Tobias Gehring, Soziolog, Flucht, Flüchtlinge, Afrika, Migazin
Tobias Gehring © privat, Zeichnung: MiGAZIN

weltwärts

Mein Egotrip ins Elend?

Vor 15 Jahren wurde der Freiwilligendienst weltwärts ins Leben gerufen. Die Kritik an dem Programm kann ich angesichts meiner Erfahrungen als früherer Freiwilliger nur bedingt teilen.

Von Dienstag, 28.02.2023, 13:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.02.2023, 13:10 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Gekommen bin ich, um in einem Straßenkinderheim mitzuhelfen. Aber am Anfang meines weltwärts-Jahres brauche erst einmal ich Hilfe. Denn ich bin neu in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, und wie diese Stadt funktioniert, ist mir zunächst unklar. Wie komme ich mit den Minibustaxis, die weder Liniennummern haben noch feste Haltestellen abklappern, von A nach B? Und wo ist dieses B, wenn ich Lebensmittel, einen Geldautomaten, ein Internetcafé suche? All das und viel mehr muss mir erklärt und gezeigt werden.

Als nach ein paar Tagen des Einlebens mein Mitfreiwilliger und ich dann erstmals in dem Kinderheim auftauchen, geht es in ähnlicher Weise weiter. Wer sind die Menschen, die hier arbeiten und leben? Wie läuft der Alltag im Heim ab? Welche Regeln gelten, wer übernimmt welche Aufgaben, und welche davon sind unsere? Das weiß ich bei meiner Ankunft nur in Grundzügen. Zu Beginn meines Freiwilligendienstes kann ich daher kaum helfen, aber dafür umso mehr lernen.

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weltwärts in der Kritik

Glaubt man Kritiker:innen des weltwärts-Programms, das mich 2012/13 für ein Jahr nach Uganda führt, lässt sich ein ähnliches Urteil über weltwärts als Ganzes fällen. Derartige Freiwilligendienste seien ein „Egotrip ins Elend“, welcher im Wesentlichen den Freiwilligen selbst nützt, schreibt die SZ 2008, im Entstehungsjahr von weltwärts. Ähnlich urteilte kürzlich ein Beitrag hier im MiGAZIN: „Wer einen Freiwilligendienst in einem Land des ,Globalen Südensʻ macht, baut keine globalen Ungleichheiten ab, sondern erweitert den eigenen Horizont, sammelt Erfahrungen und entwickelt Fähigkeiten, die sich positiv auf die eigenen Jobperspektiven auswirken. […] Freiwilligendienstleistende sind schlechte Migrant:innen.“

„Und als diese Zeit vorüber ist, räumen mein Mitfreiwilliger und ich das Feld für zwei andere junge Deutsche, die ebenso wie wir ohne einschlägige Ausbildung ankommen und wieder ganz von vorne anfangen.“

Ein schlechter Migrant, ich? So etwas hört man nicht gerne. Doch lässt man persönliche Befindlichkeiten außen vor, lassen sich für die kritischen Stimmen durchaus plausible Argumente finden. Auf der einen Seite profitiere ich immens von meinem Jahr in Uganda, indem ich meine englischen Sprachkenntnisse verbessere und an interkultureller Kompetenz, Selbstständigkeit sowie Selbst- und Weltwissen hinzugewinne. Auf der anderen Seite ist es mir zwar mit der Zeit zunehmend möglich, im Heim mitzuhelfen, etwa durch den Einkauf von Lebensmitteln oder die Mitwirkung an Freizeitaktivitäten. Aber zugleich stehen mir schon während meines Aufenthaltes die Grenzen meiner Möglichkeiten klar vor Augen. Psychologische Unterstützung für Kinder bei der Bewältigung schwieriger Lebenserfahrungen kann ich etwa ohne fachlichen Hintergrund nicht leisten. In anderen Fällen steht eine Sprachbarriere im Weg, da ein paar Heimkinder kaum Englisch sprechen und ich im Verlauf meines weltwärts-Jahres wenig von der lokalen Sprache Luganda lerne. Und als diese Zeit vorüber ist, räumen mein Mitfreiwilliger und ich das Feld für zwei andere junge Deutsche, die ebenso wie wir ohne einschlägige Ausbildung ankommen und wieder ganz von vorne anfangen.

Was auf weltwärts folgt

Betrachtet man nur die 12 Monate, die ich als Freiwilliger in Uganda verbringe, ist also recht klar, wer davon profitiert: am meisten – wenn auch keineswegs ausschließlich – ich. Doch der Fokus darauf, inwieweit ich vor Ort helfen kann und was ich für mich aus dieser Zeit mitnehme, greift letztlich zu kurz. Eine solcherart verengte Perspektive – die sich in kritischen Betrachtungen von weltwärts immer wieder findet – vernachlässigt, dass weltwärts sich weniger als Hilfs- denn als Lerndienst versteht. Und lernen soll man insbesondere auch, um sich anschließend weiter zu engagieren.

„Zahlreiche aktive Vereinsmitglieder waren einst mit weltwärts vor Ort, darunter etwa mein damaliger Mitfreiwilliger.“

Ein gutes Beispiel hierfür ist der deutsche Partnerverein des ugandischen Kinderheims, in dem ich seinerzeit meinen Freiwilligendienst absolviere. Der Verein leistet damals wie heute umfassende Unterstützung für das Heim, beispielsweise durch die Akquise von Spendenmitteln, mit denen die Miete für das Heim sowie Schulgebühren und die Verpflegung der Heimkinder bezahlt werden. Zahlreiche aktive Vereinsmitglieder waren einst mit weltwärts vor Ort, darunter etwa mein damaliger Mitfreiwilliger. So setzt er sich seit unserer Rückkehr vor bald 10 Jahren tatkräftig dafür ein, dass einige Kinder in Uganda ein Dach über dem Kopf, tägliche Mahlzeiten und Bildungschancen bekommen, anstatt auf der Straße ums Überleben kämpfen zu müssen.

Für mich wiederum ist das weltwärts-Jahr in Uganda eine entscheidende Weichenstellung hin zu einem ausgeprägten intellektuellen Engagement mit Afrika, das sich inzwischen auf Fluchtmigration innerhalb Afrikas fokussiert. Davon ausgehend bringe ich mich auf verschiedenen Wegen – u. a. durch Beiträge im MiGAZIN und durch öffentliche Workshops – in gesellschaftliche Diskurse ein, um zum Abbau negativer Stereotype über Afrika und geflüchtete Afrikaner:innen beizutragen. Ohne die prägenden Erfahrungen aus meinem Jahr in Uganda würde dies mit hoher Wahrscheinlichkeit so nicht stattfinden. Gleiches gilt für mein Engagement in einer auf Menschenrechte in Uganda spezialisierten Gruppe von Amnesty International.

Prägende Erfahrungen für mich und viele andere

„Demnach lässt sich annehmen, dass es ohne weltwärts weniger Engagement für Menschen und Länder im globalen Süden gäbe.“

Die in diesem Beitrag erörterten persönlichen Erfahrungen sind als solche natürlich subjektiv. Jedoch stehen sie im Einklang mit allgemeineren Erkenntnissen der Forschung zum Rückkehrengagement nach einem internationalen Freiwilligendienst (IFD) wie weltwärts. In einem vor wenigen Jahren veröffentlichten Überblick heißt es: „Diverse Studien bestätigen […]: Ein IFD ist für viele junge Menschen ein einschneidendes Erlebnis im Lebenslauf – es sind prägende Erfahrungen, die einen noch viele Jahre begleiten. Diese Erfahrungen wirken häufig als Motivation für weiteres Engagement.“ Genauer gesagt gehe es dabei weniger um die Motivation, sich überhaupt zu engagieren – dies tun viele Freiwillige bereits vor Dienstantritt – wohl aber um die Entscheidung, sich gerade für entwicklungspolitische Themen, mit Bezug zu Einsatzorganisation oder -land zu engagieren. Demnach lässt sich annehmen, dass es ohne weltwärts weniger Engagement für Menschen und Länder im globalen Süden gäbe. Ob angesichts dessen harsche Urteile wie „Freiwilligendienstleistende sind schlechte Migrant:innen“ oder „Freiwilligendienst ,weltwärtsʻ: gut fürs eigene Ego, sonst nichts“ angemessen sind, erscheint durchaus diskutabel. Meinung

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