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Oberlandesgericht München

Kirchenasyl rechtlich nicht bindend

Das Oberlandesgericht München hat im Fall des "Freisinger Kirchenasyls" die Anklage wegen illegalen Aufenthalts zurückgewiesen. Zugleich stellen die Richter fest: Kirchenasyl ist kein anerkanntes Rechtsinstitut.

Montag, 07.05.2018, 6:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.05.2018, 17:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das politisch seit langem umstrittene Kirchenasyl bietet nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München keinen rechtlichen Schutz vor einer Abschiebung. Das Gericht bestätigte zwar am Donnerstag den Freispruch eines Nigerianers, der im Kirchenasyl auf einen Aufenthaltsstatus in Deutschland hoffte und wegen illegalen Aufenthalts daraufhin angeklagt wurde. Das Kirchenasyl schütze aber grundsätzlich nicht vor einer Abschiebung und „verbietet dem Staat kein Handeln“, betonte der Vorsitzende Richter Rainer Koch.

Das Gericht verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft Landshut gegen den Freispruch, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sich zu einer nochmaligen Prüfung dieses Einzelfalls entschlossen habe, und nicht, weil der Mann Schutz bei einer Kirchengemeinde gesucht hatte. Die evangelische Landeskirche in Bayern erklärte, das Gericht habe die die christliche Tradition des Kirchenasyls anerkannt.

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Der Vorsitzende Richter unterstrich, Kirchenasyl sei kein anerkanntes Recht. Der Staat könne einen rechtskräftigen Abschiebungsbescheid jederzeit durchsetzen. Wenn er darauf verzichte, sei das eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Behörden. Rechtlich gesehen sei das Kirchenasyl nicht relevant. Es bestehe „im historischen Sinne als gegenüber staatlichen Institutionen geltendes und zu beachtendes Recht nicht (mehr)“.

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Abmachung in Bayern

In Bayern gibt es zum Thema Kirchenasyl zwei Abmachungen: Die eine ist die Zusage von Landesinnenminister Joachim Herrmann aus dem Jahr 2014, dass die bayerische Polizei bei Kirchenasylen „weder kirchliche Räume betreten noch gewaltsam Personen abführen“ werde. Die zweite ist eine freiwillige Vereinbarung zwischen der evangelischen und der katholischen Kirchenleitung und dem Bamf vom 24. Februar 2015. Sie regelt bis ins Detail die Abläufe bei Kirchenasylen, von der sofortigen Meldung des Schutzsuchenden bei den Behörden über die Einreichung eines Dossiers bis hin zur nochmaligen Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.

Aus einer solchen Einzelfallprüfung ergibt sich aber wiederum ein Rechtsanspruch auf Duldung. Das Aufenthaltsgesetz sehe vor, „einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer (…) entweder unverzüglich abzuschieben oder ihn (…) zu dulden“, heißt es im Urteil des Oberlandesgerichts – und zwar solange, bis das Abschiebehindernis behoben ist. Als „inlandsbezogenes Abschiebehindernis“ wertete das OLG im Freisinger Fall nicht das Kirchenasyl, wohl aber die erneute Einzelfallprüfung durch das Bamf. Für den Zeitraum dieser Prüfung habe der nigerianische Flüchtling Evans I. Anspruch auf Duldung gehabt – der Vorwurf des illegalen Aufenthalts sei somit nichtig.

Landeskirche gelassen

Demnach kann sich ein rechtskräftig abgelehnter Flüchtling im Kirchenasyl befinden und trotzdem illegal in Deutschland leben und dafür strafrechtlich verfolgt werden – nämlich dann, wenn die Behörden keine erneute Einzelfallprüfung aufnehmen. Sobald der Fall eines Flüchtlings im Kirchenasyl von den Behörden erneut geprüft wird, könnte er auch in jeder anderen Wohnung leben – denn für diesen Zeitraum hat er Anspruch auf eine Duldung.

Die evangelische Landeskirche nahm das Urteil gelassen auf. „Für unsere Beratungstätigkeit ändert sich nichts“, sagte der für Kirchenasyle zuständige Oberkirchenrat Michael Martin dem „Evangelischen Pressedienst“. Man werde weiterhin versuchen, Kirchenasyle durch Beratung und andere Lösungswege zu vermeiden. Ziel sei in humanitären Härtefällen nicht, Recht zu brechen, „sondern dem Recht zum Recht zu verhelfen“. Dass Kirchenasyl keinen Rechtstatus habe, sei bereits vor dem Urteil allgemeiner Konsens gewesen.

Bayern: 69 Personen in Kirchenasyl

Mit Blick auf die rechtlich unverbindlichen Abmachungen mit der Staatsregierung zeigte sich Martin zuversichtlich: „Ich habe keinen Zweifel an der Zusage des bayerischen Innenministers, dass auch künftig Kirchenasyle nicht mit Polizeigewalt geräumt werden.“ Derzeit bieten 41 evangelische Gemeinden in Bayern 69 Flüchtlingen Kirchenasyl, darunter 16 Kindern. Deutschlandweit nennt die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ eine Zahl von 445 Kirchenasylen mit 674 Personen, das Bamf geht von derzeit 710 Menschen im Kirchenasyl aus.

Evans I. war 2014 über Italien nach Deutschland eingereist. Seinen Asylantrag lehnte das Bamf aufgrund der Dublin-III-Verordnung ab, im Februar 2016 ordnete es die Abschiebung in das Ersteinreiseland Italien an. Im Juli 2016 begab sich der 31-Jährige in den Schutz der katholischen Pfarrei St. Jakob in Freising, die das Kirchenasyl noch am gleichen Tag ans Bamf meldete. Im August 2016 bestätigte die Behörde, dass der Fall des Nigerianers nochmals geprüft werde. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Landshut wegen illegalen Aufenthalts lehnte das Amtsgericht Freising mit Urteil vom 27. Oktober 2017 ab. (epd/mig) Aktuell Recht

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