
Navid Kermani
„Wer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl.“
Mit seiner „Drecksarbeit“-Bemerkung zu Israels Angriff auf den Iran hat Kanzler Merz für Wirbel gesorgt. Der Schriftsteller Navid Kermani geht mit Merz hart ins Gericht. Auch die Justiz sollte sich damit beschäftigen, meinen Kritiker.
Sonntag, 22.06.2025, 16:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.06.2025, 16:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Der Schriftsteller Navid Kermani hat Bundeskanzler Friedrich Merz wegen dessen „Drecksarbeit“-Aussage scharf kritisiert. Merz habe mit seiner Aussage die vielen zivilen Kriegsopfer beleidigt und entmenschlicht, sagte Kermani der Deutschen Presse-Agentur in Köln. „Wen meint er mit Dreck? Damit meint er offenbar die Menschen, die im Iran in den Hochhäusern ohne Luftschutzkeller sitzen und jetzt von Israel bombardiert werden. Das sind meine Verwandten, meine Cousinen und Cousins, meine Kollegen und Freunde. Viele von ihnen haben im Kampf gegen das Regime Opfer gebracht, von denen wir im Westen nicht einmal eine Vorstellung haben.“
Alle bekannten Protagonisten der Demokratie-Bewegung hätten sich gegen den Krieg ausgesprochen, so auch die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi oder die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh. „Diese beiden Frauen und Millionen andere Iraner kämpfen seit Jahren heroisch gegen das Regime und damit auch für Israels Sicherheit. Sie sind kein Dreck.“ Er glaube nicht, dass ein Helmut Kohl, ein Wolfgang Schäuble oder gar eine Angela Merkel, die in der Sache womöglich Merz zugestimmt hätten, je auf eine solche zynische Wortwahl zurückgegriffen hätten, sagte Kermani.
Kermani wirft Merz sprachliche Verrohung vor
„Merz leistet damit einer Verrohung und Enttabuisierung der öffentlichen Sprache Vorschub, die den Rechtspopulisten enorm in die Hände spielt, siehe USA.“ In einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Wochenendausgabe) formulierte Kermani pointiert: „Wer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl.“
Merz hatte in einem ZDF-Interview mit Blick auf Israels Krieg gegen den Iran das Wort „Drecksarbeit“ benutzt. Moderatorin Diana Zimmermann hatte den Begriff in ihrer Frage benutzt, und Merz griff es auf: „Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff Drecksarbeit. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht.“
Der Iran könnte ins Chaos abgleiten
Kermani sagte, es sei, bei aller gebotenen Zuspitzung im politischen Alltag, die Aufgabe von Politikern zu differenzieren, wenn es um Leben und Tod von Menschen geht. Nun werde vieles angeführt, was Merz mit seiner Aussage gemeint haben könnte, das wolle er nicht in Abrede stellen. „Wen er meinte, was er gemeint haben soll, hätte er sagen können, was er meint. Aber er hat ja nicht einmal nachträglich seine Wortwahl relativiert. Er steht zu dem Wort „Drecksarbeit“ und lobt sich selbst dafür. Also muss man ihn auch für das kritisieren, was er sagte, nicht für das, was er mutmaßlich meinte.“
Der Krieg werde weder Israel Sicherheit bringen noch Iran Freiheit, sagte Kermani, der als einer der einflussreichsten deutschen Intellektuellen gilt. Er wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, der bedeutendste ist der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sollte Israel den Krieg ausweiten und möglicherweise mit US-Unterstützung die Staatsführung zu Fall bringen, drohe das Abgleiten des Landes ins Chaos.
„Iran ist ein Land, in dem 45 Prozent der Menschen eine andere Muttersprache haben als Persisch. Es ist ein Vielvölkerstaat. Man muss doch nur nach Afghanistan schauen, in den Irak, in den Jemen, nach Syrien, nach Libyen, um zu sehen, welche Gefahren das birgt. Iran hat ein gewaltiges Arsenal an chemischen Waffen. Und das würde das Regime in dem Moment einsetzen, in dem es nichts mehr zu verlieren hat. Die werden sich nicht ins Flugzeug setzen und abhauen, die werden alles einsetzen, was sie haben, um als Märtyrer zu sterben.“
Dies berge auch für das nahe gelegene Israel ein großes Sicherheitsrisiko, sagte Kermani. Er äußerte sich, noch bevor die USA in der Nacht zum Sonntag an der Seite Israels in den Krieg gegen den Iran eingriffen und drei Atomanlagen attackierten.
Iranische Regisseure stehen für Mut der Zivilgesellschaft
Sollte die politische und religiöse Führung den Krieg dagegen überleben, wäre nach Überzeugung Kermanis eine fürchterliche Repressionswelle gegen die eigene Bevölkerung die Folge. Das deute sich bereits jetzt mit Hinrichtungen und vielen Festnahmen an. „Sie werden sagen, dass sich doch nun vor aller Welt gezeigt habe, in welchem Maße die iranische Opposition durch Israel gesteuert wird. Das heißt also, beide Optionen führen ins Verderben.“
Die iranische Zivilgesellschaft sei die mutigste weltweit, sagte Kermani, der 1967 in Siegen als Sohn einer aus dem Iran eingewanderten Arztfamilie geboren wurde. „Denken Sie nur an den Regisseur Jafar Panahi, der viele Jahre im Gefängnis gesessen hat und dann, auf Kaution frei gelassen, sofort wieder einen kritischen Film dreht, der in Cannes die Goldene Palme erhält. Denken Sie an den oscarnominierten Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ von Mohammad Rasoulof über die Massenproteste im Iran, entstanden unter schwierigsten Bedingungen. Denken Sie an all die Frauen, die weiterhin trotz striktester Gesetze ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Und die, wenn sie aufgegriffen werden, sofort Hilfe von Passanten erhalten. Das sind die Menschen, die jetzt bombardiert werden.“
Anzeige gegen Merz wegen „Drecksarbeit“-Aussage
Die umstrittenen Äußerungen von Merz haben derweil eine Strafanzeige zur Folge. Die Anzeige sei beim Generalbundesanwalt und bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingereicht worden, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, Diether Dehm, der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe etwa 20 Unterzeichner. Zuvor hatte die „Berliner Zeitung“ darüber berichtet.
Merz habe sich strafbar gemacht, auch wenn er die Äußerung nicht in Deutschland, sondern am Rande des G7-Gipfels in Kanada getätigt habe, argumentierte Dehm. Der Kanzler habe unter anderem gegen Artikel 26 des Grundgesetzes verstoßen. Demnach sind Handlungen, die das friedliche Zusammenleben von Völkern stören können, verfassungswidrig.
„Wenn ein deutscher Regierungschef in seiner Vorbildfunktion meint, derart offen und öffentlich gegen Ar. 26 verstoßen zu dürfen, könnten sich künftig noch mehr Menschen in Deutschland ermutigt fühlen, Angriffskriege zu propagieren“, heißt es in der Anzeige.
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe äußerte sich dazu nicht, und die Staatsanwaltschaft Berlin konnte den Eingang einer Anzeige auf dpa-Anfrage noch nicht bestätigen. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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Manche ergötzen sich an der Präzision israelischer Angriffe auf den Iran. Auch ich bin immer wieder angetan von der „Präzision“ mit welcher Krankenhäuser, Wohngebiete oder Hilfslieferungen dem Erdboden gleich gemacht werden. Und das nennt sich dann im postfaktischen Populisten-Neuspech „für uns die Drecksarbeit machen“. Navid Kermani hat völlig recht – mit einer solchen Äußerung sollte sich die Justiz beschäftigen. Es steht ihm und allen anderen frei Strafanzeige zu stellen. Eine ganze Region – während laufender Verhandlungen – mit dem Beschuss von Atomanlagen zu verstrahlen, ist wohl eher wie sich selbst ins Knie geschossen!
Wenn Autokratien den Erstschlag verüben ist das zweifelsohne ein Angriffskrieg. Wenn vermeintliche oder Noch-Demokratien dies tun, nennt man es Selbstverteidigung, Problem gelöst. An weiteren Verhandlungen bestand wohl schon lange kein Interesse mehr, denn das Atomabkommen wurde bereits 2018 von der ersten Trump-Regierung gekündigt. Gerade zu lächerlich daher die Aufforderung „an den Verhandlungstisch zurück zu kehren“.
Da kommen zu den 122 Mio. Vertriebenen eben noch ein paar hinzu. In erster Linie wird es die afghanischen Geflüchteten treffen, die tatsächlich für die reichen Iraner:innen die Drecksarbeit machen, indem sie auf Baustellen oder in der Gastronomie für einen Hungerlohn schuften. Sie können es sich nicht leisten mit dem Taxi aus Teheran zu fliehen, sondern sind wohl auf ihre Füße angewiesen, sofern diese sie noch tragen. Aber solange sie nicht an der EU-Türe klopfen, juckt das die Menschenrechtsapostel in deren Gremien recht wenig.
Wenn die Iraner:innen sich vom „bösen Mullahregime“ befreien wollen, müssen sie es selbst tun. Denn wie sich in Irak oder Afghanistan gezeigt hat, sind die westlichen „Interventionen“ gescheitert. Sollte das Ganze, nach dem Bombardement der USA, nun ein allgemeines Wettrüsten in der Region auslösen ist das wirklich ein großer Gewinn: für die westliche Waffenindustrie, BRAVO!