Heftige Debatte
Merz-Äußerungen über Zahnbehandlung von Asylbewerbern in der Kritik
CDU-Chef Merzt löst mit Äußerungen über Zahnbehandlungen für Asylbewerber eine hitzige Debatte aus. Es hagelt Populismus-Vorwürfe von SPD, Grünen und Linkspartei. Aus den eigenen Reihen kommt zunächst Zustimmung. Doch die Gesetzeslage ist ziemlich eindeutig.
Von Jörg Ratzsch Donnerstag, 28.09.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.09.2023, 15:53 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
CDU-Chef Friedrich Merz hat mit harten Aussagen über abgelehnte Asylbewerber, die sich in Deutschland nach seinen Worten „die Zähne neu machen“ lassen scharfe Kritik und eine erneute Diskussion über seine Wortwahl ausgelöst. SPD, Grüne und Linkspartei warfen ihm Populismus vor und forderten eine Entschuldigung. Von Parteifreunden bekam er am Donnerstag zunächst Rückendeckung.
Merz: Deutsche Bürger kriegen keine Termine
Merz hatte am Mittwoch im „Welt-Talk“ des Senders Welt gesagt, bei dem es um Geflüchtete ging: „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“
Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 rund 304.000 Menschen ausreisepflichtig, davon etwa 248.000 mit einer Duldung. Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann etwa daran liegen, dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.
Die Unionsfraktion verbreitete das Video – zunächst ohne die Passage mit den Zähnen, später in der ganzen Version noch einmal – auch auf der Plattform X, vormals Twitter. „Wir müssen über die Pull-Faktoren sprechen, die hier in Deutschland wirken. Wir haben massive Faktoren, die dazu führen, dass über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz Europa nach Deutschland kommen“, sagte er demnach. Mit Pull-Faktoren meint Merz solche, die eine Sogwirkung auf die Menschen haben. Der Koalition warf er vor, nicht zu handeln. „Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land.“
Faeser: „Erbärmlicher Populismus“
Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb am Donnerstag auf X – allerdings ohne direkt auf Merz Bezug zu nehmen: „Mein klares Ziel sind Lösungen, die unser Land voranbringen – am besten gelingt uns das gemeinsam. Mit heißer Luft und Populismus wird nur die Stimmung im Land aufgeheizt.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin für die Hessen-Wahl in eineinhalb Wochen schrieb: „Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD“. Sie wies Merz‘ Aussagen als falsch zurück: Asylsuchende würden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt seien oder unter Schmerzen litten. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast forderte in der „Rheinischen Post“ eine Entschuldigung von Merz.
Zahnbehandlungen laut Gesetz kostenlos – Zahnersatz nur teilweise
Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es in Paragraf 4 zu Leistungen bei Krankheit: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Eingeschränkt wird: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“
Nach den ersten 18 Monaten des Aufenthalts (sogenannte Wartezeit) werden Asylbewerber und Geduldete von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. „Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte, mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte“, heißt es dazu auf der Homepage des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Kassen bezahlen allerdings in der Regel keine Brücken oder Kronen komplett, sondern übernehmen 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz. Der Rest muss zugezahlt werden oder wird von einer privaten Zusatzversicherung getragen.
„Dass sich Geflüchtete massenhaft in Deutschland die Zähne machen lassen, wie Friedrich Merz gesagt hat, das geht im Regelfall nicht“, sagte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, der „FAZ“. Er könne Merz‘ Aussagen nicht nachvollziehen, sagte Benz zudem der „Wirtschaftswoche“. Dass Deutsche keinen Termin bekommen, dem widersprach Benz und erklärte, dass es „keinen Zusammenhang“ gebe. Wartezeiten im ländlichen Bereich seien auf die geringe Zahnarztdichte zurückzuführen. „Wer starke Schmerzen hat, wird aber immer bevorzugt behandelt“, betonte der Zahnärztechef und warnte vor „problematischen Pauschalaussagen“. „Die derzeit übliche politische Polterei löst keine Probleme. Ich würde mich über mehr Sacharbeit in der Politik freuen“, so Benz.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang warf dem CDU-Chef vor, „ganz bewusst“ Gruppen gegeneinander auszuspielen und dabei Falschinformationen zu verbreiten. „So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt“, schrieb sie auf X. Das sei eines „Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig“. Auch der Vorsitzende der Linksfraktion Dietmar Bartsch schloss sich der Kritik an und sagte im Sender phoenix: „Man schürt Ängste, die in dieser Form überhaupt nicht da sein sollten – und das finde ich, gerade, weil es ja auch mit den Wahlen in Bayern und Hessen zu tun hat, wirklich unverantwortlich.“
Unterstützung aus den eigenen Reihen: Themen muss man ansprechen
Parteifreunde verteidigten den CDU-Chef unterdessen. „Friedrich Merz spricht das an, was die Menschen auf der Straße sprechen“, sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Chef der christdemokratischen europäischen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber (CSU) im Deutschlandfunk. „Wenn ich im Wahlkampf in Bayern unterwegs bin, sind dass die Themen, die die Leute interessiert und bewegt.“
„Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der „Rheinischen Post“: „Friedrich Merz hat Recht. Die scheinheilige Empörung aus Reihen der Ampel sagt viel darüber aus, wie mit kritischen Meinungen umgegangen wird.“ Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber seien zum Teil seit Jahren ausreisepflichtig. Dennoch könnten sie zum Nulltarif das deutsche Gesundheitssystem nutzen. Darüber müsse man diskutieren. „Dass Arzttermine auch wegen der Belastungen durch Migranten vielerorts knapper werden, ist eine Realität. Zahlreiche Kommunen bestätigen das seit Monaten. Das trifft auch auf Kita- und Schulplätze zu.“
Merz, ein Wiederholungstäter
CDU-Chef Merz war schon einige Male mit zugespitzten Wortmeldungen zur Flüchtlingsfrage angeeckt – hatte sich aber gegen Populismusvorwürfe verwahrt und davor gewarnt, heikle Themen nicht anzusprechen. „Wir müssen auch in der Lage sein, mal Probleme zu adressieren. Auch mal mit Formulierungen, die nicht jedem gefallen“, sagte er bei einem CDU-Grundsatzkonvent im Juni. Das sei nicht gleich rechts und nicht gleich rassistisch „und vor allen Dingen nicht irgendwo AfD-Sprech.“
Merz räumte als Fehler ein, im Zusammenhang mit Ukraine-Flüchtlingen von angeblichem „Sozialtourismus“ gesprochen zu haben. Zugleich betonte er bei dem CDU-Konvent im Juni: „Bei den Paschas bleibt’s.“ Nach Silvester-Krawallen in Berlin hatte der CDU-Vorsitzende auf Integrationsprobleme in Schulen hingewiesen – und darauf, dass Väter es sich verbäten, dass Lehrerinnen „ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen“. Auch damals erntete er viel Kritik.
In diesen Debatten – die auch unionsintern geführt werden – klingt auch immer wieder das Thema Kanzlerkandidatur durch und die Frage, ob Merz der Richtige ist, wenn es darum geht, Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Bundestagswahl 2025 herauszufordern. Als potenzielle Anwärter werden neben Merz auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehandelt. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht im Herbst 2025 an. (dpa/mig) Aktuell Politik
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