Suche nach dem „Wir“
Steinmeier fordert mehr Kompromissbereitschaft in Migrationspolitik
Zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Buch geschrieben. „Wir“ lautet der Titel. Bei der Vorstellung fordert er von den Parteien in Regierung und Opposition mehr Kompromissbereitschaft in der Migrationspolitik. Sonst profitierten Radikale.
Von Corinna Buschow Donnerstag, 18.04.2024, 11:43 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.04.2024, 11:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Von den Bundespräsidenten heißt es, Zuversicht sei ihre Amtspflicht“, schreibt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Buch „Wir“, das am Donnerstag veröffentlicht wird. Bekanntermaßen lade das zu Satire ein, schreibt er, weist die Karikaturen über „wohltemperierte präsidiale Worte“ aber sogleich zurück. Die Pflicht zur Zuversicht sei eine „ehrenwerte Aufgabe“, denn keine politische Gemeinschaft könne ohne den „Mut zu hoffen“ auskommen, schreibt das Staatsoberhaupt im ersten Kapitel seines Essays, das mit genau dieser Zuversicht auch endet: „Unsere freiheitliche Demokratie wird die Jahre der Bewährung überstehen.“
Anlässlich des 75. Jahrestags der Verkündung des Grundgesetzes und des 35. Jahrestags des Mauerfalls und vor dem Hintergrund polarisierter Debatten, einer Zunahme extremistischer Gewalt und hoher Zustimmungswerte für populistische Parteien begibt sich Steinmeier auf die Suche nach dem deutschem „Wir“; einer Antwort auf die Frage, welche Werte, Erfahrungen und Erzählungen die Menschen in Deutschland prägen.
Das Ergebnis ist kein neuer Katalog für nationale Identität oder „Leitkultur“. Am Ende steht als Angebot ein „demokratischer Patriotismus“ für das Einwanderungsland, das Deutschland geworden ist. „Mehrheit“ beziehe sich künftig nicht auf Ethnie, Religion und Kultur, schreibt er dazu: „Zugehörigkeit speist sich heute aus anderen Quellen, allen voran aus der Zustimmung zu den Regeln, die wir uns in demokratischen Verfahren geben und die allen die gleichen Bedingungen zur freien Entscheidung garantieren.“ Aus diesem Bewusstsein könne „eine neue Art von demokratischem Patriotismus“ entstehen.
Steinmeier fordert Kompromissbereitschaft
Von den Parteien in Regierung und Opposition forderte Steinmeier mehr Kompromissbereitschaft in der Migrationspolitik. Dies sei eine Aufgabe für die demokratische Mitte, sagte er im Rahmen eines moderierten Gesprächs mit der Direktorin des Einstein Forums, Susan Neimann, bei der Vorstellung seines Buch im Schloss Bellevue. „Wenn die demokratische Mitte einer Gesellschaft in solchen Fragen nicht zueinander kommt, dann sind das Chancen, die von radikalen Kräften der Gesellschaft genutzt werden“, ergänzte er.
Eine Steuerung der Zuwanderung werde benötigt. Es müsse weniger Ankünfte geben, um mit denen, die kommen, integrationspolitisch umgehen zu können, sagte Steinmeier. Es brauche Kompromisse zwischen maximaler Aufnahme und maximaler Begrenzung. Er erwarte deswegen, dass sich die Politik kompromissbereit zeige und sich daran erinnere, dass es bei großen politischen Fragen der Vergangenheit, etwa beim Thema Wiederbewaffnung, Ostpolitik, Asylkompromiss und Eurokrise „immer wieder Situationen gab, in denen Regierungsparteien und Opposition gewusst haben, wann man zusammen kommen muss“, sagte der Bundespräsident.
Gesamtdeutsche Erfahrungen
Dezidiert versucht sich Steinmeier 35 Jahre nach dem Mauerfall daran, gesamtdeutsche Erfahrungen durchzubuchstabieren. Seine Bestandsaufnahme im zweiten Kapitel beginnt mit dem Jahr 1989 als „Schlüsselerlebnis im politischen Leben meiner Generation“. Es folgt eine Auseinandersetzung mit Herausforderungen und Krisen, die vor Augen führen soll, was in seinen Augen gelungen ist: Wiedervereinigung, hohe Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, Corona – und was noch gelingen muss, etwa die Migrationspolitik: „Wir sind mit dieser Herausforderung bislang nicht fertig geworden.“
Steinmeier benennt auch die „Schocks, die von außen kommen“ und dazu führen, dass Deutschland in einer veränderten Lage ist. „Kein deutscher Politiker kann der Welt befehlen, sich gefälligst wieder zu unseren Gunsten zu drehen“, schreibt Steinmeier. Denn auch darum geht es ihm mit dem Buch, wie er an anderer Stelle schreibt: Verständnis zu vermitteln, wie die Demokratie funktioniert.
142 Seiten
142 Seiten hat das Buch, das am 22. April als Buch in den Handel geht und dann auch kostenlos im Internet veröffentlicht werden soll. Zum Jubiläum des Grundgesetzes versteht es Steinmeier als Werbung für gemeinschaftliches Handeln, aus dem politische Kraft, vielleicht sogar ein „Wir“-Gefühl wächst. Was dabei nicht fehlt, ist erneut ein Plädoyer für die soziale Pflichtzeit, die Steinmeier seit längerer Zeit fordert – bislang ohne Erfolg.
Erneut geht er auch mit den inzwischen sehr wirkmächtigen sozialen Netzwerken hart ins Gericht, in denen er eine Gefahr für die Demokratie sieht, wenn deren Regeln nicht geändert werden – und zwar über Verhaltensetiketten hinaus: „Man antwortet nicht mit dem Knigge, wenn das Recht angegriffen wird.“ (epd/mig) Aktuell Politik
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