Integration
Mobilität für Einwanderer – Möglichkeiten und Herausforderungen
Wenn es um Integration geht, stehen Themen wie Spracherwerb oder Bildung ganz oben auf der Agenda. Das Thema Mobilität hingegen spielt kaum eine Rolle. Dabei ist das oft der Zugang zur Teilhabe.
Dienstag, 09.01.2024, 0:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.01.2024, 8:22 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Um Migranten die Integration in ihrer neuen Heimat zu erleichtern, bedarf es niederschwelligen Mobilitätsangeboten. Öffentlicher Nahverkehr spielt hier ebenso eine Rolle wie die Nutzung von Fahrzeugen. Ein Punkt, der nicht nur Herausforderungen mit sich bringt, sondern vielerorts zu stark unterschätzt wird. Es reicht nicht aus, sprachliche Barriere zu reduzieren und Arbeitsangebote zu ermöglichen. Eine flexible und selbstständige Mobilität ist ein wichtiger Bestandteil, um Migranten in die soziale Gesellschaft einzubinden.
Mobilität mit dem eigenen Auto – für Migranten ein schwer zu erreichendes Ziel
Das eigene Auto ist der Schlüsselfaktor für flexible Mobilität. Obwohl die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland gut ausgebaut ist, gibt es Begrenzungen. Mit dem eigenen Fahrzeug erweitert sich das Spektrum möglicher Jobs, Fahrten lassen sich unabhängig von Streiks und Sprachbarrieren realisieren.
Die Beschaffung eines eigenen Fahrzeugs ist maßgeblich von den finanziellen Mitteln abhängig. Der niederschwellige Zugang zu einer Autofinanzierung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Den Banken in Deutschland ist die Staatsbürgerschaft weniger wichtig, wie die Ausfallrisiken ihrer Kredite. Bonitätsprüfungen gehören zu den Standards im Land, hiervon sind Migranten nicht ausgenommen. Das Grundgesetz stellt sicher, dass die Herkunft eines Antragsstellers keine Rolle spielen darf. Es herrscht der Grundsatz der Gleichberechtigung. Ein Aufenthaltstitel ist allerdings Grundvoraussetzung, um einen erfolgreichen Antrag auf eine Finanzierung bei der Bank bzw. beim Kreditvermittler zu stellen.
Autofinanzierung für Migranten – Voraussetzungen und Schritte
Das Auto ist der Hauptgrund für Deutsche, warum sie einen Kredit aufnehmen. Während die Deutschen klare Vorgaben haben, stehen Migranten oft vor Hürden. Sie kennen Kreditsysteme aus der Heimat anders, sind andere Bedingungen gewohnt. Um in Deutschland eine Finanzierung zu nutzen, müssen folgende Vorgaben erfüllt sein:
- Regelmäßiges Einkommen (Sozialleistungen sind nicht ausreichend)
- Konto und festen Wohnsitz in Deutschland
- Mindestalter 18 Jahre
- Bonität
Ausländer ohne festen Wohnsitz in Deutschland haben keine Möglichkeit, sich auf Kreditbasis im Land ein Auto zu kaufen. Schwierigkeiten kommen bei einem befristeten Aufenthaltstitel auf den Kreditnehmer zu. Theoretisch ist es möglich, einen Kredit zu beantragen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Laufzeit der Finanzierung die Dauer des erlaubten Aufenthalts nicht überschreitet. Kommt es allerdings zu einem Zahlungsausfall und der Kreditnehmer verlässt das Land, hat die Bank Schwierigkeiten ihre Ausstände einzutreiben. So ist es in der Praxis eher wahrscheinlich, dass eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorausgesetzt wird.
Sprachliche Barrieren durch Onlinefunktion überwinden – mit Übersetzung
Das direkte Gespräch mit dem Banksachbearbeiter scheitert nicht selten an sprachlichen Barrieren. Exaktes Sprachverständnis ist bei Vertragsabschlüssen aber von zentraler Wichtigkeit, um die Bedeutung des Kredits und den damit verbundenen Pflichten zu begreifen. In Deutschland gibt es generell die Möglichkeit, einen Kredit übers Internet aufzunehmen. Zwar sind die meisten Angebote in deutscher Sprache formuliert, sie lassen sich aber mithilfe automatischer Übersetzungssysteme in die jeweilige Landessprache übersetzen. Das erleichtert das Verständnis und gibt die Möglichkeit, ein optimales Angebot für die eigene Autofinanzierung zu erhalten.
Ermessensentscheidung – nicht jeder Kreditantrag wird bewilligt
Unabhängig von Nationalität und Herkunft ist die Vergabe eines Kredits durch die Bank immer eine Ermessensentscheidung. Migranten mit einem Daueraufenthaltstitel dürfen sich darauf verlassen, dass sie von Banken gleichgestellt mit deutschen Kunden behandelt werden. Sind die Grundvoraussetzungen erfüllt, spielt das Ausfallrisiko eine wichtige Rolle. Die Bonität wird hierzulande in verschiedenen Stufen ermittelt. Ein Merkmal ist der Schufa-Status, dem vorhandene Altschulden und Zahlungsausfälle zu entnehmen sind. Fehlende Schufa-Einträge sind auf der „Haben-Seite“ für den Erfolg zu verzeichnen.
Ebenfalls bedeutsam sind Art und Höhe des monatlichen Einkommens. Während Sozialleistungen in der Regel nicht anerkannt werden, sind feste Arbeitsverträge ein gutes Argument für einen erfolgreichen Kreditantrag. Auch an dieser Stelle sind Migranten und Deutsche gleichgestellt. Bürgergeldempfänger aus Deutschland erhalten bei Banken und Kreditvermittler aufgrund der Ausfallsicherheit ebenfalls keine Kredite.
Generell ist die Autofinanzierung chancenreicher für Migranten als die Aufnahme eines ungebundenen Kredits. Wird das Geld in ein gezieltes Projekt (Auto) investiert, hat die Bank eine zusätzliche Sicherheit. Sie fordert die Hinterlegung des Kfz-Briefs und kann bei Zahlungsausfällen von ihrem Besitzrecht Gebrauch machen. Dadurch verringert sich die Gefahr, dass der Kreditkunde in Zahlungsrückstand gerät.
Voraussetzung Führerschein – welche Chancen Migranten in Deutschland haben
Um überhaupt auf deutschen Straßen mit dem Auto zu fahren, ist der Besitz eines gültigen Führerscheins unverzichtbar. Die Bedeutung geht weit über die eigene Mobilität hinaus. Ein anerkannter Führerschein ermöglicht Migranten die Annahme von Berufen, für die eine solche Lizenz erforderlich ist. Hier ist an Kurierfahrten zu denken, aber auch an Jobs in der mobilen Pflege, im Taxi- und Transportwesen. Der Führerschein ist neben dem eigenen Auto ein wichtiges Merkmal der Mobilität für Migranten.
Die großzügige Anerkennungspolitik innerhalb der EU macht es Geflüchteten und Neuankömmlingen aus EU-Ländern einfach. Das Dokument wird in Deutschland anerkannt und erfordert keine weiteren Maßnahmen. Stammt die Fahrerlaubnis allerdings aus einem Drittland (außerhalb der EU), hat der Führerschein eine maximale Nutzungserlaubnis von einem halben Jahr. Innerhalb dieser Zeit haben Migranten die Chance, ihren Führerschein umzuschreiben oder ihn bei den deutschen Behörden anerkennen zu lassen. Problem dabei ist, dass dies nicht nahtlos funktioniert, sondern eine Fahrprüfung erforderlich ist. Diese ist mit Kosten verbunden, die nur unter bestimmten Umständen von Arbeitsämtern und Behörden getragen werden.
Wer nach Deutschland migriert und noch nicht im Besitz eines Führerscheins ist, hat die Möglichkeit ihn an einer Fahrschule zu absolvieren. Hier stellt sich die sprachliche Herausforderung in den Mittelpunkt des Geschehens. Theorieunterricht wird primär in deutscher Sprache angeboten, lediglich in Großstädten steigt das Angebot mehrsprachiger Fahrschulen stetig an. Die Prüfung selbst lässt sich dank sprachlicher Übersetzungen im Multiple-Choice-Verfahren durchführen.
Der öffentliche Nahverkehr – vorhanden, aber mit Tücken versehen
Selbst kleinere Örtchen und Dörfer sind an ein öffentliches Verkehrsnetz angewiesen und bieten der Bevölkerung Transportmöglichkeiten zwischen einzelnen Städten. Genutzt werden dürfen diese ausschließlich mit einem gültigen Ticket, Sozialtickets erleichtern Migranten die kostengünstige Nutzung. Menschen, die hierzulande nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz finanziert werden, erhalten ihr soziales Ticket über das Jobcenter oder die Arbeitsagentur. Entscheidend ist, dass dieses Ticket noch keine Fahrerlaubnis darstellt. Hier droht Verwechslungsgefahr. Der Besitz eines Sozialtickets ermächtigt Migranten lediglich zum Erwerb einer vergünstigten Fahrkarte.
Wichtig zu wissen: Die erworbene Fahrkarte ist nur dann gültig, wenn Aufenthaltserlaubnis und Sozialticket bei einer Kontrolle mit vorgezeigt werden.
Mangelnde Aufklärung kann hier für Migranten unnötige Hürden bedeuten. Wird eine Person mit „Schwarzfahren“ erwischt, erheben Bahn- oder Busgesellschaft das erhöhte Beförderungsentgelt (60 Euro). Kann innerhalb einer Woche das vorhandene Ticket nachgewiesen werden, reduziert sich die Gebühr. Problematisch daran ist, dass dieses Geld bei frisch migrierten Menschen oft noch gar nicht vorhanden ist! Hier drohen bereits finanzielle Einbußen, bevor die Integration überhaupt erfolgreich gelungen ist.
Für Deutsche normal, für Migranten fremd – die Unterschiede in der Mobilität
Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, kennen das Mobilitätssystem oft seit frühester Kindheit. Für sie scheint es unvorstellbar, dass jemand sein Fahrticket im Bus versehentlich nicht entwertet. Migranten, die spät nach Deutschland gekommen sind, kennen andere Voraussetzungen aus ihrer Heimat. Öffentlichen Nahverkehr gibt es auch im Ausland, die Bedingungen sind aber oft anders. Einige Grundlagen, die sehr spezifisch für Deutschland sind, gilt es zu erklären:
- Entwertung von Tickets: Dem Automaten entnommene Einzelfahrkarten sind entwertet, Sammelfahrscheine hingegen nicht. Entwerter-Automaten stehen häufig nicht am Bahnhof, sondern befinden sich direkt im Bus.
- Kein Ticketverkauf in der Bahn: Bevor der Fahrgast in ein öffentliches Fahrzeug einsteigt, muss er ein Ticket besitzen. Es erfolgt weder in Bahnen noch Bussen ein direkter Verkauf im Fahrzeug. Das war nicht immer so, auch in Deutschland gab es lange die Möglichkeit, beim Schaffner direkt ein Ticket zu lösen.
- Fahrpreise richten sich nach Tarifzonen: Schon für deutsche Muttersprachler sind die Tarifzonen eine Herausforderung, für sprachfremde Menschen sind sie schlicht nicht verständlich. Es fehlen Übersetzungen und so kann es enorme Schwierigkeiten beim Erwerb der richtigen Fahrkarte geben.
Mobilität für Migranten unverzichtbar – mehr Freiheit durch Auto, Bus und Bahn
Jeder Urlauber kennt das Gefühl der Unsicherheit, wenn im Urlaubsland fremdsprachiger ÖPNV genutzt werden soll. Sämtliche Hinweise sind in fremden Sprachen verfasst, kein Mensch scheint der eigenen Sprache mächtig zu sein und kann Auskunft geben. Die Angst vor solchen Hürden kann lähmen und dazu beitragen, den Aktivitätsradius zu begrenzen. Im Sinne einer sozialen Migration ist es für Bürger aus dem Ausland entscheidend, dass sie sich in ihrer neuen Heimat frei und unabhängig fortbewegen können. Die Bereitstellung von Sozialtickets ist eine gute Entscheidung, reicht aber oft nicht aus. Auch die niederschwellige Verfügbarkeit von verständlichen Fahrplänen und Erklärungen zur Nutzung ist wichtig, um den Einstieg in die öffentliche Mobilität zu erleichtern.
Das eigene Fahrzeug ist aus Sicht der Integration eine bedeutsame Chance, um hierzulande Fuß zu fassen. Viele Jobangebote richten sich an Führerscheininhaber. Fahrdienste im Kurier- und Lieferdienst sind sehr gefragt, ein Führerschein und optimalerweise ein eigenes Auto sind hier Grundvoraussetzung. Alternativ zum Auto ist das Fahrrad in Deutschland ein Thema. An dieser Stelle darf aber nicht vergessen werden, dass längst nicht in jedem Land Fahrradfahren zu den Standards gehört. Es gibt neuzugezogene Bürger, die des Fahrradfahrens nicht mächtig sind und hier zunächst Hilfe benötigen. An der Stelle fehlen Institutionen, die Fahrtrainings anbieten und Migranten so den Schritt in die Mobilität per Fahrrad ermöglichen.
Wird der Radius neuer Menschen in Deutschland eingeschränkt, reduziert das die Möglichkeiten für eine gelungene soziale Migration. Allein die Teilnahme an Fortbildungen, Sprachkursen oder Angeboten der Jobcenter ist oft an Mobilität gebunden. Ein Faktor, der bei der Planung von Integrationshilfen nicht in Vergessenheit geraten darf. (em) Wirtschaft
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