„Sie elender Rechtspopulist“
CDU treibt Ausländerpolitik weiter nach rechts
Kanzler Scholz hatte der Union einen „Deutschlandpakt“ angeboten. Seitdem verschiebt sich die Debatte immer weiter nach rechts - Hauptakteure sind CDU-Politiker. Aber auch FDP-Politiker stellen rechte Forderungen. Experten widersprechen.
Sonntag, 29.10.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 30.10.2023, 5:09 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Die CDU stellt eine Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in der Migrationspolitik unter die Bedingung, dass dazu im Bundestag konkrete Gesetze zur Steuerung und Begrenzung beschlossen werden. Im Bundestag fänden die eigentlichen Entscheidungen über einen solchen Deutschlandpakt statt, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Samstag bei einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU in Hürth. „Und wir werden nur zustimmen, wenn es eine einigermaßen sichere Gewähr dafür gibt, dass im nächsten Jahr die Zahlen deutlich nach unten gegangen sind.“ Merz fügte hinzu: „Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, eine Mitverantwortung zu übernehmen für dieses Problem und mit diesem Problem dann in die Europawahl im nächsten Jahr zu gehen.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der Union Anfang September eine Zusammenarbeit in Form eines „Deutschlandpaktes“ zur Modernisierung des Landes angeboten. Merz und die Union hatten darauf gedrungen, das Thema Migration in den Mittelpunkt zu stellen. Seitdem gab es ein erstes Spitzentreffen zwischen Scholz, Merz und Vertretern der Bundesländer, zudem gingen Schreiben zwischen dem Oppositionsführer und dem Kanzler hin und her.
Scholz hatte zuletzt in einem „Spiegel“-Interview ein härteres Vorgehen gegen abgelehnte Asylbewerber und die Begrenzung der irregulären Migration in Deutschland angekündigt. Am vergangenen Mittwoch brachten er und seine Ministerinnen und Minister im Kabinett ein sogenanntes Rückführungsverbesserungsgesetz auf den Weg. Damit soll die Zahl kurzfristig gescheiterter Abschiebungen reduziert werden. Die Pläne sind umstritten, werden von Fachleuten als wirkungslos und Aktionismus kritisiert, müssen zudem noch vom Bundestag beschlossen werden.
Merz fordert Kurskorrektur von Grünen
Merz zeigte sich am Samstag weiterhin unzufrieden. In der Sache selbst sei seit der Ankündigung des Deutschlandpaktes nichts passiert, kritisierte er. Merz forderte außerdem von den Grünen, diese müssten ihren Kurs in der Einwanderungspolitik korrigieren. Den jüngsten Beschluss des Bundeskabinetts zu Abschiebungen nannte Merz unzureichend. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warf der Ampel beim Landesparteitag in Hürth vor, „konsequent an den Sorgen der Menschen in Deutschland vorbei“ zu regieren.
Am Montag in einer Woche (6. November) könnten Bund und Länder bei einer Konferenz der Ministerpräsidenten mit Scholz weitere Maßnahmen zur Migrationspolitik vereinbaren. Diskutiert wird unter anderem die Frage, ob Barzahlungen für Asylbewerber durch eine Bezahlkarte und Sachleistungen ersetzt werden sollten.
Kürzungen von Asyl-Leistungen
In einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“ sprachen sich die FDP-Bundesminister Christian Lindner (Finanzen) und Marco Buschmann (Justiz) dafür aus. Sie forderten außerdem Kürzungen bei den Leistungen. „Unter ganz besonders engen Voraussetzungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf ‚null‘ denkbar“, schrieben sie. Sie schlugen dies bei Menschen vor, „denen humanitärer Schutz in dem für sie nach den Dublin-Regeln zuständigen EU-Staat zusteht, die sich aber weigern, den Schutz dort in Anspruch zu nehmen. In diesen Fällen wäre es denkbar, die Leistung auf die Erstattung der notwendigen Reisekosten in den zuständigen Staat abzusenken.“
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer unterstützte den Vorschlag. „Wir wissen, dass auch die Sozialstandards ein wesentlicher Grund für die illegale Migration nach Deutschland sind“, erklärte der CDU-Politiker am Samstag.
Grünen-Chef Omid Nouripour sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe zur Frage, ob er an eine gemeinsame Asylpolitik der Ampel und der Union glaube: „Wir arbeiten in der Ampel daran, Humanität und Ordnung zusammenzubringen und die Kommunen zu entlasten. Viele Kommunen sind zunehmend überfordert mit der jetzigen Situation. Wir heißen jeden Vorschlag der Union herzlich willkommen, wenn er effektiv, machbar und rechtskonform ist.“
Asylbewerber kommen wegen Rechtssicherheit
Auch Migrationsexperte Herbert Brücker erinnerte in der „Rheinischen Post“ daran, dass man die Leistungshöhe für Asylbewerber „nicht beliebig verändern“ kann. „Das Verfassungsgericht schreibt vor, dass das Existenzminimum gesichert sein muss.“ Auch die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Geldüberweisungen von Asylbewerbern ins Ausland zu blockieren, nannte der Forscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wenig zielführend. „Wir haben auch keine Hinweise darauf, dass Asylbewerber in nennenswertem Umfang Gelder nach Hause überweisen. Dazu sind die Sätze zu gering.“
Brücker hält zudem dagegen, Geflüchtete kämen wegen Sozialleistungen nach Deutschland. „Wir wissen aus Befragungen, dass Menschen in erster Linie wegen der Rechtssicherheit, der Aussicht auf ein faires Asylverfahren und der Achtung der Menschenrechte zu uns kommen“. Die Sozialleistungen, die in der aktuellen Diskussion als Grund für den hohen Zuzug von Migranten nach Deutschland genannt werden, würden dagegen „nur je nach Befragung von gut 20 bis knapp 30 Prozent der Geflüchteten als ein Grund unter vielen genannt“, betonte er.
Merz provoziert mit steilen Thesen
Zuletzt hat Merz mit populistischen Aussagen Kritik auf sich gezogen. Auf dem Kurznachrichtendienst X (ehem. Twitter) hatte er eine Überlastung der Schulen durch Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen beklagt. Es bestehe die Gefahr, dass alle Kinder in diesen Schulen mit unzureichender Bildung ins Leben starteten. Er wolle die Situation durch eine Begrenzung der Asylzuwanderung verbessern. „Die Asylkrise ist auch eine Frage der Bildungspolitik“, so Merz.
SPD-Chefin Saskia Esken kritisierte Merz daraufhin scharf. „Um den Fach- und Arbeitskräftemangel zu bewältigen, brauchen wir in unserem Land keine plumpe Abwehr von Migration“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist einer Volkspartei mit Gestaltungsanspruch wie der CDU nicht würdig, der Strategie der Rechtspopulisten zu folgen und jedes Problem durch die Abwehr von Migration lösen zu wollen.“ Esken betonte, der steigende Anteil der in der Schule abgehängten Kinder sei tatsächlich erschreckend. Grund sei aber nicht die Migration, sondern Armut.
Nahost-Konflikt, Flucht und Einbürgerung
Auch im Zusammenhang mit dem Nahost-Krieg zwischen Israel und der Hamas provozierte Merz zuletzt in sozialen Medien: „Sollte es Flüchtlinge aus Gaza geben, dann sind diese zunächst einmal ein Thema für die Nachbarstaaten. Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land“, schrieb Merz auf X. Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) antwortete Merz auf X: „Sie elender Rechtspopulist“.
Den Nahost-Konflikt griff auch Bundesjustizminister Buschmann auf. Er kündigte an, dass antisemitisches Verhalten künftig auch Konsequenzen für das Aufenthaltsrecht und den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nach sich zieht. „Einbürgerungsbehörden sollen künftig selbst bei Bagatelldelikten wie etwa einer Beleidigung nachforschen, ob die Taten aus antisemitischen Gründen begangen wurden. Hat ein Richter festgestellt, dass antisemitische Beweggründe vorliegen, kann der Täter nicht mehr deutscher Staatsbürger werden“, sagte Buschmann dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“. Die Regierung reformiere derzeit das Aufenthaltsgesetz und das Staatsangehörigkeitsrecht.
Bereits zuvor hatte Merz eine „grundlegende Korrektur der sogenannten Willkommenskultur gegenüber bestimmten Migrantengruppen“ gefordert. Man müsse gucken, „unter welchen Bedingungen ein dauerhafter Aufenthalt oder gar eine Einbürgerung in Deutschland möglich sein kann“.
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte beim Landesparteitag der Brandenburger FDP Bedenken über aktuelle Einbürgerungslockerungen geäußert. Er forderte, dass stärker auf die Einhaltung von Werten geachtet wird. „Wir sollten jetzt genau prüfen, wie wir beim Staatsbürgerschaftsrecht, aber auch bei den Aufenthaltstiteln jede Lücke schließen können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Hier wurde in den letzten Jahrzehnten nicht präzise genug gehandelt. Künftig muss gelten: Wer in Deutschland leben oder Deutscher werden will, muss unsere Werte teilen.“
Fischen am rechten Rand
Für Aufregung hatten kürzlich auch Äußerungen von Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) zum möglichen Einsatz von Gewalt gegen irreguläre Migration gesorgt. Spahn hatte dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ gesagt, „irreguläre Migration“ müsse gegebenenfalls auch „mit physischer Gewalt“ gestoppt werden. Auch an Flughäfen werde der Pass kontrolliert – und wer keinen guten Grund habe einzureisen, der komme nicht rein. „Da wird im Zweifel auch aufgehalten. Und ja, dieses Prinzip gehört aus meiner Sicht auch an die EU-Außengrenze“, sagte Spahn.
Kritik erntete Spahn bei Politikern von Grünen und FDP. Mit solchen Aussagen versuche Spahn „am rechten Rand zu fischen“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, dem Medienhaus Table.Media. „Wir befinden uns zum Glück in einem Rechtsstaat und brauchen rechtlich tragfähige Lösungen, um mit der Vielzahl an schutzsuchenden Menschen umzugehen – und keinen menschenrechtswidrigen Populismus.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Stephan Thomae, sagte Table.Media, rechtsstaatliche und menschenrechtskonforme Standards müssten zwingend eingehalten werden. „Gewalt gegen Flüchtlinge ist niemals zu akzeptieren.“ (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik
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