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Sven Bensmann, Migazin, Kolumne, Bensmann, Sven
MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Des Pudels Kern

Wenn es so etwas wie eine „abendländische Kultur“ gibt, dann ist sie vor allem eine Kultur der Doppelmoral: Für uns gilt der eine Standard, für alle anderen ein anderer.

Von Montag, 27.06.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.06.2022, 13:39 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Tote in Butscha? Auf direkten Befehl Putins. Das schlimmste Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg und ein Fall fürs Kriegsverbrechertribunal. Tote bei Kundus? Ein Missverständnis auf Befehl Oberst Kleins. War da was?

China baut einen Festungsring im südchinesischen Meer gegen die USA, die das Meer wie ihren Privatbesitz führt? Ein Menschheitsverbrechen. Litauen riegelt die russische Enklave Kaliningrad gegen die Lieferung ziviler Güter aus Russland ab? Wat mutt, dat mutt.

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Ähnliches erkenne ich auch in der Haltung vieler Deutscher zum Urteil über das Abtreibungsgesetz in den USA, das das Recht auf Abtreibung kassiert hat und dieses praktisch durch eine Gebärpflicht ersetzte: rückständig, mittelalterlich, frauenfeindlich, sexistisch, irgendwie arabisch.

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In Deutschland waren, sind und bleiben Abtreibungen derweil aber durchgehend illegal – ein Rechtszustand, älter als die Nazis. Mühsam haben Progressive in Deutschland erkämpfen können, dass diese Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen zumindest nicht mehr strafbewehrt sind, erst seit letzter Woche dürfen Ärzte überhaupt öffentlich darauf hinweisen, dass sie solche Eingriffe anbieten – wenn sie es denn tun -, weil selbsternannte Lebensschützer stets behaupteten, in der Folge werde es ganzseitige Anzeigen von Abtreibungsärzten in Frauenzeitschriften geben, die zwei Föten zum Preis von einem abtreiben, zumindest aber Stempelkarten, mit denen es zur sechsten Abtreibung Fritten und eine große Cola gratis dazugibt.

„Die USA mögen abtreibungsbezogen gerade in das Mittelalter zurückfallen: Deutschland ist nie in der Neuzeit angekommen.“

Und neben der juristischen Behinderung von Abtreibungen gibt es dann auch noch eine weitere, institutionelle Behinderung: Die medizinische Ausbildung findet praktisch nicht statt, Abtreibungsärzte sterben in Deutschland aus. Die USA mögen abtreibungsbezogen gerade in das Mittelalter zurückfallen: Deutschland ist nie in der Neuzeit angekommen.

Auffällig ist diese Divergenz zuletzt auch einmal mehr im Umgang mit dem Antisemitismus geworden. So hängt – und darf weiter hängen – seit Jahrhunderten an einer Kirche in Wittenberg – und nicht nur dort – ein unzweideutig volksverhetzendes Relief, das den seinerseits sehr problematischen Spitznamen „Judensau“ erhalten hat: Nicht nur das Relief an sich ist schließlich antisemitisch, auch wer dessen Proposition durch seinen Spitznamen repetiert und seiner- (oder ihrer-)seits den Begriff „J——-“ aufgreift, macht sich diesen Antisemitismus stückweise zu eigen.

Aus genau diesem Grund gibt es mittlerweile einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens, eben nicht mehr den hochgradig rassistisch belasteten Begriff „N—-“ (oder „N—–“) zu benutzen, sondern eben ominös vom „N-Wort“ zu sprechen. Wer „N—–“ sagt, meint nämlich üblicherweise genau das – inklusive all der dem Begriff inhärenten Verachtung -, um dann anschließend vielleicht noch zu lamentieren, dass man in diesem Lande ja offenbar überhaupt nichts Volksverhetzendes mehr unwidersprochen in die Öffentlichkeit koten darf (oder so ähnlich).

Dass es für alle Juden in diesem Lande – und sicher auch eine größere Menge andere Deutscher, die nur einfach anständige Menschen sind – ähnlich beleidigend ist, immer wieder mit diesem „J-Wort“ konfrontiert zu werden, scheint jedoch kaum jemanden zu stören. Man setzt es einfach ein paar Tüddelchen davor und dahinter, und schon ist es „okay“.

„Höchstrichterlich würde kürzlich erneut festgestellt, dass es absolut in Ordnung geht, das Relief an Ort und Stelle zu lassen, wenn es nur auch eine unauffällig dahingerotzte Distanzierung gibt.“

Ganz im Gegenteil sogar: Höchstrichterlich würde kürzlich erneut festgestellt, dass es absolut in Ordnung geht, das Relief an Ort und Stelle zu lassen, wenn es nur auch eine unauffällig dahingerotzte Distanzierung gibt. Man stelle sich nur einmal vor, Björn Höcke träte auf dem nächsten AfD-Parteitag mit Hakenkreuzbinde und SS-Stahlhelm auf, an diesem eine kleine Plakette angebracht, dass er sich von der Art und Weise, wie die Nazis die Endlösung betrieben haben, distanziere. Oder, dass jemand das zuständige Gericht in US-amerikanischer Tradition sturmreif schösse, um anschließend halböffentlich zu bedauern, dass man mit einer solchen Vehemenz all den Muff von tausend Jahren unter den richterlichen Talaren habe durchlüften müssen. Mir fehlt jedenfalls die Fantasie dafür, dass – außer eben im Falle eines solchen christlich-antijudaischen Antisemitismus – irgendjemand Verständnis hätte.

Auf der documenta fifteen wurde diese These denn auch weiter erhärtet, als ein indonesisches Künstlerkollektiv ihrerseits Juden in einem Werk mit jenen unreinen Paarhufern verglichen hatte: Scheinbar, weil es sich um Ausländer handelte und uns unsere Doppelstandards weiter treue Dienste leisten, reichte eine kleine Plakette hier jedenfalls nicht aus. Das Kunstwerk musste ersatzlos entfernt werden, die Künstler wurden geächtet – und die documenta geht weiter.

Es mag natürlich auch erklären, warum seinerzeit Donald Trump Hass und Hetze über den Äther jagen durfte, von Twitter lediglich durch ein kleines (i) ergänzt, als Hinweis, dass es sich doch eigentlich eben um genau das handelte: Hass und Hetze. Wladimir Putin werden derweil sämtliche Wege in deutsche Hirne abgeschnitten, weil es sich bei all seinen Aussagen ja eben doch nur um Hass und Hetze handelt, das geht gar nicht. Ebenso erklärt es, warum Ukrainer unwidersprochen in deutsche Kameras und grinsende deutsche Reportergesichter lachen dürfen, dass man ausnahmslos „alle Russen“ umbringen müsse, und zwar auf die „grausamste Art und Weise“.

Ein solches Volk gehört vielleicht doch einmal ordentlich entnazifiziert, sicher aber nicht in die EU. Mich erinnert das alles auch ein wenig an die populäre DC-Comicfigur „Peacemaker“, die da sinngemäß sagte: „Ich liebe den Frieden, ich würde alles tun für den Frieden. Und es ist mir völlig egal, wieviel Frauen und Kinder ich abschlachten muss, um ihn zu erreichen.“

„Und das ist das westliche Weltbild in a nutshell: Wir sind die Guten, deshalb dürfen wir Juden ‚J——-‚ nennen, Abtreibungen illegalisieren, … und natürlich anderen erklären, dass sie ebendas nicht tun dürfen.“

Und das ist das westliche Weltbild in a nutshell: Wir sind die Guten, deshalb dürfen wir Juden „J——-“ nennen, Abtreibungen illegalisieren, Hellfire-Raketen in Wohngebiete schießen und natürlich anderen erklären, dass sie ebendas nicht tun dürfen. Und zwar schon seit Jahrzehnten – vor 50 Jahren noch von der Sowjetunion immer mal wieder darauf hingewiesen, die fragte: „Sicher, das is schlimm, aber what about eure eigene Scheiße?“

Und statt sich an die eigene Nase zu fassen und sich ernsthaft einmal die Frage zu stellen: „Ja, what eigentlich about unsere eigene Scheiße?“, hat der Westen einfach den Begriff „Whataboutism“ erfunden, der jede redliche Kritik zur Propaganda desavouiert und eine Notwendigkeit, das eigene Handeln zu hinterfragen, hintertreibt.

Ob diese Doppelstandards nun zur westlichen Arroganz und Selbstherrlichkeit geführt haben, die Europa und den USA immer wieder unterstellt werden, oder, ob die Arroganz und Selbstherrlichkeit überhaupt erst dazu geführt haben, dass man sich die eigene Moral so verbiegen konnte, wird sich vielleicht nie aufklären lassen. Sollte sich China diese Eigenschaften zu eigen machen, könnte es hier in Zukunft aber extrem ungemütlich werden. Meinung

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  1. Dennis Timo Grau sagt:

    Hallo Sven,

    dein dir von mir unterstelltes Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel!“, wird dir im Unterschied zu „whataboutism“ vielleicht mal einleichten.

    Detailliert möchte ich auf deine Behauptung eingehen, in der BRD würde eine Ausbildung in „Abtreibung“ nicht stattfinden.
    Völlig richtig ist, dass dies zu Universitätszeiten nicht gelehrt wird.
    Als Fachärzt*in in der Gynäkologie ist man jedoch zwangsweise damit konfrontiert, im Uterus verstorbene Föten bis zu einem gewissen Zeitpunkt der Schwangerschaft chirurgisch zu entfernen.
    Dies entspricht dem chirurgischen Vorgang einer Abtreibung.
    Auch medikamentöse Abtreibung mit anschließender Ausschabung sind gängige, erlernte Methoden einer Gynäkologin/ e. Gynäkologen.
    Das Gynäkolog*innen keine Abtreibungen vornehmen können, ist eine Mär, die du verbreitest.
    Der chirurgischen Maßnahme folgt die Totgeburt.

    Ich bin für Abtreibung, gegen chauvinistische oder religiöse Bevormundung von Frauen.
    Allerdings lässt mich dein Text dazu kotzen.

    Ich hielt als OP-Pfleger schon 12 -24-wöchige tote Föten in den Händen.
    Kein Wurm-, Frosch-, Katze-, Hund-like, sondern ein sehr kleiner Mensch, welcher von den Eltern z.T. auch beerdigt wird.

    Abtreibung ist keine Serviceleistung, sondern belastet seelisch in erster Linie die Eltern, aber auch das beteiligte medizinische Personal sehr.
    Alle Möglichkeiten Abtreibungen zu verhindern, wie Aufklärung gegen ungewollte Schwangerschaft sollten im Fokus einer Diskussion hierzu stehen.
    Alle schrecklich erworbenen Schwangerschaften, wie Vergewaltigung sind zu berücksichtigen.

    Dein south-park-like oder perdita-durango-like Text dazu ist einfach nur zum Kotzen!
    Der Zweck heiligt nicht die Mittel!
    Wären hier mehr Zeichen möglich, würde ich jeden deiner Texte in dieser Art kommentieren!

    Respekt gegen null
    Ich werde deinen Mist nicht mehr lesen

    Gruß

    Dennis Grau