Rechtsextremismus, Buch, Hasskrieger, Rechtsterrorismus, Rechtspopulismus
Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus © Herder Verlag, Collage MiG

Rezension

Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus.

Wie agieren rechte Netzwerke im Internet? Welche Plattformen und Strategien nutzen sie? "Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus" von Karolin Schwarz bietet einen sehr guten Einstieg in die Thematik und ist ein entschiedenes #MustRead.

Von Freitag, 03.04.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.01.2022, 11:09 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

#Omagate wäre sicher anders verlaufen, wenn Verantwortliche wie WDR-Intendant Tom Buhrow und seinesgleichen etwas von der Materie verstehen würden, die die Journalistin Karolin Schwarz in ihrem Buch „Hasskrieger“ beschreibt. Darum sei vor allem Multiplikatoren in wichtigen Funktionen empfohlen, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Das Buch bietet einen sehr guten Einstieg dafür, wie rechte Netzwerke im Internet agieren, welche Plattformen und Strategien sie nutzen, um sich für öffentlichkeitswirksame Events an der medialen Oberfläche zu verabreden.

Der Text ist umfassend, informativ und gleichzeitig auch für Newcomer leicht verständlich geschrieben. Grundlegende Begriffe werden kurz erläutert, moderne Kommunikationsmittel und Netzwerke vorgestellt und Strukturen erklärt und ausgeleuchtet. Gerade in Zeiten aufgeregter Empörungsschübe aus den sog. Sozialen Medien ist es wichtig, einen Blick für inszenierte #Gates zu entwickeln.

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Schwarz liefert einen Überblick über die Entwicklung rechtsextremer Diskurse und deren Plattformen und Kommunikationsringe im Netz. Neben privaten Mailboxen, die in den 1990er Jahren u.a. dem Aufbau des Thule-Netzes dienten, spielte das Usenet bereits früh eine Rolle in der internationalen Vernetzung Rechtsradikaler, schließlich Websites, Onlineshops und erste Online-Denunziationslisten, die private Daten politischer Gegner sammelten, um diese einzuschüchtern.

Es wird schnell deutlich, wie professionell und flexibel man agiert, um gegen das Establishment zu agitieren. Schwarz nennt zentrale Organisationen, wie die Identitäre Bewegung, und einzelne Akteure, wovon die wenigsten einen Bekanntheitsgrad wie Martin Sellner oder Götz Kubitschek erreicht haben dürften. Man bekommt schnell ein Gespür dafür, wieso sich der gute Organisationsgrad Rechtsextremer gegenüber der Unterschätzung vonseiten der Provider und der Behörden, zu einem gut funktionierenden Propaganda-Netzwerk entwickeln konnte.

Nach der Lektüre dürfte auch weniger Netzaffinen klar sein, dass hinter den meisten Shitstorms eine konzertierte Strategie steckt. Wie es die Troll-Handbücher aufzeigen, wird nichts dem Zufall überlassen, sondern man inszeniert einen Scheinriesen mit Stimmen aus vermeintlich vielen verschiedenen Lautsprechern, die dann als „Meinung eines Großteils der Bevölkerung“ – wie beispielsweise ganz aktuell in der Omagate-Affäre des WDR – missdeutet werden können.

Wer die nach dem gleichen Muster ablaufenden Shitstorms in ihrer Dramaturgie noch nicht durchschaut haben sollte, wird sie in folgendem Zitat aus der Erlanger Mailbox „Widerstand BBS“ der 1990er Jahre wiedererkennen:

„Also hinein in die Datennetze, sprecht Euch auf Euren Häusern ab, erlernt die Rituale und dann forsch drauf los. Entwickelt eine Diskussionsstrategie, die zunächst darauf gerichtet sein muss, bekennende oder bekannte Antifa-Zecken und Schalom-Litaneienschreiber madig zu machen. Wenn diese sich wehren, müssen wir auch schreien oder besser schreiben. Wir werden sie dadurch isolieren. Wir als scheinbar entschiedene Demokraten aus der rechten Mitte verstehen dann überhaupt nicht, warum die Antifas gegen uns die Keulen schwingen und so intolerant sind. Liberale Scheißerchen verteidigen uns, wenn wir nur geschickt genug argumentieren, für uns die Freiheit der Netze verteidigen. So ziehen wir sie und die lesende Mehrheit auf unsere Seite. Die Arbeit, die Antifas aus den Netzen zu ekeln, übernehmen diese Toleranz-Trottel gerne für uns.“ (S. 17/18)

Besonders Medienschaffende sollten sich zudem immer bewusst sein, wie sie als Vehikel für den Transport volksverhetzender Botschaften eingeplant sind. So wird in den Troll-Anweisungen des Daily Stormer die Aufmerksamkeitserzielung um jeden Preis klar benannt: Man begrüße JEDE Art von Berichterstattung, auch negative. (S. 63) Und wie sehr antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus in den verschwörungstheoretisch veranlagten Communities Hand in Hand gehen, wird bei der Auflistung von Strukturen bis heute und PR-Strategien – wovon hier nur mit Begriffen wie „Doxing“ oder „Swatting“ für die Lektüre des Buches geworben wird –nur allzu deutlich. Auch, wie diskursstrategisch verfahren wird: Nämlich gerne nach dem Motto „Wer zuerst schreit…“, sprich: Wer zuerst den anderen als das beschimpft, was man selber ist, ist strategisch in der günstigeren Position.

Eine Diskursstrategie, wie sie auf der Plattform „pi-news“ offensichtlich wurde, und die die Autorin dieser Rezension für zentral hält, fehlt im Buch. Schwarz gruppiert die Seite richtig als „rechtsextrem“ ein und lässt den Eindruck entstehen, dass sie den islamophoben und flüchtlingsfeindlichen Diskurs schließlich übernommen habe. Wer die Anfänge von damals „Politically Incorrect“ seit 2004 genau beobachtet hat, weiß, dass der Kern des Geschäfts zunächst die Islamophobie war – und dass die Strategie der Menschenfeinde aufgegangen ist, sich als nicht rechtsextrem zu inszenieren und so unter dem Radar des Verfassungsschutzes zu bleiben, indem man „pro-israelisch“ und „pro-amerikanisch“ auf die Fahnen bzw. den Header der Website schrieb. Wer sich fragt, warum rechtsextreme Zirkel sich heute oftmals besonders zu Israel bekennen – was nicht verhindert, dass sie sich als Antisemiten outen – der kann dies hier begründet finden, denn diese Strategie war lange erfolgreich und nicht nur im Internet.

Die kleinen Ungenauigkeiten mag man Karolin Schwarz verzeihen – etwa wenn zunächst behauptet wird, der Terrorist Breivik habe in Oslo 77 Menschen ermordet – weil sie zumeist im Laufe des Buches korrigiert werden und die Lektüre in eine Welt einführt, in der sich die Oberflächenbenutzer des Internets, die sich allenfalls auf Facebook und YouTube bewegen, nicht auskennen und die hier erhellendes erfahren – Wissen, welches man als demokratisch Gesinnte haben sollte.

Darum von mir ein entschiedenes #MustRead für das Buch „Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus“, das Verstehen hilft, wie die rassistische und rechtsextremistische Saat aus dem Internet-Inkubator nun auf die Straße und in die Parlamente kriecht und wie viel Anstrengung nötig sein wird, dieser gut organisierten Gefährdung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beizukommen.

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