Jan Rick, Studenten, BAS, Integration, Hochschulen
Jan Rick © privat, Zeichnung MiG

Integration

Hochschulen müssen sich der Verantwortung stellen

Integration sollte als gesellschaftliche Daueraufgabe von Hochschulen verstanden werden – strukturell verankert in Aufgaben und Finanzierung. So würde die Wirkung gesteigert und Integration nachhaltig qualitativ verbessert werden.

Von Dienstag, 26.05.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.05.2020, 19:40 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Deutschland braucht Fachkräfte, bessere Bildung, es gibt einen Demographieknick, so dass künftig gerade gut ausgebildete Personen noch mehr fehlen werden – viel spricht dafür, dass die deutsche Politik verstärkt ausländische Studierende gewinnen möchte, und dass diese auch nach ihrem Studium in Deutschland bleiben sollen. So hatten CDU und SPD im Koalitionsvertrag von 2013 ein Ziel von 350.000 ausländischen Studierenden für 2020 ausgegeben, das bereits 2017 übertroffen wurde – im Wintersemester 2018/2019 studierten bereits 394.665 ausländische Studierende in Deutschland. Darunter auch viele Menschen, die einen Flüchtlingsstatus haben und eine dauerhafte Lebensperspektive in Deutschland.

So äußerte sich bereits 2011 Dr. Gunilla Fincke, damalige Direktorin des SVR-Forschungsbereichs: „Internationale Studierende sind jung, gut ausgebildet, sprechen in der Regel schon gut Deutsch und sind mit Land und Leuten vertraut – sie sind Idealzuwanderer“.

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Wenn Integration gut gestaltet und soziales Umfeld vorhanden ist, über Rechte informiert und Unterstützung angeboten wird, ein Zugehörigkeitsgefühl entstanden ist, steigt auch der Verbleibwunsch. Diese direkte ökonomische Sichtweise berücksichtigt noch nicht einmal viele andere positive Effekte, wie höheren Studienerfolg, bessere Bindung an Deutschland (als Wissenschafts- aber auch Wirtschaftsstandort) auch bei einem eventuellen Verlassen Deutschlands nach dem Studium, und steigende Überzeugungskraft der Demokratie bei Zuwanderenden wie auch Einheimischen. Der gesellschaftliche Gewinn für eine offene Gesellschaft in Deutschland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Dennoch wird an den Hochschulen die Aufgabe der Integration und Gleichstellung meist im Kontext der betriebswirtschaftlichen Überlegungen der einzelnen „Institution Hochschule“ gesehen und finanziert, nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Integration ist zwar in Landeshochschulgesetzen vorgesehen, was dies aber genau heißt, ist vage. In Landesministerien gibt es – im Gegensatz zu prestigeträchtigen Austauschprogrammen mit Eliteuniversitäten, auch wenn dies prozentual nur sehr wenige Studierende betrifft – häufig nur geringe Kapazitäten und Ressourcen, die sich mit dem Thema Integration ausländischer Studierender befassen. Integrationsministerien hingegen sehen Integration an Hochschulen nicht in ihrem Aufgabenbereich.

Antirassistische Arbeit an Hochschulen

Mehr Beachtung findet das Thema bei bundesweiten Akteuren, wie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und auch verschiedenen Bundesministerien, die Mittelgeber für Integrationsprogramme an den Hochschulen sind. Diese werden dort auch dringend benötigt – allerdings dauerhaft und nicht nur als Projekte. Wie wichtig neben Integrationsaufgaben auch verpflichtende antirassistische Arbeit an Hochschulen und Universitäten ist, betonte erst unlängst die Autorin des Berichts über Deutschland für den Anti-Diskriminierungsausschusses des Europarats.

„Wenn die Aufgabe der Integration endlich als notwendige Daueraufgabe begriffen würde, die auch herausgelöst aus dem kompetitiven Wissenschaftsbetrieb flächendeckend durchgeführt werden sollte, und nicht nur die Studierenden der innovativsten, besten Drittmittelantragschreibenden Hochschulen zugutekommen sollte, würde das System einen großen Schritt nach vorne machen.“

Durch das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik gibt es solche Gelder jedoch nur als Projektgelder, zur Erprobung „neuer“ Konzepte, die nachher aus dem Budget der Hochschulen verstetigt werden sollen. Wissenschaftsbetriebe, betriebswirtschaftlich vergütet, legen die Priorität nachvollziehbar nicht zuerst auf gesellschaftlich sinnvolle Aufgaben, wenn verfügbare Ressourcen anders effizienter zu einer Steigerung des Haushalts und der Forschung eingesetzt werden können. Das Erlernen von Sprache, die Beschäftigung mit Geschichte und Kultur, der Aufbau von sozialen Netzwerken, sofern nicht für den direkten Studienerfolg benötigt, ist unattraktiv – ein Nachteil der „unternehmerischen Hochschule“. Selbst bundesweite Vorzeigeprojekte werden häufig – trotz zunächst anderslautender Absichtserklärungen, da sonst die Projektgelder auch nicht eingeworben werden können – nicht verstetigt.

Wenn die Aufgabe der Integration endlich als notwendige Daueraufgabe begriffen würde, die auch herausgelöst aus dem kompetitiven Wissenschaftsbetrieb flächendeckend durchgeführt werden sollte, und nicht nur die Studierenden der innovativsten, besten Drittmittelantragschreibenden Hochschulen zugutekommen sollte, würde das System einen großen Schritt nach vorne machen. Programme, die der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt einen großen Nutzen bringen, würden auf einmal interessant. Zum Beispiel werden an einigen Hochschulen studienvorbereitende Programme und Sprachkurse in sehr guter Qualität angeboten. Über das hinaus, was Sprachkursanbieter leisten können, werden Deutschkurse ergänzt durch Fach- und Studienkompetenzkurse. Die Programme sind integrativ in Hochschule und Gesellschaft gestaltet, betreiben Erwartungshaltungsmanagement und beziehen sogenannte „Third Missions“ von Hochschulen ein. Doch diese Kurse sind meist betriebswirtschaftlich unattraktiv, da Studierende in einer guten Vorbereitung feststellen, dass sie vielleicht doch besser ein anderes Fach an einer anderen Hochschule studieren möchten. Oder sie merken, dass ein Studium nicht das richtige für sie ist, und sie lieber eine Ausbildung machen möchten. Das ist zwar politisch gewünscht, um mehr qualifizierte Personen auch in die Ausbildung in stark benötigten Berufen zu bekommen. Das ist auch gewünscht, weil es teure Studienplätze spart und Personen vor einem Studienabbruch bewahrt. Das ist zusätzlich gewünscht, weil es den Studienerfolg erhöht, wenn Studierende schnell das Fach studieren, was sie inhaltlich interessiert. Betriebswirtschaftlich sind diese Gründe aber nicht ausschlaggebend: denn es sorgt dafür, dass gegebenenfalls sogar weniger Studierende über das von der Hochschule selbst finanzierte Programm in das Fachstudium wechseln, womit auch die Zuschüsse schwinden.

Ein offenes Geheimnis

Aktuell werden diese Angebote, sofern nicht durch Bundesprojektmittel vorübergehend schlecht planbar finanziert, allerhöchstens für wohlhabende Studierende angeboten, die sich Gebühren leisten können. Viele kluge kreative Köpfe, für die Deutschland aufgrund der hohen Studienqualität aber vor allem auch aufgrund der niedrigen Kosten attraktiv ist, kommen so erst gar nicht.

Natürlich wäre eine solche Systemumstellung auch schmerzhaft. Projekte, jetzt massenhaft „neu“ initiiert, wären nicht mehr in der Masse vorhanden und könnten so nicht mehr als Beleg für die erfolgreiche politische Arbeit in einer Legislaturperiode genutzt werden. Dennoch würde das System deutlich effektiver werden.

„Ein Großteil der Arbeit, den Angestellte im Themenbereich „Integration“ aktuell vollbringen müssen, ist, Anträge an Drittmittelgeber zu schreiben und Projekte zu verwalten. […] Anträge zu schreiben heißt, sich neue Konzepte auszudenken, während gleichzeitig bewährte Maßnahmen nach Projektende wieder eingestampft werden. Eventuell wird auch das Altbewährte „nur“ in einen neuen Rahmen gepresst, damit gut funktionierende Dinge nicht gänzlich verschwinden.“

Um die Problemlage plakativ zu veranschaulichen: Ein Großteil der Arbeit, den Angestellte im Themenbereich „Integration“ aktuell vollbringen müssen (so es sie denn überhaupt an den Hochschulen gibt, denn nicht alle Hochschulen leisten sich diesen „Luxus“), ist, Anträge an Drittmittelgeber zu schreiben und Projekte zu verwalten. Drittmittelgeber sind meist Landes- und Bundesministerien, oder aus Steuermitteln profitierende Stiftungen. Anträge zu schreiben heißt, sich neue Konzepte auszudenken, während gleichzeitig bewährte Maßnahmen nach Projektende wieder eingestampft werden. Eventuell wird auch das Altbewährte „nur“ in einen neuen Rahmen gepresst, damit gut funktionierende Dinge nicht gänzlich verschwinden – dies ist aber ein offenes Geheimnis, da natürlich Anträge, die damit offen umgehen, in der Regel keine Chance auf eine Förderung haben. Die Anträge konkurrieren mit denen anderer Hochschulen, die meist vor denselben Problemen stehen. Da andauernde Ungewissheit herrscht, ob Mittel an eine spezifische Hochschule fließen, ist an den einzelnen Standorten ungewiss, ob eingearbeitetes Personal gehalten werden kann. Dazu sind die Projekte meist mit einer mehr oder minder kurzen Laufzeit versehen. Programmlinien mit einer Laufzeit von unter zwei Jahren sind durchaus üblich.

Hochschulen müssen sich stellen

Natürlich muss jedes Projekt noch nach eigenen Vorgaben des Drittmittelgebers sowie der durchführenden Stelle, den Landes- und den hochschulinternen Regelungen konform sein. Änderungen in einem sich wandelnden Kontext, von dem die Drittmittelgeber meist inhaltlich entfernter sind und erst mit zeitlicher Verzögerung mitbekommen, müssen anhand der alten Rahmenbedingungen laufend angepasst werden. Es darf auch keine Überschneidungen zu eventuellen anderen eingeworbenen Projekten geben (auch bei sich überschneidenden Laufzeiten). Sachberichte, Verwendungsnachweise und Beleglisten über jeden Centbetrag müssen nach der hausinternen Prüfung und der zusätzlich durchgeführten Überprüfung der Haushaltsstelle noch rechtzeitig an die durchführende Institution sowie den Drittmittelgeber geschickt werden. Dass selbst gleichlautende Regelungen je nach Programm und in den jeweiligen Stellen zuständigen Personen unterschiedlich interpretiert werden, versteht sich da schon von allein, da bereits Landes- und Bundesbehörden bei Finanzierungsfragen häufig sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Institutionell muss die Hochschule dennoch sicherstellen, das auch Jahre später noch vor den damaligen Richtlinien und Zweckbestimmungen des jeweiligen Programms erklären zu können (auch wenn das durchführende Personal unbekannt verzogen ist oder bestenfalls noch zig andere Projekte in der Zwischenzeit durchgeführt hat).

Leicht wären dagegen Wirkungssteigerungen erreicht, indem gut qualifiziertes Fachpersonal mit stetigeren Arbeitsbedingungen gehalten werden und sich weiter fortbilden könnte. Mit dauerhaften, planbaren Ressourcen in derselben Höhe gäbe es Zeit, sich nachhaltig um Themen zu kümmern, und die Besten der zahlreichen erprobten Konzepte tatsächlich dauerhaft anzuwenden. Konkurrenz an dieser Stelle schafft keinen Fortschritt, aber Aktionismus. Zusammenarbeit wird behindert: Hochschulen könnten besser voneinander lernen, wenn sie gefördert werden, um die besten Konzepte anzuwenden und zu behalten, anstatt das Rad laufend neu erfinden zu sollen.

Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe, der sich auch die Hochschulen stellen müssen. Hierfür müssen dauerhaft Personal und Ressourcen zur Verfügung stehen. Meinung

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  1. Roman sagt:

    Jan Rick spricht ein grundsätzliches Problem bei Forschungsstrukturen an, die auf Projektbasis und Drittmitteleinwerbung fokussiert sind. Andererseits sind die Motive der Drittmittelgeber ebenso nachzuvollziehen, wie die Entwicklung von Chancen für Nachwuchswissenschaftler in der Pre-Doc-Phase. Die Forderung, dauerhaft Ressourcen und Personal zur Verfügung zu stellen ist voll und ganz zu unterstützen, dafür müsste das Wissenschaftssystem jedoch stärker umgewandelt werden. Wie könnte eine vernünftige Lösung aussehen?