Racial Profiling, Rassismus, Demonstration, Polizei, Diskriminierung
March to end racial profiling © longislandwins @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

„Kein Bedarf“

Doch keine Studie zu „Racial Profiling“ bei Polizei

Die angekündigte Studie über rassistische und diskriminierende Polizeikontrollen wird es doch nicht geben. Innenminister Horst Seehofer sehe keinen Bedarf für eine solche Untersuchung – weil „Racial Profiling“ verboten sei.

Montag, 06.07.2020, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.07.2020, 9:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die von der Bundesregierung angekündigte Studie zu möglichen rassistischen Tendenzen in der Polizei wird es doch nicht geben. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sehe für eine solche Studie „keinen Bedarf“. Das teilte ein Sprecher des Innenministeriums am Sonntag mit. Noch vor drei Wochen hatten die Bundesministerin für Inneres und Justiz verkündet, sie seien „in der konzeptionellen Entwicklung für eine Studie zu ‚Racial Profiling‘ in der Polizei“.

Als „Racial Profiling“ bezeichnet man eine Personenkontrolle der Polizei, die nur aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale wie etwa der Hautfarbe ausgelöst wird. Das Vorgehen wird bei Überprüfungen auf Bahnhöfen, in Flughäfen und Bussen sowie bei Rasterfahndungen angewendet.

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Die überraschende Kehrtwende

Angestoßen wurde die Studie zunächst von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI). Sie hatte in ihrem aktuellen Bericht Deutschland zahlreiche Mängel attestiert und aufgefordert, aktiv zu werden. Das Bundesjustizministerium ergriff daraufhin die Initiative. Es sei ein wichtiger Schritt, „um fundierte Erkenntnisse über das Phänomen zu erlangen und darauf aufbauend über mögliche Gegenmaßnahmen zu diskutieren“, hieß es vor drei Wochen aus dem SPD-geführten Ministerium. Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte das Vorhaben. Die Ministerien seien „derzeit in der konzeptionellen Entwicklung für eine Studie zu „Racial Profiling“ in der Polizei“, hieß es.

Am Samstag dann die Kehrtwende: „Wir werden eine solche Studie, wie ECRI sie empfohlen hat, nicht in Auftrag geben“, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Das Justizministerium kommentierte das Aus für die Studie nicht.

Zahlreiche „Racial Profiling“ Ausnahmen

Tipp: Mehr Informationen, Gerichtsentscheidungen und Hintergründe zu „Racial Profiling“ finden Sie im MiGAZIN-Archiv.

Seehofers Ministerium zufolge ist eine Untersuchung nicht erforderlich, weil „Racial Profiling“ verboten sei. „Insbesondere Personenkontrollen müssen diskriminierungsfrei erfolgen“, teilte ein Sprecher mit. „Weder die Polizeigesetze des Bundes noch die einschlägigen Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen.“ Entsprechende Vorkommnisse seien absolute Ausnahmefälle.

Es gibt zahlreiche Entscheidungen deutscher Gerichte. Danach ist die polizeiliche Praxis, Menschen aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale zu kontrollieren, diskriminierend und verfassungswidrig. Bereits 2012 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe unzulässig sind. 2016 gab auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz in einem ähnlich gelagerten Fall den Klägern Recht. 2018 wehrte sich ein Schwarzer Mann vor dem Oberverwaltungsgericht Münster erfolgreich gegen diese Polizei-Praxis.

Aus für Studie erntet Kritik

Auch wenn das „Racial Profiling“ in Deutschland eigentlich ausgeschlossen sein soll, eröffnet das Bundespolizeigesetz eine Tür für die diskriminierende Praxis. Das Gesetz erlaubt, dass „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet“ Personen kontrolliert werden dürfen. Weil es dabei um Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz geht, bleibt in der Praxis nur eine Auswahl anhand „phänotypischer Merkmale“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte und Amnesty International fordern Gesetzesänderungen.

Die Entscheidung von Seehofer erntet beim Koalitionspartner und der Opposition Kritik. SPD-Vize Kevin Kühnert zufolge tut Seehofer der Polizei keinen Gefallen und vertut eine Chance, durch eine Studie die Diskussion zu versachlichen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Statt Pauschalurteilen brauchen wir mehr Forschung & Daten zu ‚Racial Profiling‘ und Missständen in der Polizei.“ Linken-Vizechefin Martina Renner sagte, dass Seehofer den angeblichen „Einzelfällen“ Rückendeckung gebe. (mig) Leitartikel Politik

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