Straße oder gar eine rote Ampel überquerte, wovon sich eine zufällig des Weges kommende Streife so sehr bedroht sah, dass sie mir ein komplettes Magazin aus der Faustfeuerwaffe in den Rücken ballerte.

Ein bisschen zucke ich daher inzwischen innerlich immer zusammen, wenn ich nachts eines dieser bedrohlichen Fahrzeuge mit der mahnenden Aufschrift „Polizei“ sehe, die sich ein wenig wie „Achtung, Fahrer ist bewaffnet und gefährlich“ liest. Denn vielleicht ist es ja gar kein Versagen, vielleicht ist dieses Gefühl genau so gewollt.

„Am Ende werden ja doch immer nur Schwarze, Südländer oder psychisch Kranke abgeknallt.“

Dabei weiß ich natürlich auch, dass diese Angst übertrieben ist. Am Ende werden ja doch immer nur Schwarze, Südländer oder psychisch Kranke abgeknallt – und mindestens zwei davon bin ich ja gar nicht. Aber Angst ist halt irrational – und im Dunkeln sind alle Katzen grau.

Ein Schaudern klettert langsam die Sprossen meines Rückgrats herunter. Im Kopfhörer jault ein Schwede so help me disappear / or to believe in a change / no way out of here / that i can see // or the nightmares that burn / into my head at night / make them disappear / so i can breathe. Ich schaue mich lieber noch einmal vorsichtig um, ob nicht doch ein Uniformierter gerade seine Waffe auf mich gerichtet hat. (mig) Meinung

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