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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Auf’s Maul (geschaut)

Warum so vielen Menschen zu uns wollen? Na klar, die kommen eh nur her, weil wir hier die Dinge haben, die die dort nicht haben: Frieden, Freiheit, Zahnersatz - ein paar Anti-Pull-Faktoren haben wir natürlich auch.

Von Dienstag, 03.10.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.10.2023, 11:43 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als zu Beginn des russischen Ukraine-Feldzugs vermehrt Menschen über Belarus ins vereinte Europa kamen, wurde der dortige Machthaber noch dafür verflucht, dass er sich traute, die europäische Menschenrechtsheuchelei so dreist und offen zur Schau zu stellen: Da wagte es doch glatt einer von den Bösen, uns, den Guten, Menschen, die dringend Hilfe benötigten, vor die Tür zu stellen. Und das alles nur, damit wir diese Menschen ohne Not wieder zurück in die Wälder prügelten und dort erfrieren ließen.

Da stellte sich doch dieser Diktator wirklich hin und zeigte: „Völker der Welt, schaut auf diese Grenze. Schaut auf diese EU. Das ist es, was sie meinen, wenn sie von Menschenrechten reden, wenn sie von Asylrecht reden. Es geht gar nicht um Menschen, die Menschen lassen sie im Wald verhungern und erfrieren, erbärmlich verrecken, das ist alles nur PR!“ – ein Affront!

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Und wir konnten nichts tun, außer sie dort dann wirklich verrecken zu lassen. Sonst hätten wir uns ja an unseren Taten messen, mit anderen Worten: erpressen lassen. Wir waren machtlos, konnten sie nur tatenlos zurück in den Wald prügeln, reglos zusehen, wie sie starben. Von Asyltourismus faselte damals schon der Gauland für privat Zahnversicherte, Friedrich Merz.

„Der Fritz, dieser alte Fuchs, weiß schließlich: Wenn wir Deutschland in Syrien verwandeln, dann will kein Syrer mehr hierher flüchten.“

Aber heute ziehen wir endlich Konsequenzen. Denn trotz der Pushbacks, trotz der Verhungerten, Versklavten, Vergewaltigten, der Ertrunkenen, Erfrorenen und Erstickten, kommen ja immer noch Menschen nach Deutschland. Und solange die AfD unwidersprochen gegen alles Ausländische hetzen kann, haben Grüne, Sozialdemokraten und Liberale wieder gar keine Wahl, als Deutschland noch weiter abzuschotten.

Mehr noch: Weil in Hessen Wahlen anstehen und Hessen im Ranking der rechtesten Bundesländer seit jeher irgendwo zwischen Thüringen und Sachsen verortet ist, derweil die Bundesinnenministerin lieber dort Ministerpräsidentin wäre als hier Bundesinnenministerin, werden jetzt endlich einmal andere Saiten aufgezogen: Wenn die EU ihre Grenzen nicht dicht bekommt, weil ausgerechnet die Italiener bremsen, dann kümmern wir uns eben selbst darum und schicken Uniformierte an die innereuropäische Grenze.

Dieses ganze gut ausgebildete Gesocks, das für viel Geld aus dem Krieg hierherkommt und nicht einmal seine Abschlusszeugnisse dabeihat, um nachzuweisen, dass es neben der Hochschulreife auch einen Mittelschulabschluss hat, soll schließlich nicht glauben, dass es bei uns hier als Mensch durchgeht oder sogar entsprechende Rechte in Anspruch nehmen könnte. Da hat die Ampel den Daumen drauf.

„Machen wir unser Land selbst kaputt, damit der Syrer uns diese Arbeit nicht auch noch wegnehmen kann.“

Überhaupt, so hat der AfD-Merz erst letzte Woche groß verkündet – die kommen hier ja eh nur her, weil wir hier die Dinge haben, die die dort nicht haben: Frieden, Freiheit, Zahnersatz! Für die im Richtungsstreit runderneuerte CDU sind das nur noch reine „Pull-Faktoren“, die beseitigt werden müssen, damit kein Ausländer mehr sie ausnutzen kann. Der Fritz, dieser alte Fuchs, weiß schließlich: Wenn wir Deutschland in Syrien verwandeln, dann will kein Syrer mehr hierher flüchten. Ist ja klar: Syrien können er und sie dann ja auch zu Hause haben. Und wie ließe sich das schneller erreichen, als mit der AfD, die bereits fleißig den öffentlichen Frieden stört und allzu oft gar nicht mal so heimlich vom Bürgerkrieg träumt?

Von einem liebgewonnenen Mantra, das sie sich mit der AfD teilt, müsste sich die Union dann allerdings erst einmal verabschieden: „Die kommen hierher, um unser Land kaputtzumachen!“ – das will man ja offenbar nun selbst erledigen. Ich sichere mir deshalb schonmal den Alternativslogan für (Fritz‘) Deutschland: „Machen wir unser Land selbst kaputt, damit der Syrer uns diese Arbeit nicht auch noch wegnehmen kann!“ Zugegeben, ganz so griffig ist er nicht, aber „Alles für Deutschland“ (kurz: AfD – Zufall?) wird man sich zur nächsten Bundestagswahl wohl noch nicht trauen.

War sonst noch was? Achja: Die Tagesschau verkündete, ein Polizist solle Dienstgeheimnisse an rechte Kreise verraten haben, scheint also den Eindruck erwecken zu wollen, der Polizist beziehungsweise die Polizei als Ganzes seien nicht selbst Teil dieser rechten Kreise. Ein staatstragendes Narrativ, dass die Wirklichkeit so leider nicht bestätigen kann: Kaum eine Woche vergeht doch noch, in denen nicht ein Polizist als Teil rechtsextremer Gruppierungen, Reichsbürger, verfassungsfeindlicher Prepper auftritt oder in einer neonazistischen Chatgruppe auffliegt, ganz zu schweigen von all den rassistischen Kleinigkeiten, die Millionen Menschen in diesem Lande Tag für Tag ertragen müssen und die es nicht in die Zeitung oder auch nur zur Anzeige schaffen.

„Die Polizei ist Akteur und Verschleiernder von rechter und rassistischer Gewalt – sie ist damit selbst ein solcher rechter Kreis.“

Die Polizei ist Akteur und Verschleiernder von rechter und rassistischer Gewalt – sie ist damit selbst ein solcher rechter Kreis – und wird es bleiben, bis die hoffentlich schweigende Mehrheit innerhalb der Polizei diesem Einhalt gebietet, Mechaniken für die unabhängige Verfolgung von polizeilichem Fehlverhalten zulässt und nicht zuletzt den rein zufälligen Ausfall der Bodycams immer dann, wenn Polizisten Straftaten begehen, verhindert – mir fehlt allerdings die Fantasie, mir auszumalen, dass sich dies schon durch eine bessere technische Wartung verhindern ließe.

Ein echter Zufall ist es jedoch, dass ausgerechnet am letzten Freitag, nachdem dieser Text – für mich ungewöhnlich – schon weitgehend fertig war, Jan Böhmermann in seinem ZDF Magazin Royale zusammen mit Frag den Staat die Logs des rechtsextremen itiotentreffs veröffentlichte und an diese Enthüllungen auch diese Woche noch weiter anknüpfen will, jener Chats also, in dem Polizisten widerlichste Hassverbrechen begingen und belachten, deren Existenz und Inhalt jahrelang gedeckt wurden, deren Täter, Polizisten, die den Eid auf die Verfassung geschworen haben, bei weiterlaufendem Gehalt nun schon seit Jahren Urlaub machen dürfen.

Solange sich die vermeintlich Anständigen in der Polizei durch Schweigen zu Mittätern machen, muss man daher wohl ganz unironisch sagen: All cops are bastards – und nicht nur die. Meinung

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