Burak Tuncel, Kolumne, MiGAZIN, Dichtung, Dichter
Burak Tuncel © privat, Zeichnung: MiG

Dichtertränen

Welche Farbe hat die Liebe? Schwarz oder weiß?

Wer Mutterliebe erfahren hat, könnte so etwas Grausames nicht tun. Ich beiße mir auf die Zähne, laufe weiter und frage mich. „Wieso werden noch immer farbige Menschen diskriminiert?“

Von Mittwoch, 24.06.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.06.2020, 16:05 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Ich bin ein Niemand. Splitternackt stehe ich vor euch auf dem Marktlatz. Mein Schiff legte Anker in einer Welt voller Nationen. Gekommen bin ich von ganz weit her. Man nennt mich auch den Fremden. Doch, muss mich wohl verlaufen haben in den Straßen und Gassen eurer Nationen. Ja, auch ich weine und vergieße Tränen um die Menschheit, doch ich weine im Dunkeln, unter meiner Decke. Ich will nicht, dass ihr meine Tränen seht, denn meine Tränen wären schmerzvoll für euch. Meine Tränen wären wie Wunden für euch. Ihr habt nur meine Lieder erlebt, aber meine Augen haben auch Tränendrüsen.

Ich beobachte die Welt, den Marktplatz, die Großstädte und sehe einen Mann namens George Floyd auf dem Boden liegen. Er wird von einem weißen Polizisten erwürgt. Ganz laut schreit er, „Mama, Mama.“ Da sollten doch alle Dämme brechen. Der Himmel weint in diesem Moment. Es gibt doch nichts Heiligeres als die Mutter, die uns alle Erschaffen hat. Hat denn dieser Polizist keine Liebe zu seiner eigenen Mutter erfahren? Hat er denn keine schönen Märchen von seiner Mama als Kind erzählt bekommen, vor dem Schlafengehen? Wer Mutterliebe erfahren hat, könnte so etwas Grausames nicht tun. Ich beiße mir auf die Zähne, laufe weiter und frage mich. „Wieso werden noch immer farbige Menschen diskriminiert?“

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Die Nacht wendet sich nun dem Tage hin, und ich frage mich, ob die Nacht in der sich die Menschheit befindet von ewiger Dauer sein wird? Es scheint als wäre des Menschen Los die Spaltung untereinander. Wieso spalten die Menschen in Schwarz und Weiß? Blitz und Donner schlagen in meinem Kopf ein. Ich verstehe es einfach nicht.

Ihr fragt mich, woher ich komme? Das Schweigen ist meine Antwort. Geworden bin ich zur Liebe. Es heißt, „Das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.“ Der Mensch auf dem Marktplatz ist in einem tiefen Schlaf. Der Beweis für seinen Schlaf sind all die Nationen, die er errichtet hat. Die Trennung von Rassen.

Jeder von uns ist für den Krieg verantwortlich, denn unser Leben ist voller Aggressivität, wir haben unseren Nationalismus, wir sind voller Selbstsucht, haben unsere Götter, unsere Vorurteile und das alles trennt uns voneinander.

„Du fragst mich nun Geliebter, woher ich komme? Tue das bitte nicht. Hörst du?“

„Denn wo die Liebe erwachet, da stirbt das Ich. Der dunkle Despot.“ In der Liebe gibt es keine Grenzen. Jegliche Identifikation mit einer Nation bringt Gewalt mit sich. Wenn sie sich als Inder, Moslem, Christ, Deutscher oder Türke oder irgendetwas bezeichnen, sind sie gewalttätig. Erkennt ihr, warum dies so ist? Weil ihr euch von der übrigen Menschheit isoliert. Durch das Absondern wird Gewalt erzeugt.

Du fragst mich nun Geliebter, woher ich komme? Tue das bitte nicht. Hörst du? Denn dadurch erzeugst du Gewalt auf der Erde, denn ich fühle mich keiner Nation zugehörig. Gekommen bin ich auf die Erde, um mich der Schönheit zu widmen.

Ja gewiss, braucht es sehende Augen um den großen Geist der Einheit zu sehen, wie es die Indianer taten. Da das Auge des Verstandes nicht sehen kann, bleibt ihm der Zauber der Liebenden fremd. Die Liebe kennt keine Hautfarben. Meine Augen reichen nicht, muss noch Hunderte Augen finden, muss sie mir leihen und diese bezaubernde Welt betrachten. Doch, eine schöne Welt scheint in weiter Ferne zu sein. Das äußere soziale Gefüge ist nur das Ergebnis der innerlichen psychologischen Struktur. All die Nationen sind nur eine Spiegelung des Hässlichen in der Seele des Menschen. Aber wozu braucht es denn nur Nationen und Rassen?

Haben wir denn immer noch nicht genug von Spaltung und Gewalt? Wieso fürchten wir uns vor der Freiheit nur so sehr? Nationen deuten auf eine ernsthafte, neurotische Erkrankung der Menschen hin. Wer braucht schon Nationen? Wozu? Wozu braucht man Pässe, Visa und Grenzen? Die ganze Welt gehört doch uns allen meine Geliebten. Die Sonne gehört niemandem, die Erde gehört niemandem, der Mond gehört niemandem. Nichts gehört irgendjemandem.

Der Himmel ist traurig, die Augen voller Tränen und das Klagen laut, in einer Welt voller Nationen und Spaltungen. Die Berge, die Flüsse und Bäume singen ihre schönsten Lieder und doch gehören sie keiner Nation an. Wenn ihr diesen Zeilen mit eurem Herzen zuhört, werdet ihr verstehen was diese verwirrten Zeilen eines Dichters bedeuten. Der Wind gebietet mir nun, euch zu verlassen. Wir Wanderer, die immer den einsameren Weg suchen, beginnen keinen Tag, wo wir den letzten beendet haben, und kein Sonnenaufgang findet uns, wo der Sonnenuntergang uns verließ. Selbst während die Erde schläft, reisen wir.

In der Stille der Nacht bin ich durch eure Städte gegangen und mein Geist ist in eure Häuser eingekehrt. Oft habe ich euch über mich sprechen hören, „Er berät sich mit den Bäumen des Waldes, aber nicht mit den Menschen. Er sitzt allein auf Hügeln und schaut auf unseren Marktplatz ab.“ Ja, Ich habe es weniger eilig als der Wind, doch ich muss gehen. Und seit jeher war es so, dass die Liebe erst in der Stunde der Trennung ihre eigene Tiefe erkennt. Wie soll ich nun in Frieden und ohne Trauer von euch gehen? Nein, nicht ohne Wunde im Geist werde ich diese Welt voller Nationen und Diskriminierungen verlassen. Lang waren die Tage des Kummers unter euch. Doch, kann ich nicht länger bleiben. Das Meer, das alles zu sich ruft, ruft mich und ich muss das Schiff besteigen. Diese Dinge drückte ich mit Worten aus. Doch vieles in meinem traurigen Herzen blieb ungesagt meine Geliebten. Meinung

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  1. Ute Plass sagt:

    „Wieso werden noch immer farbige Menschen diskriminiert?“

    Dazu „Der wichtigste, schwarze Sozialist, den keiner kennt“:
    “Harrison verstand Rassismus als materialistisches Problem, das weder einem »natürlichen« Vorurteil noch falschen Ideen von Weißen entspringt, sondern vielmehr »einem Trugschluss ökonomischer Angst«, da »ökonomischer Wettbewerb rassistische Vorurteile produziert«. Es war »im Interesse der Kapitalisten Amerikas«, schrieb er, »den untergeordneten ökonomischen Status der Schwarzen beizubehalten, weil sie ihn immer als Waffe gegen die anderen Arbeiter benutzen können.«

    https://jacobin.de/artikel/antirassismus-sozialismus-hubert-harrison-web-dubois-malcolm-x/

    Ebenfalls lesenswert: Angela Davis
    https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/jetzt-verstehen-sie

    • Lana sagt:

      So ein schöner Text! Ich finde, dass der Leser die Gefühle des Autors durch die dichterische Sprache „fühlen“ kann.
      Und er hat Recht: solange es Grenzen gibt, Menschen in Nationen denken und die eigene Religion als DIE auserwählte gesehen wird, kann es keinen Frieden geben. „Die Bäume haben keine Nation!“. Danke für diesen emotionalen und reflektierten Beitrag.