Polizei, Einsatz, Sicherheit, Demonstration, Gewalt, Hundertschaft
Polizeieinsatz (Symbolfoto) Martin Krolikowski @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Rassismus-Bericht

Europarat stellt Deutschland Armutszeugnis aus

In einer Studie analysierte der Anti-Diskriminierungs-Ausschuss des Europarats die Rassismus-Entwicklung in Deutschland – und stellt ein Armutszeugnis aus: rechtsextreme Polizisten, zu wenig Aufklärung, dafür zu viele Einzelfälle und Sonntagsreden.

Von Donnerstag, 26.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.07.2020, 23:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Zwischen den Jahren 2014 und 2019 – also noch vor den rassistisch motivierten Taten in Hanau und Halle – beobachtete der Anti-Diskriminierungs-Ausschuss des Europarats (ECRI) die Entwicklungen betreffend Rassismus in Deutschland. Das Ergebnis ist ernüchternd: zunehmender Rassismus und Islamophobie, zu wenig Vertrauen in die Polizei, viel zu wenig Aufklärungsarbeit und „Sorgen“ betreffend der Alternative für Deutschland (AfD). Das ECRI warnt in seinem sechsten Deutschland-Bericht auch vor zunehmenden rechtsextremen Angriffen und empfiehlt mehr Unterstützung und Befugnisse für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.


Der Europarat mit Sitz in Straßburg hat zur Aufgabe, über die Menschenrechte in seinen 47 Mitgliedstaaten zu wachen. Dafür sind verschiedene Expertengruppen im Einsatz, die regelmäßig den Stand der Dinge in den einzelnen Mitgliedsstaaten untersuchen.

Zu wenig Aufklärungsarbeit

Als einer der zentralen Punkte des Berichts gilt die Aufklärungsarbeit in Institutionen. Gemäß den Autoren der Studie muss Deutschland vor allem in Schulen, Universitäten und bei der Polizei verpflichtende Kurse gegen Rassismus und Diskriminierung umsetzen. „Man muss mit verpflichtenden Kursen gegen Rassismus und Diskriminierung an die Unis gehen, von wo die meisten Mitarbeiter von Ministerien und Behörden kommen“, sagte Reetta Toivanen, eine Autorin des ECRI-Berichts der Nachrichtenagentur DPA.

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Zusätzlich fordert der Bericht von den Bundesländern, in ihren jeweiligen Bildungsgesetzen und in ihren obligatorischen Lehrplänen die Themen „Menschenrechte“ und „Gleichbehandlung“ aufzunehmen.

Polizei: Rechtsextreme in den eigenen Reihen

Bei der Polizei seien verpflichtende Kurse besonders wichtig, um Racial Profiling entgegenzuwirken. „Auch wenn es hinreichende Beweise für ein extensives Racial Profiling gibt, sind sich viele Polizeidienste und -vertreter dessen nicht bewusst oder leugnen deren Existenz“, steht im Bericht. Opfer diskriminierender und rassistischer Gewalt trauten sich oft nicht zur deutschen Polizei, erklärte Toivanen. Es fehle das Vertrauen.

Das Teile der Polizei in Deutschland ein Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus haben, war bereits vor dem ECRI-Bericht bekannt – auch wenn die Vorfälle vielfach als Einzelfälle abgetan wurden. Viele Beamte fielen in der Vergangenheit mit Verbindungen ins rechtsradikale Lager auf, einige von ihnen wurden festgenommen, weil sie rechtsextremen Gruppierungen angehörten, Waffen horteten und Anschläge geplant haben sollen. Andere wurden suspendiert oder gegen sie wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, weil sie vor einer Synagoge „Sieg Heil“-Rufe über ihre Funkgeräte abspielten, weil sie verfassungswidrige Kennzeichen verwendet hatten oder weil sie Mitglieder in rechtsextremen Chat-Gruppen waren.

Ein Bundespolizist erschien zu einem Einsatz bei einem Rechtsrockkonzert mit einem Aufnäher, der auch in der Szene benutzt wird. In Hessen wurde 2019 unter anderem gegen 40 Polizisten ermittelt, weil sie rechtsextremes Gedankengut teilten. Ein Schießausbilder aus Sachsen soll seinen Schülern gesagt haben, sie müssten das Zielen lernen – wegen der „vielen Gäste“. Auf einem Transporter der Polizei Duisburg prangte ein Aufkleber der rechtsextremen „Identitären Bewegung“.

Die Fallzahlen steigen

Die Liste ist weit länger, es gibt viele Beispiele: Polizisten übermittelten private Daten von Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen und weitere polizeiliche Informationen an Rechtsextreme. 37 Polizeibeamte versendeten einer Anwältin ein Drohschreiben und unterzeichneten es mit „NSU 2.0“. Neun Polizisten ließen sich vor einem rechten Graffiti fotografieren, und ließen bei der Entfernung des Schriftzugs die Buchstaben für eine Szenelosung stehen. Ein Polizist spielte ein Lied der Hitlerjugend ab, ein Anderer verweigerte einer Kopftuchträgerin, die eine Anzeige erstatten wollte, den Zutritt zu seinem Büro. In Nordrhein-Westfalen wurden bei der Polizei mehrere Reichsbürger entdeckt. Wieder andere Polizeibeamte sind Mitglieder des rechtsextremen Flügels der Alternative für Deutschland (AfD). Bei einer Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextremisten vergaßen Polizeibeamte Beweismittel am Tatort und fanden sie nicht mehr wieder.

Im Jahr 2019 stellte der „Deutschlandfunk“ entsprechende Anfragen an die Innenministerien der Bundesländer und schrieb daraufhin unter dem Titel „Zu viele Einzelfälle“ von 200 Fällen von Rechtsextremismus im deutschen Polizeiapparat. Der „Deutschlandfunk“ bezeichnet seine Recherchen als „sehr unvollständig“, da es kaum verlässliche Informationen gibt. Was klar ist: Die Fallzahlen steigen.

Sonntagsreden reichen nicht

Der Bericht der ECRI lobt zwar Angela Merkel und weitere Politiker, da sie sich klar gegen rechtsextreme Taten positioniert hätten. Allerdings genüge das nicht. Polizei und Verfassungsschutz sollten gezielt für einen Ausstieg aus extremen Kreisen werben. Weiter müsse das Mandat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes weiter gefasst werden. Die Stelle sei nicht nur unterfinanziert, es fehlten auch eine grundlegende Opferunterstützung und Klagebefugnis.

Info: Dieser Beitrag erschien zuerst im infosperber.ch, Partner von MiGAZIN.

Außerdem warnten die Autoren des Berichts vor einem Anstieg fremdenfeindlicher Angriffe – womit sie recht behalten sollten. Vor allem der Grad an Islamophobie steige, der konstante islamophobe und fremdenfeindliche Diskurs der extremen Rechten wirke sich auch zunehmend auf den allgemeinen politischen Diskurs aus. Rassismus sei in zwei Unterorganisationen einer neuen Partei besonders offensichtlich, steht im Bericht. Damit sind der rechtsnationale „Flügel“ und die „Junge Alternative“ der AfD gemeint, die inzwischen beide offiziell als rechtsextrem gelten.

Opferzahlen nach oben korrigiert

Was geschieht, wenn Behörden und Politiker rechtsextreme Netzwerke während Jahren verharmlosen, ist ebenfalls in Deutschland zu sehen. Dort erklärte die Bundesregierung, seit der Wiedervereinigung habe es in ganz Deutschland 63 Todesopfer rechter Gewalt gegeben. Eine viel zu tiefe Zahl, wie das Bundeskriminalamt während einer jahrelangen Untersuchung feststellte, die infolge der NSU-Mordserie in Auftrag gegeben wurde. Stattdessen sollen es jetzt 746 vollendete und versuchte Tötungsverbrechen sein, bei denen 849 Menschen starben oder lebensgefährlich verletzt wurden. Und die Untersuchung ist bei weitem nicht abgeschlossen. Leitartikel Panorama

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