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Ein Sea-Watch-Flugzeug im Einsatz im zentralen Mittelmeer © Seawatch/ Felix Weiss

Seenotrettung vor Libyen

Flugverbote verstoßen gegen internationales Recht

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages halten es für völkerrechtswidrig, dass Libyen einer privaten Rettungsorganisation Flüge über Hoher See verbietet. Die Bundesregierung schließt sich dieser Auffassung an, ändert aber nichts an dem Problem. Deshalb kann die Zivilluftfahrtorganisation der Vereinten Nationen nicht einschreiten.

Von Dienstag, 16.08.2022, 15:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.08.2022, 13:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Verbot von zivilen Flügen zur Seenotrettung im zentralen Mittelmeer durch libysche Behörden verstößt gegen internationales Recht. Dies hatten bereits die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in einer Ausarbeitung Ende Juni bekräftigt. Nun schließt sich die Bundesregierung dieser Einschätzung an. Die Forderung nach einer Genehmigung für Flüge außerhalb von staatlichem Hoheitsgebiet stehe „im Widerspruch zu dem Grundsatz der Überflugfreiheit auf Hoher See“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage die MiGAZIN vorliegt.

Gemäß dem 1944 in Chicago geschlossenen Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt beaufsichtigt die libysche Luftfahrtbehörde ein Fluginformationsgebiet (FIR), das sich außerhalb der Zwölfmeilenzone auf weite Teile des südlichen Mittelmeeres erstreckt. Vor dem Einflug müssen sich Pilot:innen bei der zivilen Flugsicherung (Civil Aviation Authority – CAA) anmelden und ihr Ziel durchgeben. Das zentrale Mittelmeer gilt jedoch als unkontrollierter Luftraum, für den eine solche Meldung nicht erforderlich ist. Die Luftfahrtbehörden dürfen dort auch keine Restriktionen verhängen, sondern allenfalls Hinweise und Informationen geben, heißt es in der Bewertung des Bundestages.

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Keine Hoheitsgewalt außerhalb des Hoheitsgebietes

Im März dieses Jahres machte die in Deutschland ansässige Seenotrettungsorganisation Seawatch bekannt, dass Libyen ihren Flugzeugen den Aufenthalt über seiner Seenotrettungszone verbietet. Seawatch’s Flugzeuge Seabird und Seabird 2 werden von der Schweizer Humanitarian Pilots Initiative betrieben. Die libysche Luftfahrtbehörde behauptet, deren Pilot:innen müssten zuvor eine Fluggenehmigung (Prior Permission Required – PPR) beantragen. Das davon betroffene Fluginformationsgebiet entspricht exakt der Seenotrettungszone, für die Libyen zuständig ist. Damit ist klar dass die Maßnahme dazu dient, die Flieger aus jener Region fernzuhalten die von vielen Geflüchteten auf dem Weg nach Europa durchquert wird.

Die Forderung nach einer solchen Genehmigung halten die Sachverständigen des Bundestages für völkerrechtswidrig. Da die Flugzeuge der Nichtregierungsorganisation kein libysches Hoheitsgebiet überfliegen, kann sich die Regierung auch nicht auf die staatliche Lufthoheit gemäß dem Chicagoer Abkommen berufen. Die Hohe See befindet sich außerhalb aller Hoheitsgewässer. Der darüber befindliche Luftraum stehe daher der Benutzung durch Luftfahrzeuge aller Staaten offen.

Eine „Freiheit des Überflugs“ ist auch dem Chicagoer Abkommen, dessen Umsetzung von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) überwacht wird, geregelt. Das 38 Jahre später geschlossene Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bezieht sich auf diese Übereinkunft und bekräftigt die „Freiheit des Überflugs“. Beide Abkommen werden also durch die libysche Regierung verletzt.

Keine Probleme für Frontex-Flugzeuge

2015 hat die Rettungsorganisation Seawatch mithilfe von Spenden ihr erstes Schiff beschafft, zwei Jahre später folgten Flugzeuge zur Entdeckung von Seenotfällen aus der Luft. Zehntausende Menschen auf dem Weg nach Europa haben Seawatch und andere Organisationen seitdem aus Seenot gerettet und in sichere Häfen gebracht.

Seit ihrem Bestehen versuchen Behörden der Mittelmeeranrainer, aber auch der Flaggenstaaten Deutschland oder die Niederlande diese Aktivitäten zu behindern. Schiffe werden wegen Nichtigkeiten festgesetzt oder die Besatzung mit jahrelangen Strafverfahren behelligt.

Gegenwind kommt auch von Frontex. Die Grenzagentur der Europäischen Union führt selbst verschiedene Missionen im Mittelmeer durch, darunter Themis im Dreieck zwischen Italien, Malta und Libyen. Allerdings hat Frontex ihre Schiffe weitgehend abgezogen und rettet seit Jahren immer weniger Menschen in Seenot. Nach Beschluss einer neuen Verordnung durch die EU-Mitgliedstaaten und das Parlament begann Frontex ab 2016 mit dem Aufbau einer eigenen Luftüberwachung, die vorwiegend über der libyschen Seenotrettungszone im Einsatz ist und dort offenbar keine Probleme hat.

Bundespolizei zu Besuch in Libyen

Sichtungen von Geflüchteten durch Frontex werden – mitunter auf direktem Weg über WhatsApp – an die libysche Küstenwache gemeldet, damit diese die Menschen nach Nordafrika zurückholt. Hierzu kann sich Frontex auf eine Infrastruktur in Tripolis verlassen, die Italien mit EU-Geldern in Libyen aufbaut. 2018 haben libysche Behörden schließlich ihre Zuständigkeit für eine Seenotrettungszone im südlichen zentralen Mittelmeer erklärt. Eine hierfür notwendige und von der EU bezahlte Leitstelle, die von See- und Luftfahrtbehörden gemeinsam betrieben werden könnte, existiert aber möglicherweise gar nicht.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage zu den Flugverboten für die private Seenotrettung bleibt die Bundesregierung einsilbig. Viele Fragen werden gar nicht oder nur mit Geheimhaltungsstufe beantwortet. Jedoch spreche sich das Bundesinnenministerium gegenüber der libyschen Regierung „gegen einschränkende Verwaltungsregeln aus“, darunter auch der Überflugfreiheit. Wann und bei welchen Gelegenheiten eine solche Kritik erfolgt, schreibt das Ministerium aber nicht.

In den vergangenen sechs Wochen hat der für die Region zuständige Verbindungsbeamte der Bundespolizei der libyschen Seepolizei und dem libyschen Innenministerium Besuche abgestattet. Deren Zweck habe darin gelegen, „weitere Erkenntnisse zu Zustand und Aufgaben der libyschen Küstenwache zu erhalten“, schreibt das deutsche Innenministerium in der Antwort auf eine weitere parlamentarische Frage. Zusammen mit der militärischen Küstenwache ist die Seepolizei für den Betrieb einer libyschen Seenotleitstelle zuständig.

ICAO kann Verstöße gegen Chicagoer Abkommen prüfen

Wenn sich die Bundesregierung wirklich für die Seenotretter:innen aus der Luft einsetzten wollte, könnte sie die Verletzung der „Freiheit des Überflugs“ vor der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation thematisieren. Denn nur die ICAO-Vertragsstaaten können mögliche Verstöße beim Rat anzeigen. Als oberstes Organ der Zivilluftfahrtorganisation muss der Rat die Angelegenheit prüfen und Empfehlungen oder Beschlüsse zur Einhaltung des Chicagoer Abkommens aussprechen.

Wenn die Regierung in Tripolis anschließend weiter auf dem Flugverbot besteht, könnte sich Deutschland mit Libyen in ein Streitbeilegungsverfahren über die Auslegung und Anwendung des Abkommens beim Rat der Zivilluftfahrtorganisation begeben. Allerdings müsste sich hieran auch die Schweiz beteiligen, denn die Flugzeuge der Humanitarian Pilots Initiative fliegen unter schweizerischem Hoheitszeichen.

„Mehr als scheinheilige Beteuerungen, sich gegen Libyens defacto Flugverbot für Rettungsflüge auszusprechen, braucht es konkrete Taten“, fordert die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. Als Mitglied der Linksfraktion hatte Bünger das Bundestagsgutachten bestellt und die Kleine Anfrage eingereicht. Diese geforderten Taten der Bundesregierung sind allerdings nicht zu erwarten. Erst kürzlich bekräftigte das Auswärtige Amt gegenüber dem Fernsehmagazin Monitor die Verantwortung Libyens für die libysche Such- und Rettungszone und damit auch die Verschleppung von Geflüchteten aus internationalen Gewässern nach Libyen. (mm/mig)

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