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Michael Groys © privat, Zeichnung MiG

Nützlichkeitsrassismus

Opfer von Hanau – Hauptsache Arbeit

Warum wird immer wieder betont, dass die Opfer in Hanau nicht arbeitslos waren? Und warum betonen selbst die Hinterbliebenen diesen Aspekt? Offenbar gibt es in Deutschland Fragen, die nur Migranten beantworten müssen.

Von Donnerstag, 27.02.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.02.2020, 14:03 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der 19. Februar 2020 wird als ein neuer blutiger Tag in die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus eingehen. Im hessischen Hanau erschoss ein rechtsextremer Täter, neun Menschen im Alter zwischen 21 und 44 Jahren in zwei Shishabars.

Die hiesige Presse berichtet über dieses traurige Ereignis auf eine bemerkenswerte Art, die zu einem zeigt, wie stark die politische Debatte in Deutschland verschoben worden ist. Die vermeintliche Rolle von Migranten lässt auch viele Fragen offen.

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Das Problem beginnt schon damit, dass über ein fremdenfeindliches Motiv gesprochen wird, also der Verortung der Opfer als Ausländer. Für die Ermordeten war Deutschland der Lebensmittelpunkt. Einige von ihnen waren deutsche Staatsbürger. Wie kann also hier eigentlich die Rede von Fremden sein, wenn sie rechtlich, emotional und sozial Teil dieses Landes sind?

Selbst wenn sie alle keine deutsche Staatsbürgerschaft hätten, muss dieses Land für ihre körperliche Unversehrtheit sorgen. Das ist eine staatliche Verpflichtung gegenüber allen Menschen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir immer wieder die Staatsbürgerschaft hervorheben, wollen wir was zum Ausdruck bringen? Alle haben das Recht auf Leben und das ist unbestreitbar.

Nach einem derartigen Anschlag ist es sehr wichtig die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Dies wurde zwar gemacht, jedoch war die Art und Weise durchaus problematisch. Es wurde sehr ausführlich über ihre Rolle in der Gesellschaft, aber vor allem der Fakt, dass sie arbeiten, hervorgehoben. Wieso ist bei Menschen mit Migrationshintergrund dieser Fakt so unglaublich wichtig? Sind Migranten, die nicht arbeiten oder in einem Bowling-Verein Mitglied sind weniger wert?

Selbst die Hinterbliebenen erwähnen immer wieder diesen Aspekt, der doch vollkommen irrelevant ist. Sie tun es, weil sie gewohnt sind, sich in diesem Land zu rechtfertigen. Ein Migrant muss sich Fragen stellen, die ein Bio-Deutscher niemals hört. Es gibt also „gute“ Migranten bzw. Deutsche, die ewig über ihren Migrationshintergrund definiert werden müssen und solche, die diesem Land keinen besonderen Nutzen bringen.

Wir müssen lernen, das Menschenleben in den Vordergrund zu stellen und nicht die Herkunft, Rolle in der Gesellschaft oder bei der Arbeit. Wenn ein Menschenleben erloscht, geht eine ganze Welt zugrunde.

In Hanau sind neun Welten und die der Angehörigen untergegangen. Der Rest ist irrelevant. Meinung

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  1. Gerrit sagt:

    Der Auto hat völlig Recht. Es war ein Verbechen gegen die Menschlichkeit. Und da ist es Aufgabe des Staates, derartiges zu verhindern.

    Aber wenn man über viele Jahre „auf dem rechten Auge blind war“, NSU-Akten sperren will und eindeutige Hinweise über die Gesinnung von Behördenmitarbeitern (Hamm) als Belanglosigkeit wertet … dann entstehen solche Situationen.

    Noch immer wird der Ernst der Lage von den Verantwortlichen verkannt. In Momenten solcher Verbrechen herrscht Betroffenheit, um dann möglichst rasch „buisiness as usual“ zu machen.

  2. mimi sagt:

    Hallo Herrr Groys,
    vollkommen bei Ihnen bin ich, wenn Sie diesen unsägliche Rechtfertigungsunsinn beklagen und ganz klar war der Anschlag einer gegen alle unsere Bürger*innen, gegen die Menschlichkeit und die Menschen ungeachtet grüner Haare oder sonstiger Merkmale. Andererseits: hat nicht auch Robert Harbeck recht, wenn er sagt: Man muss es benennen als Anschlag gegen bestimmt Gruppen, weil es eben gezielt gegen bestimmte Menschen gerichtet war. „Bestimmte“ sind die, die auswelchemgrundundwannauchimmervonirgendwoherkamen und die manch einer als vermeintlich irgendwie negativ anders betrachtet. Wenn wir also Diversität als vollkommen gleichwertige Vielfalt betrachten, wofür ich sehr bin, müssten wir doch eigentlich schon darauf hinweisen bzw. anprangern, dass es Merkmale wie quasi historische Herkunft von außerhalb unseres Landes oder ein etwas exotisches Aussehen offenbar noch immer nicht in den deutschen Qualitätszirkel schaffen. Einerseits wollen wir ja gerade auch Vielfalt benennen (dürfen) weil sie einfach schön ist, andererseits laufen wir immer auch Gefahr, missverstanden zu werden, von übel Meinenden oder manchmal auch von den Communities, die dann Stereotypisierungen oder Rassismen vermuten. Wie schön wäre es, wenn dies eines Tages alles gar keine Rolle mehr spielen würde und man sich einfach in Neigungsgruppen zusammenfinden würde, jenseits der grünen Haare.

  3. Matti Illoinen sagt:

    Die gesamte deutsche Politik, war doch schon seit der Gründung der ehemaligen BRD schon immer auf dem rechten Auge blind. Die Herrschaften wissen ganz genau, wie man Politik machen muss, um Ressentiments zu schüren.
    Ich möchte nicht alle rassistischen Sprüche deutscher Politiker in der Öffentlichkeit hier noch einmal aufführen.(das würde das Forum sprengen) Denn wer über Kapitalismus nicht reden will, sollte über die Folgen nämlich Faschismus schweigen. Weil die Politik bis heute hier nicht aufgearbeitet hat, und auch nicht will, ist die AfD entstanden. Und jetzt haben die CDU/CSU/SPD/Grüne und FDP, nichts anderes zu tun, dieses menschenverachtende Gedankengut, das ja nie weg war, alleine der AfD zu unterstellen? Widerlich!
    Man will ein anderes Land, und das erreicht man wie? In dem man die Mehrheit der Bevölkerung in die Armut und Verelendung treibt, mit Demütigungen um Suppenküchen aufsuchen zu müssen, weil die Almosen trotz Arbeit nicht mehr ausreichen um ein Leben in Würde führen zu können. Das gefährliche sind nicht die Faschisten in der Maske von Faschisten, das viel gefährlichere sind Faschisten in der Maske von „Demokraten“ in „Demokratien“ soll sinngemäß Adorno einmal gesagt haben. Recht hat er.

  4. Karlchen sagt:

    Es schlicht ergreifend naiv, in einem Land wie Deutschland zu glauben, dass Menschen nicht nach ihrem „Nutzen“ beurteilt werden. Noch nie etwas vom Pietismus gehört? Eben.