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Gerichtsverhandlung (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Vom Staat im Stich gelassen

Studie: Rassismus-Opfer werden zweites Mal Opfer durch Polizei und Justiz

Sympathien für Täter, blind am rechten Auge, Verfahrensverschleppung, Täter-Opfer-Umkehr – Studie belegt: Betroffene rassistischer Gewalt werden nach der Tat oft ein zweites Mal Opfer durch Polizei und Justiz. Forscher stellen gravierende Mängel fest.

Donnerstag, 04.04.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.04.2024, 7:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Eine Studie wirft ein Schlaglicht auf die Erfahrungen von Personen, die Opfer rechter, rassistischer, antisemitischer und sexualisierter Gewalt wurden, insbesondere im Umgang mit Polizei und Justiz. Viele Betroffene erleben nach der Tat weitere Diskriminierungen durch staatliche Stellen, hauptsächlich im Kontext der Polizei und Justiz. Insbesondere die Erfahrungen von Geflüchteten und Migranten würden heruntergespielt oder ignoriert.

Der Untersuchung zufolge bemängeln 82 Prozent der Befragten, dass rechte Tatmotive bei polizeilichen Ermittlungen nicht berücksichtigt wurden. Mehr als die Hälfte der Befragten fühlten sich durch Polizeibeamten in ihrer Würde verletzt. Zwei Drittel stimmten der Aussage zu, sie seien von Polizisten „wie ein Mensch zweiter Klasse“ behandelt worden. Die Kommunikation mit der Polizei wird von 66 Prozent der Befragten als „schwierig“ empfunden. Besonders gravierend: Immer wieder wurde eine Täter-Opfer-Umkehr wahrgenommen, mit der den Betroffenen zumindest eine Mitverantwortung an Angriffen zugewiesen wird.

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Viele Verfahrenseinstellungen

Die aktuelle Studie „Sekundäre Viktimisierung von Betroffenen rechter, rassistischer, antisemitischer und sexualisierter Gewalt – Fokus: Polizei und Justiz“ folgt auf die im Jahr 2014 veröffentlichte Untersuchung „Die haben uns nicht ernst genommen“. Ein interdisziplinäres Team von Forschern analysierte die Erfahrungen von Geflüchteten, Migranten und anderen marginalisierten Gruppen, die Gewalttaten ausgesetzt waren. Durchgeführt wurde die aktuelle Studie vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Kooperation mit Opferberatungsstellen.

Herausgearbeitet haben die Forscher ein hohes Maß an Verfahrenseinstellungen durch Staatsanwaltschaften nach Strafanzeigen. In den wenigen Fällen, in denen es zu einer Anklageerhebung kam, berichteten die Betroffenen überwiegend, dass ihr Wunsch nach Gerechtigkeit – juristische Verhandlung bzw. Bestrafung der Täter – nicht erfüllt wurde. Richter hätten teilweise Sympathien für die Täter gezeigt, unnötige Begegnung mit Tätern wurden nicht verhindert. Zwei Drittel der Betroffenen mit Justizkontakt stimmten der Aussage zu, durch die Justiz erneut eine Viktimisierung erfahren und geschädigt worden zu sein.

Lange Verfahrensdauer

„Die Ergebnisse der Studie geben einen Einblick, was Betroffene auch nach der eigentlichen Tat noch an diskriminierenden Erfahrungen in Behörden machen müssen. Das beginnt oftmals mit der ungleichen Behandlung durch Polizist:innen am Tatort und hört auch bei der Verhandlung im Gerichtssaal – wenn es überhaupt dazu kommt – nicht auf“, erklärt Janine Dieckmann, stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ).

Die Forscherin verweist exemplarisch auf einen aktuellen Fall für verschleppte Strafverfolgung. Der Prozess gegen einen Teil von zwei Dutzend Neonazis, die im September 2018 in Chemnitz zivilgesellschaftliche Gegendemonstranten angegriffen haben, hatte erst nach fünf Jahren begonnen. Die Angegriffenen hätten jahrelang darum kämpfen müssen, dass es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommt.

Vom Rechtsstaat im Stich gelassen

Theresa Lauß, Beraterin bei der Thüringer Gewaltopferberatungsstelle ezra fasst zusammen: „Seit Jahren weisen wir auf die fatalen Auswirkungen sekundärer Viktimisierung durch Strafverfolgungsbehörden hin, die die Betroffenen zusätzlich zu den unmittelbaren Tatfolgen zu verarbeiten haben“. Betroffene würden vom Rechtsstaat im Stich gelassen. Viele Ermittlungsverfahren würden verschleppt und letztlich eingestellt. „Kommt es zu Gerichtsverhandlungen, stellen wir eine starke Zentrierung auf die Täter:innen fest, Betroffene werden nur in Ausnahmefällen adäquat geschützt“, so Lauß weiter.

Die Forscher betonen die Notwendigkeit von Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen für Polizei- und Justizpersonal. Die Perspektiven und Bedürfnisse von Geflüchteten, Migranten und anderen marginalisierten Gruppen müssten stärker berücksichtigt werden in den Sicherheitsbehörden und in der Justiz, um eine gerechtere und respektvollere Behandlung sicherzustellen. (mig) Leitartikel Panorama

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