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Zeitung (Symbolfoto) © ReadyElements @ pixabay.com (Pixabay License)

Studie

Kaum Chefredakteure mit Migrationshintergrund

Jeder Vierte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund: Dies spiegeln die großen Medien in ihrer Belegschaft bislang zu wenig wider, heißt es in einer Studie über Diversität im deutschen Journalismus. Kritik kommt von den Grünen.

Dienstag, 12.05.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.05.2020, 18:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In deutschen Medien gibt es einer Untersuchung zufolge kaum Führungskräfte mit Migrationshintergrund. Lediglich sechs Prozent der Chefredakteure und Chefredakteurinnen der reichweitenstärksten Medien hätten mindestens einen nicht-deutschen Elternteil, heißt es in der am Montag in Berlin vorgestellten Studie der Neuen deutschen Medienmacher (NdM). Dazu wurden insgesamt 126 Führungskräfte in 122 Redaktionen regionaler und überregionaler Medien befragt. Die Autoren der Studie sprechen von einer ernüchternden Erkenntnis.

In der Untersuchung mit dem Titel „Wie ist es um Diversity im deutschen Journalismus bestellt?“ gaben demnach 118 der Befragten an, keinen Migrationshintergrund zu haben. Unter den sechs Chefs und zwei Chefinnen, die mindestens einen nicht-deutschen Elternteil haben, stammte die Hälfte aus Nachbarländern Deutschlands und die andere Hälfte aus EU-Mitgliedsstaaten, hieß es weiter. Besonders diskriminierte Gruppen, wie etwa Schwarze oder Muslime, seien überhaupt nicht vertreten gewesen. Auch aus den größten Einwanderergruppen (türkisch, polnisch, russischsprachig) habe es keinen Vertreter gegeben.

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„Vielen deutschen Medien droht, dass sie den Anschluss an die Realität in Deutschland verlieren. Schon heute hat in vielen Großstädten die Mehrheit der eingeschulten Kinder einen Migrationshintergrund“, sagte NdM-Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz. Der Anteil der Menschen mit einem Migrationshintergrund liegt den Angaben zufolge in Deutschland bei rund 25 Prozent. Das heißt, sie selbst oder mindestens ein Elternteil sind nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren worden. Die Neuen deutschen Medienmacher sind ein Zusammenschluss von Journalisten mit und ohne Migrationsgeschichte.

Erstaunliche Homogenität

Befragt wurden Nachrichtenmagazine, überregionale Zeitungen mit einer Auflage von mehr als 60.000 und regionale Zeitungen mit einer Auflage von mehr als 80.000 Exemplaren; außerdem journalistische Online-Medien mit mehr als zwanzig Millionen Besuchen im Monat, öffentlich-rechtliche Hörfunk- und Fernsehsender sowie private Fernsehsender mit journalistischem Angebot, die per Antenne zu empfangen sind.

Die Autoren der Studie sprechen von einer erstaunlichen Homogenität bei den Chefredakteuren in deutschen Massenmedien angesichts einer Gesellschaft, „die sich seit mindestens zwei Jahrzehnten auch offiziell als Einwanderungsland versteht“. Sichtbare Minderheiten seien „vollständig außen vor“.

Keine Erfassung des Migrationshintergrundes

Kritik gibt es auch an der fehlenden Erfassung des Migrationshintergrundes der Mitarbeiter in den Redaktionen. Dies sei entgegen mancher Aussage durchaus mit dem Datenschutz vereinbar, hieß es vonseiten der Autoren der Studie. Mit Ausnahme der Nachrichtenagentur Thomson Reuters konnten alle Befragten keine statistischen Angaben über ihre Mitarbeiter machen.

Als positives Gegenbeispiel führen die Autoren die britische BBC an. Dort gebe es entsprechende Quoten für Redaktionen und auch für alle, die auf dem Bildschirm zu sehen oder im Radio zu hören sind. Für 2020 habe sich die BBC vorgenommen, auch ihre Leitungsebene zu mindestens 15 Prozent mit Angehörigen ethnischer Minderheiten zu besetzen.

Grüne: Das ist ein Problem

Für Deutschland sind die Studienergebnisse den Grünen-Politikerinnen Margit Stumpp und Filiz Polat zufolge ein Problem: „Weil die Berichterstattung von Medien unser Bild von der Welt und ihren Verhältnissen in hohem Maße beeinflusst, ist das ein Problem“, erklärt Stumpp, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Es verzerre die Wahrnehmung zu Ungunsten der über 20 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland, die im Alltag ohnehin von Diskriminierung betroffen seien.

Migrationspolitikerin Polat ergänzt: „Wir verlieren so wichtige Perspektiven auf die Verhältnisse, in denen wir leben. People of Color und Menschen muslimischen Glaubens sind besonders stark unterrepräsentiert. Wir plädieren an Medienunternehmen, Menschen mit Migrationsgeschichte und auch Frauen verstärkt in ihren Fokus zu nehmen und zu fördern. Damit machen sie nicht nur ihre Redaktionen vielfältiger, sondern auch ihre Berichterstattung interessanter und realitätsnaher.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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  1. Anuschka Gäng sagt:

    Ich will ja keinem nahe treten. Aber um Chefredakteur zu werden, muss man nicht nur die jeweilige Sprache perfekt beherrschen können, sondern damit auch in allen Schattierungen umgehen können. Ich bin selbst Integrationslehrerin und beobachte wie Sprachlehrer mit Migrationshintergrund (oft hier geboren) oftmals kleine, aber doch sehr offensichtliche Fehler machen. So brachte eine Integrationslehrerin ihren Schülern bei, dass man im Supermarkt einen „Eimer Joghurt“ kaufe. Das ist natürlich Blödsinn. Man kauft hierzulande keinen „Eimer Joghurt“, sondern bestenfalls einen Behälter Joghurt mit einem daran befestigten Plastikhenkel. Leisten Sie sich mal so einen Lapsus als Chefredakteur …

    Abgesehen davon, bezweifle ich, dass man viele Migranten für den Kulturteil und den Regionalteil diverser Zeitungen in Anspruch nehmen kann. Das setzt fundiertes Wissen voraus, das den schon länger hier Lebenden eher zu eigen ist als Leuten, die gerade einmal zwei oder drei Generationen hier sind. Ganz unvoreingenommen kann ich mir nicht vorstellen, dass die „Muslima XY“ seriös über Schnatterhüpfel in der Oberpfalz oder die Probleme der Katholiken in Köln berichtet!

  2. Annemarie Elsner sagt:

    Man kann problemlos sein soziales Leben derart gestalten, dass Migranten darin nicht vorkommen. Ob die Mehrheit einer Großstadt dabei migrantisch geprägt ist oder nicht, ist irrelevant. Als Akademiker halte ich mich in der U-Bahn und der S-Bahn zu gefühlt 70% unter Migranten auf, im Institut, in dem ich arbeite, sind es bestenfalls gefühlte 5%. In dem Viertel in dem ich lebe, existieren nur wenige Migranten. Das hat mit Intoleranz nichts zu tun, sondern mit gelebter Realität. Bei uns im Viertel haben wir einen Wertstoffmann, der ist Türke. Er ist bei allen beliebt, sogar geschätzt. Aber wohl keinem käme auch nur andeutungsweise in den Sinn, ihn zu sich nach Hause einzuladen. Die Migrationsgesellschaft ist für uns Biodeutsche in aller Regel so weit entfernt wie Beteigeuze oder Alpha Centauri. Man kennt den und den. Ja und? Toleranz und Freundlichkeit sind etwas ganz anderes als soziale Akzeptanz. Das ist alles sehr traurig.