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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Wehret den Anfängen

In dieser Kolumne: Pudding und Politik, Bayern und Seenotrettung, Einzelfälle und Heide Park, Söders irrlichternde Ambitionen und die Bedrohung des Rechtsextremismus.

Von Montag, 07.08.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.08.2023, 8:11 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Einige Zeit ist nun vergangen, die Brandmauer, sie kokelt noch ein wenig vor sich hin und die Union ist weiter gespalten: Während die einen immer noch löschen, versuchen die anderen zunehmend verzweifelt, sie wieder zu entzünden. Es wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die Union so einiges ist, sicherlich aber nichts mit Substanz. Nirgendwo wird das deutlicher, als im nahegelegenen fremdsprachigen Ausland, wo Markus Söder gerade versucht, als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden und dabei irrlichternd von Standpunkt zu Standpunkt huscht, ohne je auch nur für einen einzigen Tag einmal an einem solchen zu verweilen.

Da sich dies für den kritischen Beobachter wie für des Markus‘ politischen Gegner schnell als der Versuch anfühlt, Pudding an eine Wand zu nageln, während der von mehreren Weißbier pro Tag intoxikierte und so denkunfähige Bayer dies für ganz große Volksnähe hält, bleibt wohl nur festzustellen: „Das Publikum verwechselt leicht den, welcher im Trüben fischt, mit dem, welcher aus der Tiefe schöpft.“ (Friedrich Nietzsche). Oder auch: „Stille Wasser sind tief“, kein Wunder also, dass der Maggus immer so laut ist. Denn: „Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.“ (Kurt Tucholsky)

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„Niemand, dem es gut geht, entscheidet, sich in ein völlig überfülltes Boot im Mittelmeer zu setzen, nur weil er oder sie mal eine Seenotrettung erleben will.“

Außerdem gibt es ja auch wichtigere Dinge als Bayern, diesen Furunkel am Arsch der Welt – und damit meine ich nicht einmal jene Studie, die wieder einmal klar aufzeigt, dass es eben nicht die Seenotrettung, sondern das Leid der Menschen in ihrer Heimat ist, die sie antreibt, diese zu verlassen, und die durch fast alle Medien geisterte. Klar: Niemand, dem es gut geht, entscheidet, sich in ein völlig überfülltes Boot im Mittelmeer zu setzen, nur weil er oder sie mal eine Seenotrettung erleben will. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand – wenn man denn einen hat – und alle anderen sind ohnehin als mündige Bürger:innen verloren.

Nein, interessanter fand ich die Geschichte, die mich auf Umwegen aus dem Heide Park in Soltau erreicht hat. Dort hatte ein Mann versucht, ein Fahrgeschäft zu besteigen, während er gleichzeitig ein T-Shirt mit der Aufschrift „Punch a Nazi“ (dt. etwa: „Verprügel nen Nazi“) trug. Für den Heide Park und seine Angestellten war das zu viel – genau – Rassismus. Was schon auf den ersten Blick seltsam erscheint, weil Nazis vieles sind, aber keine Rasse – niemand wird als Nazi geboren – wird es bei genauerer Betrachtung noch interessanter. Denn, wie die „taz“ herausgefunden hat, scheint sich jener Mitarbeiter, der das Hausverbot erteilt hatte, im Querdenker-Milieu zu bewegen, sympathisiert mit Höcke und der AfD, teilt rassistische und queerphobe Inhalte, war auch bei Veranstaltungen der reaktionären und antifeministischen „pro life“-Bewegung zugegen. Seine Chefin stößt demzufolge in ein ähnliches Horn.

„Nur fängt es halt immer mit Einzelfällen an, wenn wir davon wirklich noch sprechen wollen. Wer diesen nicht von Anfang an rigide entgegentritt, wer keine Brandmauer aufrechterhält, bestätigt die Täter in ihren Taten.“

Gut, mag mancher denken, da sind sie wieder, die berühmten Einzelfälle. Das sagt aber doch gar nichts aus, wenn da eine Gruppe von Leuten, die da nicht biodeutsch aussieht, von einem Nazi aus einem Freizeitpark geworfen wird. Nur fängt es halt immer mit Einzelfällen an, wenn wir davon wirklich noch sprechen wollen. Wer diesen nicht von Anfang an rigide entgegentritt, wer keine Brandmauer aufrechterhält, bestätigt die Täter in ihren Taten. Das gilt im Einzelnen, weil keine anderen Sicherheitsleute oder Mitarbeiter des Parks einschritten, als sich ein Nazi von einem antifaschistischen T-Shirt angegriffen fühlte, das gilt im Allgemeineren, weil der Park zwar mittlerweile das Hausverbot mit der Erklärung aufgehoben hat, dass nur die Geschäftsleitung solche Verbote aussprechen dürfe, aber bisher kein Wort davon verloren hat, ob der Sicherheitsmann oder die Sicherheitsfirma so überhaupt für den Park noch tragbar sind (offensichtlich sind sie das also), oder im ganz großen Rahmen, wenn CDU, CSU , Freie Wähler und FDP den Eindruck erwecken, dass es irgendwie normal oder akzeptabel ist, rechtsradikal oder -extrem zu sein, dass man mit derlei Parolen fischen darf und, dass man auch mit solchen Gruppen in diesem Lande legitimerweise Mehrheiten zustande bringen kann und darf.

Man ist fast versucht, einen Slogan der Rechtsextremen aufzugreifen: Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land. Wenn wir nicht aufhören, den Nazis und allen, die es werden wollen, auch nur einen Centimeter Raum zu lassen, dann werden sie sich diesen Raum nehmen und nicht mehr hergeben, bis dies nicht mehr unser Land ist.

Wehret den Anfängen. Meinung

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