Hanau, Rassismus, Demonstration, Kundgebung, Corona
Kundgebung in Hanau nach Demo-Verbot wegen Corona

Integrationsmonitor Hessen

Verbundenheit mit Deutschland gesunken, Angst vor Rassismus gestiegen

Auf mehr als 2,2 Millionen ist die Zahl der in Hessen lebenden Menschen mit ausländischen Wurzeln gestiegen. Das geht aus dem neuen Integrationsmonitor hervor. Danach machen sie inzwischen mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Ihre Verbundenheit mit Deutschland ist gesunken, gestiegen sind hingegen ihre Sorgen wegen Rassismus.

Dienstag, 17.05.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.05.2022, 14:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In Hessen leben heute mehr als 2,2 Millionen Menschen mit Migrationserfahrung. Im Vergleich zum Jahr 2005 ist das ein Plus von 800.000 Menschen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg im selben Vergleichszeitraum von 24 auf 36 Prozent. Im Bundesvergleich ist das die zweithöchste Quote. Ausländer machen 17 Prozent der Bevölkerung in Hessen aus, wie aus dem Hessischen Integrationsmonitor 2022 hervorgeht, die am Montag in Wiesbaden vorgestellt wurde. Danach stellen die unter 18-Jährigen Personen mit ausländischen Wurzeln sogar mit knapp über 50 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung in Hessen. Dabei sind Daten zu ukrainischen Geflüchteten noch nicht berücksichtigt.

Wie aus dem Integrationsmonitor hervorgeht, leiden Eingewanderte und ihre Kinder besonders unter den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie. Im Januar und Februar 2021 und 2022 durchgeführten Umfragen zufolge hat die Pandemiesituation zu hohen psychosozialen Belastungen geführt: Befragte mit Migrationshintergrund fühlen sich deutlich häufiger gestresst (54 vs. 36 Prozent), niedergeschlagen (48 vs. 37 Prozent) oder einsam (40 vs. 36 Prozent) als Personen ohne Einwanderungsgeschichte.

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Pandemie trifft Migranten besonders stark

Negative Auswirkungen der Pandemie betreffen den Angaben zufolge vor allem das Sozialleben. Rund 57 Prozent berichten hier von einer Verschlechterung. Rund ein Viertel der Befragten mit Migrationshintergrund beklagt daneben eine verschlechterte Einkommens- und Arbeitssituation, unter Personen ohne Migrationshintergrund sind es deutlich weniger.

Das zeigt sich an den Zahlen: Seit Pandemiebeginn im März 2020 ist die Arbeitslosigkeit in Hessen vorübergehend deutlich angestiegen. Sie betraf Ausländer dabei anteilig stärker. Auch die ab Spätsommer 2020 einsetzende Erholung des Arbeitsmarktes verläuft unter diesen Beschäftigten etwas langsamer. „Während sich die soziale Integration und die Teilhabe in vielen Bereichen erfreulich entwickelt, sehen wir aber eine Stagnation bei bestimmten Indikatoren der Themenfelder Bildung und auch Arbeit. Dies ist auch – aber nicht nur – auf Corona zurückzuführen“, erklärte der hessische Integrationsminister Kai Klose in Wiesbaden.

Verbundenheit mit Deutschland steigt

Der Integrationsmonitor 2022 zeigt, dass in vielen Bereichen – von Bildung über Einkommen bis zur Gesundheit – nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationsgeschichte bestehen. Sie werden zwar geringer, sind aber weiterhin vorhanden. „Integrationspolitik bleibt vor dem Hintergrund der bestehenden Lücken und aufgrund der anhaltenden und gerade wieder stark steigenden Zuwanderung auch in Zukunft eine wichtige gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe“, so Klose.

Erfreulich sei allerdings, dass Personen mit Migrationsgeschichte sich trotz der Widrigkeiten mehrheitlich (zu 54 Prozent) mit Deutschland verbunden fühlen. Ein Drittel fühlt sich Deutschland und dem jeweiligen Herkunftsland gleichermaßen zugehörig und rund zehn Prozent empfinden eine stärkere Verbundenheit mit ihrem Herkunftsland beziehungsweise dem Herkunftsland der Eltern. Im Vergleich zu den Erhebungen aus den Jahren 2019 und 2016 ist jedoch ein deutlicher Rückgang der Verbundenheit mit Deutschland zu verzeichnen. 2019 und 2016 fühlten sich noch 61 bzw. 63 Prozent mit Deutschland „eher“ oder „ausschließlich“ verbunden.

Sorgen wegen Rassismus

Der Integrationsmonitor zeigt aber auch: Die Menschen in Hessen sind zunehmend besorgt wegen der Entwicklung des Rassismus. Im Jahr 2019 machten sich 82 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund und sogar 89 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund Sorgen über Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass – dies sind 16 bzw. 13 Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 2011.

Im Vergleichszeitraum 2005 bis 2011 wurde noch ein deutlicher Rückgang der Sorgen verzeichnet. Dieser Trend wurde unterbrochen in dem Jahr der Enttarnung des NSU-Komplex‘. Es wurde bekannt, dass Neonazis mehrere Morde an Personen mit ausländischen Wurzeln verübt hatten, mitunter in Hessen, und über viele Jahre unentdeckt geblieben waren. Die Morde gelten bis heute als nicht aufgeklärt. Seitdem steigen die Sorgen vor „Ausländerfeindlichkeit“ von kontinuierlich. Der NSU-Komplex oder der rassistisch motivierte Anschlag im hessischen Hanau, bei der neun Jugendliche mit ausländischen Wurzeln ermordet wurden, wird in dem Integrationsmonitor nicht erwähnt.

Der Hessische Integrationsmonitor bildet seit 2010 die Entwicklung von Integration und Teilhabe in Hessen ab. Die ausgewiesenen Indikatoren basieren auf Daten amtlicher Statistiken und sozialwissenschaftlicher Befragungen. Die Fortschreibung der aktuellen Auflage umfasst 120 Indikatoren aus 32 Datenquellen. Ein umfangreicher Teil beschäftigt sich speziell mit Geflüchteten. Der letzte Integrationsmonitor wurde im Jahr 2020 präsentiert. (mig) Gesellschaft Leitartikel

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  1. Levent Öztürk sagt:

    Dass nach Mölln und Solingen die NSU-Verbrechen geschehen konnten, diese vertuscht wurden und bei NSU 2.0 nicht einmal ermittelt wird und Hassverbrechen wie in Hanau geschehen und man sich fragt was kommt als nächstes, macht es für Betroffene (Immer und immer wieder stets die türkischsstämmige Migranten-Community) einfach nur unbegreiflich im andere Staaten bezüglich Rechtstaatlichkeit belehrenden angeblichen Rechtsstaat-Weltmeister-Land Deutschland. Hetzende und hassverbreitende AfD Abgeordnete in den Landtagen und im Bundestag sind zudem der Motor dieser rassistisch-menschenverachtenden Situation und Stimmung in Deutschland. Hinzu kommen deutsche Medien, die sich lieber 24 h mit angeblichen Menschenrechtsdefiziten in der Türkei beschäftigen und täglich 5 Artikel über Erdogan im Konjunktiv verfassen anstatt diese sehr gravierenden realexistenten Missstände in Deutschland journalistisch aufzuarbeiten und kritisch darzuzeigen. Von 10 Studenten die ich frage wissen 10 nicht, was damals in Mölln und Solingen passiert ist. Das von latent antitürkischen Ressentiments geleitete Verhalten der Behörden, Polizei, Medien und Politiker gegenüber türkischstämmigen Mitbürgern hat über die Jahre die Verbundenheit sehr vieler türkischstämmigen Bürger zu Deutschland gen Null gefahren, zeitgleich hat es die Bundesregierung nie versäumt, durch ihr Verhalten wie bei NSU, NSU 2.0, Hanau etc. seine Verachtung gegenüber in Deutschland lebende türkischsstämmige Bürger zu zeigen. Es wäre daher sehr fair, wenn die Bundesregierung eine Art Rückkehr-Hilfe für in die Türkei ausreisewillige türkischstämmige Bürger einrichten würde in Form einer Rente, nach einem Schlüssel individual entsprechend eingezahlter Renten-Beträge und gearbeiteter Jahre. Ich bin mir sehr sicher, dass zigtausende dieses Angebot sofort wahrnehmen würden. Das größte Hindernis für eine Rück-Auswanderung in die Türkei sind die Renten. Diese „Rückkehrer-Rente“ ist überfällig und deutsche Behörden und Politiker könnten sich dann all die Mühe sparen in Deutschland lebenden Türken gegenüber weiterhin mit Neonazi-Duldungsexperimenten, Vertuschung von Neonazi-Verbrechen, Heruntespielen von Bedrohungen wie NSU 2.0 oder kleinreden von rassistisch motivierten Hass-Anschlägen wie zuletzt in München, Hanau und fast in Essen, ihre staatliche Verachtung darbieten zu müssen. Diese Rückkehr-Rente wäre doch ein Thema, womit sich die mit Erdogan-Bashing oder Islamkritik sehr beschäftigten türkischstämmigen Politiker Mal beschäftigen könnten.