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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Prostmahlzeit Neujahr

Der Lockdown über Weihnachten ist richtig. Dass Kirchen aber geöffnet bleiben, ist Nicht-Christen kaum zu vermitteln. Das Virus freut sich. Besser wäre, wir lernten aus Afrika.

Von Dienstag, 15.12.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.12.2020, 10:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Weihnachten im Corona-Jahr, das heißt für die einen, endlich mal wieder den engsten Familienkreis besuchen zu können, für die anderen, mal wieder den engsten Familienkreis besuchen müssen. Und für den Rest ist es einfach eine Woche, in der Norddeutschland sein Bestes tut, um sich den Infektionszahlen des katastrophalen Coronamanagers und zukünftigen Bundeskanzlers Markus Söder anzunähern, dessen episches Versagen ihn beinahe auf Augenhöhe mit den Krisenmanagern Merz und Röttgen befördert hat.

Deutschland, so wird uns gern erklärt, ist dabei noch gut durch die Corona-Krise gekommen – zur Verdeutlichung werden dazu die Schreckgespenster USA, UK, Indien und Brasilien aus dem Hut gekramt: Allesamt Länder, die von Rechtspopulisten regiert werden, ganz so als sei es eine Überraschung, dass diese Leute unfähig sind, ernsthafte Sachpolitik zu machen – Querdenken, AfD und FDP sind ja auch hierzulande die Kompetenzen in Sachen Corona-Politik.

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Die jede Woche und von Bundesland zu Bundesland abweichenden Regelungen, mag mittlerweile niemand mehr durchschauen, sie werden aber wiederum damit erklärt, dass man ja im laufenden Betrieb erst lernen müsse, wie man Besten mit dieser neuen Situation umgehen muss; außerdem müssten Arbeitsplätze geschützt werden, das sei wichtiger als tote Rentner, die „sowieso bald sterben“. Was dabei verschwiegen wird: Nicht bloß China und Neuseeland haben angemessen auf diese Pandemie reagiert und daher mit nur geringen Folgen zu kämpfen – ein Fakt, der gern dadurch entwertet wird, dass China ja eine Diktatur und Neuseeland eine abgelegene Insel seien und deswegen ganz anders hätten reagieren können. Ganz Süd- und Ostasien ist bedeutend besser durch die Pandemie gekommen, als jede andere Region der Welt – mit vielleicht einer Ausnahme: Afrika.

„Wäre ja auch noch schöner, wenn Afrika nicht mehr nur Empfänger unserer Hilfe wäre, sondern fast schon als Kontinent souveräner Staaten wahrgenommen würde. Wo doch wir Kolonialherren denen überhaupt erst die Zivilisation gebracht haben.“

Was diese Länder weitgehend gemeinsam haben, ist konsequentes und kompetentes Handeln. Auch wenn im Falle von Afrika angenommen werden darf, dass die unterfinanzierten Gesundheitssysteme dieser Länder die Infizierten und Toten unterrepräsentieren, hat Afrika in der Bekämpfung von Epidemien andererseits bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt und diese in der Bekämpfung von Corona genutzt – Erfahrungen, die Europa weitgehend ignoriert hat: Wäre ja auch noch schöner, wenn Afrika nicht mehr nur Empfänger unserer Hilfe wäre, sondern fast schon als Kontinent souveräner Staaten wahrgenommen würde. Wo doch wir Kolonialherren denen überhaupt erst die Zivilisation gebracht haben.

Das Festhalten am Fetisch vom Primat der Wirtschaft hat uns in eine Situation geführt, in der mehr und mehr Menschen tagtäglich sterben. Das Festhalten am Weihnachtsfest in einem Land, in dem gerade einmal jeder Zweite überhaupt einer christlichen Kirche angehört (die übergroße Mehrheit davon wohl einfach zu faul, aus der Kirche auszutreten – dabei ist das eine Sache von Minuten – sicher aber nicht „praktizierend“, wie man an den leeren Kirchen das ganze Jahr über sehen kann), bedeutet daher nichts anderes, als dass das ganze Land von einer religiösen Minderheit in Geiselhaft genommen wird – was schon in „normalen“ Jahren als „Weihnachtsterror“ bezeichnet wird, bekommt mit der Corona-Pandemie damit eine ganz neue Bedeutung.

Die jetzt doch noch getroffenen Entscheidungen zu einem härteren Lockdown über Weihnachten sind die richtige, wohl aber immer noch zu kurz gedachte Konsequenz. Dass Kirchen in den Rang von Lebensmittelverkäufern erhoben werden und geöffnet bleiben, ist Nicht-Christen kaum zu vermitteln – schon weil die Kirchen ausreichend Einfluss auf die Fernsehsender haben, um ihre Gottesdienste eh im Fernsehen zu übertragen. Wenn Schüler, Studenten, Arbeiter vor dem Bildschirm lernen und arbeiten können – warum können sich nicht auch Christen vor die Glotze setzen und sich christlich fühlen?

Insbesondere aber sendeten die letzten Wochen die falschen Signale, in dem sie ein wenig Normalität zu Weihnachten in Aussicht stellten, die jetzt offiziell doch nicht ermöglicht werden können – wobei die Politik gleichzeitig nicht müde wird zu betonen, dass ja am Ende ohnehin niemand die Kontaktbeschränkungen wird überprüfen können. Die Reisewelle wird also rollen und das Virus freut sich.

Schöne Feiertage. Meinung

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  1. panter sagt:

    Ihr Kommentar, Sven B., ist unsäglich konfus und bar jeglicher Evidenz: Noch weiß niemand, auf welchen verschlungenen Wegen das Virus sich ausbreitet und wie ansteckend es ist. Die Infektionszahlen allein jedenfalls sind wertlos. Jeden Tag sterben in Deutschland ca.2600 Menschen, und im ganzen Jahr ca.300.000 an Atemwegserkrankungen u.ä.Zivilisationskrankheiten. Was ganz sicher ist: Wer arm ist und schlecht ernährt, den trifft es doppelt so hart und lang. Und die Kirchen sind bisher die bravsten Schafe des Hirten Jens Spahn. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß Gottesdienste im Präsenz gar nicht stattfinden ! Und Seelsorge ist das mindeste, was in diesen Tagen von den Kirchen erwartet werden muß und dringend geboten ist, gerade für die Älteren, Alleinstehenden. Insofern sind Ihre Äußerungen dazu beleidigend und dumm. Wer über eine intakte Familie bzw.Freunde verfügt, mit denen er/sie sich jederzeit treffen kann, der sollte nicht hämisch über einsame Menschen und diejenigen, die sich um sie kümmern wollen, den Stab brechen.
    Sollte Ihr kommentar ironisch gemeint sein, so haben Sie die un-passende Sprache gewählt.

  2. pa sagt:

    Korrektur zum Kommentar v.gestern:
    Übersehen hatte ich auf die Schnelle, daß nach anfänglicher Ablehnung Kirchen nun doch Präsenz-Gottesdienste durchführen können. Es ist davon auszugehen, daß dies unter strengen Hygiene-Auflagen geschieht. Insofern ändert sich nichts an meiner pol.Einschätzung: Dieser 2.Lockdown ist für Menschen, die sich noch ein selbständiges Urteil bewahren können, eine Zumutung, die rational nicht zu begründen ist und noch große, bleibe nde soziale, psychische und finanzielle Schäden verursacht.
    2.Korrektur: Bei den Zahlen muß es heißen: Jedes Jahr erkranken ca.660.000 Menschen in D an Pneumonie (Lungenentzündungen), 330.000 v.ihnen kommen in stationäre Behandlung und ca.40.000 sterben daran. Jetzt vergleichen Sie mit tgl.Bulletins des RKI/der Bundesregierung.